GesundheitsstudieGluten-Allergie senkt Lebenserwartung

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Viele Getreidearten und damit -produkte enthalten Gluten. (Bild: dpa)

Viele Getreidearten und damit -produkte enthalten Gluten. (Bild: dpa)

Die Studie ließ Ärzte und Betroffene gleichermaßen aufhorchen: Die Autoimmunerkrankung Zöliakie, bei der der Organismus das in vielen Getreidearten steckende Protein Gluten nicht verträgt, hat in den vergangenen Jahrzehnten drastisch zugenommen. Zudem behaupten US-Mediziner, die meist undiagnostizierte Erkrankung des Dünndarms steigere das Sterberisiko der Patienten deutlich. Deutsche Experten widersprechen.

Weizen, Gerste, Roggen oder Dinkel: Viele Getreidearten enthalten das Klebereiweiß Gluten. Genau diesen Stoff vertragen offensichtlich immer weniger Menschen. Bei der Zöliakie (früher Sprue genannt) löst das Protein eine chronische Entzündung der Darmschleimhaut aus. Dadurch nimmt der Organismus weniger Nährstoffe auf. Je nach Schweregrad kann die Erkrankung neben dem Darm auch andere Organe wie Augen, Herz, Leber oder Nervensystem schädigen und auch das Risiko für verschiedene Krebsarten deutlich erhöhen - sofern die Betroffenen Gluten nicht meiden.

Blähbauchm Durchfall, Wachstumsstörung

Oft zeigt sich die Unverträglichkeit im zweiten Lebensjahr, wenn Kinder zunehmend mit dem Getreidestoff in Kontakt kommen. Blähbauch, Durchfälle oder Wachstumsstörungen können auf die Krankheit hinweisen. Wenn ein Antikörper-Test und eine Dünndarm-Biopsie den Verdacht auf Zöliakie bestätigen, sollten sich die Betroffenen lebenslang glutenfrei ernähren.

Für Aufsehen sorgt nun eine Studie der amerikanischen Mayo-Kliniken. Darin verglichen die Mediziner Blutproben, die um 1950 von Mitarbeitern einer Luftwaffenbasis in Wyoming entnommen wurden, mit denen heutiger vergleichbarer Personen. Die Analyse des Serums auf Antikörper gegen Gluten ergab, dass die Erkrankung seit Mitte vorigen Jahrhunderts um das 4,5-Fache zugenommen hat. „Etwas hat sich in unserer Umgebung verändert, das die Krankheit häufiger macht“, sagt Studienleiter Joseph Murray.

Enorme Zunahme

Das Resultat überrascht Wolfgang Holtmeier vom Krankenhaus Porz am Rhein nicht. „Es gibt eine enorme Zunahme“, bestätigt der Gastroenterologe. „Das haben auch andere Studien gezeigt.“ Während man in Deutschland derzeit davon ausgeht, dass jeder 250. Bundesbürger das Eiweiß nicht verträgt, liegt der Anteil in vielen Regionen der westlichen Welt inzwischen bei rund einem Prozent der Bevölkerung. Experten rätseln über die Ursachen des Trends. Möglicherweise, so spekuliert Holtmeier, wachsen viele Kinder heute unter so hygienischen Bedingungen auf, dass die Körperabwehr nicht mehr ausreichend trainiert wird. Denkbar sei aber auch, dass die Ernährung eine Rolle spiele. Der Dresdner Experte Professor Jobst Henker verweist auf Studien, denen zufolge die Neigung zu der Krankheit davon abhängt, in welchem Alter Kleinkinder mit Gluten in Kontakt kommen, etwa über Säuglingsnahrung. Er rät dazu, den kindlichen Organismus frühestens ab dem Alter von fünf Monaten in geringen Mengen mit dem Protein zu konfrontieren.

Ähnlich alarmierend wie die Zunahme der Erkrankung ist das zweite Studienergebnis, das der US-Forscher Murray im Fachblatt „Gastroenterology“ vorstellt. Demnach lag im Lauf der fünf Jahrzehnte die Mortalität bei jenen Betroffenen, die nichts von der Unverträglichkeit wussten, vier Mal höher als bei den gesunden Teilnehmern. Da die Krankheit bei 80 bis 90 Prozent der Betroffenen unentdeckt bleibt, plädiert Murray dafür, Menschen routinemäßig auf die Unverträglichkeit zu untersuchen.

Einen Bedarf für Massenscreenings sieht Holtmeier hingegen nicht. Zwar erhöht eine Zöliakie das Risiko für andere Autoimmunerkrankungen wie Diabetes Typ 1, und das Tumorrisiko steigt um das Vierfache, wenn die Betroffenen ihre Ernährung nicht umstellen. Meiden sie aber Gluten, ist die Krebsgefahr im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung kaum erhöht. „Man sollte sich nicht verrückt machen lassen“, betont Holtmeier. „Wer sich glutenfrei ernährt, ist erst einmal gesund.“

Sorge bereitet dem Mediziner dennoch, dass eine Zöliakie bei den meisten Betroffenen unerkannt bleibt. Wenn ein Patient etwa über Müdigkeit oder Bewegungsstörungen klagt, zu wenig Eisen hat oder unter Gelenkproblemen leidet, denken die meisten Ärzte nicht unbedingt an eine Gluten-Unverträglichkeit. „Zöliakie ist das Chamäleon in der Medizin“, sagt Holtmeier „Es gibt nichts, was nicht vorkommen kann. Deshalb wird die Krankheit oft übersehen.“

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