Lang lebe die ModeLässt sich mit „Green Fashion“ wirklich Klima und Umwelt schützen?

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Eine Frau in einem geblümten Kleid liegt mitten in einer sehr grünen Wiese.

Nur 4-5 Prozent beträgt der Marktanteil nachhaltiger Mode.

Immer mehr Kleidungsstücke werden als „nachhaltig“oder "recycelt" beworben. Doch wie sieht grüne Mode wirklich aus? Eine Fashion-Expertin und zwei engagierte Labels geben Antworten.

Rebecca Lessmann

Rebecca Lessmann

Rebecca Lessmann, Jahrgang 1993, ist Redakteurin im Ressort Freizeit & Ratgeber/Magazin. Studierte English Studies und Deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Köln und volontierte anschli...

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Präzise streicht Jasper Körmann den weißen Baumwollstoff glatt, legt die Druckschablone mittig auf die T-Shirt-Front: 11:11 in feinen schwarzen Lettern. Er ruckelt die Schablone zurecht, „ungefähr mittig, oder?“ Normalerweise bedrucken Profis von dem Kölner Start-up Holymesh die Shirts und Hoodies des kölschen Streetwear Labels „Zohus Rheinmanufaktur“, das Körmann gemeinsam mit seinem langjährigen Freund Franz Schumann-Halder gegründet hat. Heute wollen die Gründer es aber ausnahmsweise selbst versuchen.

„Unser Ziel war es, ein Label zu starten, bei dem die Regionalität, also Köln und das Rheinland im Mittelpunkt stehen“, sagt Körmann, während er den Schriftzug auf das weiße Shirt überträgt. Aber, betont Schumann-Halder „der Stil ist eher dezent und modisch. Weniger rut un wiess-Karnevals- oder Effzeh-Optik.“ Stadt mit K-Streetwear, die auch alltags- und bürotauglich ist also. Und sie wollen ihre Kleidung möglichst klimaneutral produzieren. Doch nachhaltige Klamotten herzustellen, das sei kein einfaches Business, betont Körmann, als er das fertige T-Shirt aus der Druckerpresse holt.

Jasper Körmann und Franz Halder-Schumann von der Zohus Rheinmanufaktur, stehen in der Ehrenfelder Druckerei Holymesh, wo ihre Klamotten bedruckt werden.

Jasper Körmann und Franz Halder-Schumann von der Zohus Rheinmanufaktur.

Nachhaltige Mode: Fair, Eco, grün oder doch Öko?

Die Schwierigkeiten beginnen bereits bei der Definition: Was bedeutet Nachhaltigkeit in der Mode eigentlich? „Der Begriff ist viel zu vage, viel zu unkonkret“, kritisiert die Green-Fashion-Expertin Dominique Ellen van de Pol. Das zeigt sich auch in den zahlreichen Bezeichnungen nachhaltiger Mode: Fair Fashion, Eco Fashion, Sustainable Fashion, grüne Mode, Bio-Mode oder Öko-Mode sind nur einige davon. „Schaut man sich die Klimabilanz an, den Wasserverbrauch oder die sozialen Umstände? Alles hat seine Berechtigung, doch die verschiedenen Faktoren im Produktionsprozess lassen sich kaum gegeneinander abwägen.“

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Nachhaltige Kleidung hänge daher auch immer davon ab, auf welche Faktoren man sich fokussiere oder persönlich für wichtig halte. Im Mittelpunkt sollte das Bemühen stehen, Kleidung herzustellen, bei deren Produktion weder Mensch noch Umwelt oder Klima belastet werden. Sei es durch den Einsatz giftiger Chemikalien und Pestizide, unsoziale Arbeitsbedingungen oder den Ausstoß von Treibhausgasen.

Für die „Zohus Rheinmanufaktur“ hat Nachhaltigkeit auch viel mit ihrer Liebe zu Köln zu tun. Bedruckt werden die Kleidungsstücke im Herzen von Ehrenfeld. So halten Körmann und Schumann-Halder die Lieferwege kurz und schaffen einen direkten Bezug zu den Produzenten. Ware wird erst auf Nachfrage produziert und die Kunden können sie selbst abholen, wenn sie wollen. Ansonsten wird klimaneutral mit DHL Go Green geliefert. 

Auch die unbedruckten Shirts und Hoodies – die sogenannten Rohlinge – hätten die beiden 40-Jährigen am liebsten direkt in Köln produzieren lassen. „Von der Idee mussten wir uns aber relativ schnell wieder verabschieden“, sagt Körmann. „Sonst wird es so teuer, wie bei Luxusmarken wie Gucci.“ Sie entschieden sich für den GOTS-zertifizierten Hersteller Stanley/Stella. Denn hier wird viel Wert auf Transparenz gelegt und die Arbeitsbedingungen in den Fabriken in Bangladesch regelmäßig kontrolliert – sowohl durch das Unternehmen selbst, als auch durch unabhängige Gutachter. Dennoch: Gerade die textilen Lieferketten seien oft besonders schwierig zu überprüfen, sagt die Modeexpertin van de Pol, „allein schon, weil sie so unglaublich komplex sind.“


TIPP: Unterschiedliche Kleidersiegel können dabei helfen, nachhaltig produzierte Kleidung zu erkennen. Diese Labels gelten als vertrauenswürdig: „Global Organic Textile Standard“, oder kurz: „GOTS“-Siegel, „Blauer Engel“, „Made in Green“, „Fairtrade“ und „IVN Best“.


Großteil der Kleidung besteht aus Plastik

Neben den Lieferwegen hat auch das Material der Kleidung entscheidenden Einfluss auf die Umwelt- und Klimabilanz, erklärt Dominique Ellen van de Pol. Der biologische Anbau von Baumwolle etwa kommt ohne den Einsatz von Pestiziden aus. Doch mit einem Anteil von 52,3 Prozent ist die derzeit meist genutzte Faser in der Modeindustrie Polyester (PET). Rund 32 Millionen Tonnen werden jährlich verarbeitet. Da die Plastikfaser auf der Basis von fossilen Rohstoffen wie Erdöl hergestellt wird, ist ihr ökologischer Fußabdruck besonders groß – also schlecht für die Umwelt.

Die negative Umweltbilanz lässt sich allerdings durch den Einsatz von wiederaufbereitetem Polyester erheblich verbessern. Für die Herstellung des recycelten Materials kommen meist alte PET-Flaschen zum Einsatz: Sie werden gereinigt, geschreddert und zu einem Garn eingeschmolzen. Ein Kilogramm Garn besteht aus etwa acht PET-Flaschen. So wird zum einen die Umweltverschmutzung durch Müll verringert, zum anderen ist auch der Energie- und Wasserverbrauch bei der Herstellung des Garns erheblich geringer.

Laut der Non-Profit-Organisation Textil Exchange, die sich vor allem der Nachhaltigkeit bei Fasern und Materialien widmet, spart jedes Kilogramm maschinell recyceltes Polyester – beispielsweise aus Plastikmüll – 70 Prozent der Treibhausgasemissionen im Vergleich zu neu hergestelltem Material. Die recycelten Kunstfasern werden deshalb zunehmend von Modeunternehmen genutzt. Dennoch liegt ihr Anteil aktuell bei gerade einmal 14 Prozent.

Ein nachhaltiger Badeanzug aus alten Fischernetzen von dem Label „Copenhagen Cartel" liegt auf einem weißen Tuch.

EinBadeanzug von dem nachhaltigen Label „Copenhagen Cartel", der zum Teil aus recycelten Fischernetzen besteht.

Erhöhen könnte diesen Anteil ein neues umweltfreundliches und beliebtes Textilmaterial: Econyl. Dabei handelt es sich um recyceltes Nylon, das aus Fischernetzen, Teppichresten und Produktionsabfällen gewonnen wird. Da das Material UV-resistent, schnelltrocknend und elastisch ist, eignet es sich besonders gut für die Herstellung von Bademode und Sportkleidung. Das dänische Label „Copenhagen Cartel“ nutzt es zum Beispiel. Zu finden sind sie bei Fairfitters in Köln, einem Geschäft für faire und nachhaltige Mode.

Den Anstoß, recycelte Bademode herzustellen, gab Gründerin Katrine Lee Larsen ein Surftrip nach Bali: „Ich liebe den Ozean, habe schon immer viel Zeit dort verbracht. Aber dort war ich umgeben von Plastikmüll!“ Wie Jasper Körmann und Franz Schumann-Halder kommt auch Larsen eigentlich aus dem Marketing-Bereich: „Ich hatte keine Erfahrung in der Fashion-Industrie. Mein Label basiert völlig auf Leidenschaft, Neugier und dem Wunsch, etwas Positives beizutragen. Ich musste also alles von Grund auf lernen.“

Katrine Lee Larsen, Gründerin von Copenhagen Cartel, ein Label für nachhaltige Swim- und Sportswear

Katrine Lee Larsen gründete ihr Label „Copenhagen Cartel", um einen Beitrag für den Schutz der Meere zu leisten.

Eine Lehre, die Larsen recht schnell beigebracht bekam: Die Öffentlichkeit beobachtet nachhaltige Start-ups mit Adleraugen. Kein Wunder, schließlich kommt alle paar Wochen ein neuer Greenwashing-Skandal ans Licht. Larsen versuchte also von Beginn an, so transparent wie möglich zu kommunizieren: Sämtliche Zulieferer und Produzenten sind auf ihrer Website gelistet, inklusive zahlreicher Details zu den Arbeitsbedingungen vor Ort. Doch den genauen Ursprung der Fischernetze, die für ihre Bikinis und Sportleggins verwendet werde, hatte sie zunächst nicht gelistet: Es hieß nur „recycelte Fischernetze“.

„Die meisten Menschen glauben, dass die Fischernetze tatsächlich aus dem Ozean geholt werden“, erklärt Larsen. Tatsächlich werden solche sogenannten Geisternetze aber nur zu einem sehr geringen Anteil wiederverwertet, „sie sind größtenteils einfach zu kaputt. Der Hauptanteil der recycelten Netze, die für unsere Kleidung verwertet werden, stammt von Aquakulturbetrieben und der Fischerei.“ Die Netze werden von den Betrieben gesammelt und können anschließend von Recyclingunternehmen abgeholt werden. Auch so wird verhindert, dass die alten Netze im Meer landen, „doch die präzise Kommunikation ist gerade im Nachhaltigkeitsbereich extrem wichtig“, weiß Larsen heute.


TIPP: Greenwashing erkennt man auch mit einem Blick auf die Unternehmensstruktur: Ist das gesamte Unternehmen auf Nachhaltigkeit ausgerichtet oder gibt es nur einzelne Produktlinien, die mit Begriffen wie „nachhaltig“ oder „grün“ beworben werden? In letzterem Fall handelt es sich häufig um eine PR-Strategie.

(Quelle: Dominique Ellen van de Pol, Expertin für grüne Mode)


Recycelte Plastikfasern können eine sinnvolle Option sein

Für die Herstellung von Bade-, Sport- oder Outdoorkleidung sei der alternative Einsatz von recyceltem Plastik sinnvoll, findet die Green Fashion-Expertin Dominique Ellen van de Pol. „Im Vergleich zu konventionellen Kunstfasern können durch den Einsatz recycelter Fasern Ressourcen eingespart werden. Bei Funktionsstoffen gibt es bisher nur wenige Alternativen aus natürlichen Materialien, die zum Beispiel ebenso schnell trocknen oder wasserabweisend sind. Trotzdem gibt es erdölfreie, nachhaltigere Optionen mit hervorragenden Eigenschaften – zum Beispiel zertifizierte Merinowolle.“

Dominique Ellen van de Pol, Expertin für Green Fashion

Dominique Ellen van de Pol ist Autorin und Expertin für Green Fashion.

Allerdings sei das Thema Mikroplastik bei allen erdölbasierten Kunstfasern problematisch – ob recycelt oder nicht, betont van de Pol. Gerade Outdoorkleidung sei immer wieder mit stark gesundheitsschädlichen Chemikalien belastet, die Stoffe schmutz- und wasserabweisend machen sollen, sogenannte Fluor-Kohlenwasserstoff-Verbindungen (PFC). Hier lohne es sich, bewusst auf PFC-freie Artikel zu setzen.


TIPP: Auch durch Kleidung aus recycelten Plastikfasern gelangen Mikroplastikpartikel in die Umwelt – besonders über die Waschmaschine. Um das zu verhindern, gibt es spezielle Waschbeutel. Wenn die Kleidung darin gewaschen wird, werden die Mikropartikel im Beutel aufgefangen und gelangen nicht ins Abwasser.


Shopping: Immaterielle Bedürfnisse führen oft zu Überkonsum

Doch trotz aller Ansätze, neue Produkte nachhaltig und verantwortungsbewusst herzustellen, gelte letztlich stets die Faustregel: „Die nachhaltigste Mode ist die, die bereits existiert. Die Kleidung also, die man schon im Schrank hat. Denn dafür müssen keine neuen Ressourcen aufgewendet werden“, betont van de Pol. Ein großes Problem an unserem heutigen Modekonsum sei schlicht und ergreifend die Menge.

95 Kleidungsstücke besitzt ein Erwachsener in Deutschland im Durchschnitt laut einer repräsentativen Umfrage der Umweltschutzorganisation Greenpeace. Hinzu kommt: Jedes fünfte Teil davon wird so gut wie nie getragen. Insgesamt summiere sich das Greenpeace zufolge auf eine Milliarde Kleidungsstücke, die ihr Dasein im Kleiderschrank fristen. Eine weitere Milliarde Teile wird seltener als alle drei Monate getragen. „Zählt man diese hinzu, kommt man auf zwei Milliarden Kleidungsstücke (knapp 40 Prozent), die nahezu ungenutzt nur für den Schrank produziert wurde“, heißt es in der Umfrage.

Für Dominique Ellen van de Pol ist für einen nachhaltigeren Modekonsum deshalb auch ein achtsamer Umgang mit Kleidung eng verknüpft. „Oft kaufen wir aus emotionalen Gründen, um uns zu belohnen, zu trösten oder einfach, um einen Kick durch das Neue zu bekommen“, sagt die Modeexpertin. Statt dem Kaufimpuls stets blind zu folgen, könne es hilfreich sein, sich anzugewöhnen, erst einmal innezuhalten und sich zu fragen: „Brauche ich das wirklich oder steckt etwas anderes hinter meinem Kaufwunsch?“ In den meisten Fällen falle einem dann recht schnell ein, dass man doch schon drei ähnliche Hosen im Schrank hängen habe, beobachtet sie.

„Meistens geht es um immaterielle Bedürfnisse, die wir durch das Shoppen befriedigen wollen. Die haben natürlich auch vollkommen ihre Berechtigung und wir dürfen sie weiterhin leben. Das ist allerdings oft auch auf eine nachhaltigere, spielerische Art möglich“, rät sie. Etwa indem man neue Möglichkeiten des Modekonsums entdecke, wie Kleidertauschpartys, Miet-Modelle, wie es in Köln die „Kleiderei“ in Ehrenfeld anbietet, oder beim Secondhand-Shopping. Und wenn es doch ein neues Teil sein soll, dann lohne sich immer die Suche nach nachhaltig agierenden Labels.

In Köln steht Franz Schumann-Halder in Gedanken vertieft vor mehreren kleinen Kartons. In den Händen hält er zwei Basecaps, die er und Körmann für den Sommer in ihr Sortiment aufnehmen. „Wir überlegen gerade, welche Verpackung wir verwenden wollen", erklärt er. Möglichst nachhaltig soll sie sein, dem Kunden aber dennoch ein schönes Einkaufserlebnis bieten. Die Tüten auf Basis von Bioplastik schließt der Wahl-Kölner schnell aus. „Das Thema Nachhaltigkeit betrifft so viele Aspekte, die man im Blick haben muss, aber Klima und Umwelt sind uns wichtig", sagt er und legt die Caps bei Seite. Die Pappkartons sind noch nicht die richtige Wahl. Auch dieses Detail muss stimmen.

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