Gewinne auf Kosten der Behinderten?

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Musterkollektion für Bodenbeläge - etwa Teppiche - stellen die behinderten Angestellten der Reha-Werkstatt in Bergheim gemeinsam mit ihren Betreuern her.

Musterkollektion für Bodenbeläge - etwa Teppiche - stellen die behinderten Angestellten der Reha-Werkstatt in Bergheim gemeinsam mit ihren Betreuern her.

Um die Reha-Betriebe für geistig Behinderte im Erftkreis ist ein erbitterter Streit zwischen Eltern, Geschäftsführung, Mitarbeitern und Trägerverein entbrannt.

Erftkreis - Rechtsanwälte und Gerichte werden bemüht, Hausverbote ausgesprochen, und selbst einfachste Kontakte zwischen den Kontrahenten scheinen nicht mehr möglich zu sein. Die Reha-Betriebe in Bergheim und Brühl, in denen rund 620 geistig behinderte Menschen arbeiten und in denen sie therapeutisch betreut werden, sind zum Schauplatz einer heftigen Auseinandersetzung geworden - ausgerechnet im Jahr der Behinderten.

Auf der einen Seite findet sich ein „Eltern- und Betreuerbeirat“, auf der anderen Seite ein Werkstattrat als offizielles Mitwirkungsorgan der behinderten Beschäftigten, die Reha-Betriebe selber, die als gemeinnützige GmbH organisiert sind, und der Trägerverein „Lebenshilfe für Behinderte Bergheim“.

Der Vorwurf des Elternrates: In den Werkstätten, die vom Landschaftsverband bezuschusst werden, aber auch Geld durch Industrieaufträge hereinholen, werde zu viel Wert auf die wirtschaftliche Betätigung der beschäftigten Behinderten gelegt. Die kostspielige therapeutische Betreuung komme deshalb zu kurz .

„Millionen in der Rücklage“

Laut Theo Eichberg, stellvertretender Vorsitzender des Elternbeirates, hätten die Betriebe, in denen in der Hauptsache Musterkollektionen für Bodenbeläge hergestellt werden, mittlerweile ein Anlagevermögen von 15 Millionen Euro und rund zehn Millionen Euro Gewinnrücklagen in der Kasse. „Die haben phänomenal gewirtschaftet, aber auf Kosten der Behinderten.“

Reha-Geschäftsführer Ingo Ziehm weist die Vorwürfe des Elternrates zurück. Der sei falsch über die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH informiert: „Wir sind ein gemeinnütziges Unternehmen, das ständig überprüft wird.“ Hätte man wirklich überhöhte Rücklagen, würde der Betrieb gegenüber dem Finanzamt den Status der Gemeinnützigkeit verlieren. Dabei biete man den behinderten Angestellten eine Reihe therapeutischer Angebote neben der Arbeit: Logopädie, Krankengymnastik, Sport, Erste-Hilfe-Kurse, sozialpädagogische Einzelförderung und Ergotherapie beispielsweise. Allerdings sei das Verhältnis zwischen Therapie und Arbeit in einem Rehabetrieb „immer eine Gratwanderung“, wie Ziehm einräumt. „Wir müssen ja auch für wirtschaftliche Ergebnisse sorgen, da wir den Mitarbeitern Lohn zahlen.“

Um mehr Einblick in die Geschäfte der Reha-Betriebe zu erhalten und dort Einfluss nehmen zu können, wollten und wollen Anhänger des Elternbeirats deshalb Mitglied im Trägerverein „Lebenshilfe Bergheim“ werden. Der nämlich ist Hauptgesellschafter der GmbH und bestimmt so deren Geschäftsleitung. Dabei, so behauptet Eichberg, hätten in GmbH und Verein seit Jahrzehnten immer dieselben Leute das Sagen und würden sich gegenseitig die Posten zuschieben.

Doch der Trägerverein - laut Untertitel ein „Zusammenschluss von Eltern und Behinderten“ - entpuppte sich als geschlossene Gesellschaft. Neue Mitglieder, auch wenn es die Eltern von behinderten Beschäftigten sind, seien nicht erwünscht und könnten laut Vereinsrecht auch keine Mitgliedschaft einklagen, hieß es. Martin Plum vom Vereinsvorstand erläutert dies: Man werde es nicht zulassen, dass der Elternbeirat mit Hilfe eines Masseneintritts handstreichartig die Mehrheitsverhältnisse im nur 25 Mitglieder zählenden Verein ändere und diesen damit quasi übernehme. Dann nämlich könnten die Werkstätten nicht mehr wirtschaftlich geführt werden. „Wir haben als Verein etwas aufgebaut. Warum sollen wir uns das wegnehmen lassen?“

Mittlerweile ist die Sache so eskaliert, dass der Elternbeirat noch nicht einmal in den Reha-Werken für seine anstehenden Vollversammlungen werben durfte und dafür von diesen entgegen der Praxis früherer Jahre auch keine Räumlichkeiten mehr zur Verfügung gestellt bekommt. Dabei soll das Gremium neu gewählt werden. Wie auch immer die Wahlergebnisse aussehen werden - Reha-Betriebe und Trägerverein fühlen sich davon wenig tangiert: Denn nach ihrer Rechtsauffassung wird der neu gewählte Elternbeirat ohnehin ein unrechtmäßiges Gremium sein. Laut Sozialgesetzbuch könne er nur „im Einvernehmen mit dem Werkstattträger“ eingerichtet werden, heißt es. Das bezweifelt die Gegenseite und will die Sache juristisch überprüfen lassen. Einziges reguläres Mitwirkungsorgan der Beschäftigten ist nach Meinung von Geschäftsleitung und Verein deshalb nur der so genannte „Werkstattrat“ - den die Behinderten aus ihrer Mitte heraus selber wählen und mit dem der Gesetzgeber das Selbstbestimmungsrecht von Behinderten stärken will. Deren Vorsitzende Henry Hudey und Barbara Böttner haben sich in einem Informationsbrief schon hinter die Geschäftsleitung gestellt. Man sei „erstaunt und erschrocken über die Aktivitäten des Eltern- und Betreuerrates“ und wolle sich nicht „bevormunden“ lassen.

„Manipulation“

Für den Elternbeirat jedoch ist der Brief Ergebnis einer „Manipulation“, denen geistig Behinderte nun einmal leicht auszusetzen seien. Auch die vom Werkstattrat gewählte nicht behinderte „Vertrauensperson“, der Arbeitstherapeut Hartmut Bergheim, langjähriger Mitarbeiter der Reha-Betriebe, beeinflusse den Werkstattrat nur im Sinne der Geschäftsführung, heißt es.

Das wiederum will Bergheim nicht auf sich sitzen lassen: „Wir sind unabhängig.“ Der Elternbeirat werde von einigen wenigen für „persönliche Zwecke“ missbraucht. An eine Zusammenarbeit sei nicht mehr zu denken, zumal sich auch viele Eltern von dem Beirat schon distanziert hätten.

Wie es jetzt weitergeht, dürfte auch den Landschaftsverband Rheinland interessieren, der die Reha-Betriebe bezuschusst: „Wir sind an einer guten Zusammenarbeit zwischen Eltern und Behinderten-Werkstätten interessiert“, betont Landesrätin Martina Hoffmann-Badache. Man habe schon versucht, zwischen den Fronten im Erftkreis zu vermitteln, was aber offensichtlich wenig gefruchtet habe. Eine besondere Überprüfung der Reha-Betriebe im Erftkreis seitens des Landschaftsverbandes sei bis jetzt aufgrund gesetzlicher Bestimmungen noch nicht erfolgt. Das werde sich nun wegen der aktuellen Streitigkeiten ändern: „Wir können nur tätig werden, wenn wir auch einen Anlass haben. Jetzt haben wir einen.“

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