Zero-Waste-Pionierin im Interview„Die Klimakrise ist hier, wir müssen lernen, uns anzupassen“

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Der Schatten von zwei Händen greift nach einem Pflänzchen auf einem Steinboden.

Klimaschutz und Klimaanpassung seien nicht die gleiche Aufgabe, beides aber Jahrhundertherausforderungen, findet die Aktivistin Marina Glimbovski.

Die Aktivistin und Buchautorin Milena Glimbovski, einst Pionierin der Unverpackt-Bewegung, fordert eine bessere Vorbereitung auf die Klimafolgen.

Frau Glimbovski, sind der Kampf gegen die Klimakrise und die Anpassung an die Klimafolgen nicht eigentlich das gleiche Problem?

Nein, Klimaanpassung und Klimaschutz sind nicht das Gleiche. Sie haben verschiedene Ziele. Beim Klimaschutz geht es darum, wie wir es schaffen, die Erwärmung zu stoppen. Es geht darum, die Ökosysteme und die Biodiversität zu erhalten. Bei der Anpassung liegt der Fokus auf dem Schutz und dem Überleben des Menschen. Die Welt ist jetzt schon erwärmt und sie wird sich weiter erwärmen, selbst wenn wir heute aufhören würden zu emittieren. Bestimmte Kipppunkte sind erreicht, bestimmte Prozesse sind losgetreten. Die Folgen spüren wir bereits.

Sollten wir uns dann nicht in erster Linie darum bemühen, mit den Klimafolgen zurechtzukommen – und die Jahrhundertaufgabe des Kampfes gegen den Klimawandel zurückstellen, weil die Katastrophe ohnehin unvermeidlich ist?

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Beides ist eine Jahrhundertaufgabe. Und der Kampf gegen den Klimawandel ist nicht aufgegeben, im Gegenteil. Es zählt jede Kommastelle. Aber ich bin auch Realistin und ich sehe: Die Klimakrise ist hier, und wir müssen lernen, uns anzupassen. Wenn wir das nicht tun, wird es immer schwieriger und immer teurer. Es wird gefährlicher, es wird Menschenleben kosten.

Warum ist es Ihnen so wichtig, Klimaschutz und Klimaanpassung zu trennen?

Ich habe das Gefühl, dass ich mit den Klimafolgen mehr Menschen erreiche. Es gibt nicht wenige Menschen, die das Klima verleugnen und Klimakleber hassen. Wenn ich mit ihnen aber über Anpassung spreche, sagen sie: Klar ist die Klimakrise hier, klar müssen wir uns vorbereiten. Meine Hoffnung ist, dass die Klimaanpassung wie ein trojanisches Pferd ist, mit dem wir reinkommen, um anschließend auch greifbarer und angstfreier darüber zu sprechen, was Klimaschutz auch sein kann.

Von welchen Bereichen sprechen wir bei der Klimaanpassung?

Das Wichtigste ist: Der Mensch braucht Wasser. Deshalb habe ich mich zuerst mit der Trinkwasserversorgung beschäftigt. Am überraschendsten war für mich, dass 52 Prozent unseres Trinkwassers von Kraftwerken zur Energiegewinnung verwendet wird. Dabei hatte ich immer gedacht, wir Verbraucher sind die Bösen. Getrennt davon habe ich mich mit Hochwasserschutz und dem Meeresspiegelanstieg beschäftigt, der noch nicht unser drängendstes Problem ist.

Beim Hochwasserschutz besteht offensichtlich Handlungsbedarf. Das zeigen die aktuellen Überschwemmungen in Italien und die schon wieder ein wenig in Vergessenheit geratene Flutkatastrophe im Ahrtal.

Für dieses Vergessen gibt es den Begriff Hochwasserdemenz. Das bedeutet, dass selbst Flutgeschädigte innerhalb weniger Jahre nur noch eine geringe Bereitschaft zu mehr Hochwasserschutz haben. Sie neigen dann dazu zu sagen: Naja, das ist passiert, jetzt können wir weiterleben und weiterbauen. Nein. Es kann genau dort wieder passieren. Da gibt es allerdings auch noch ein anderes Problem in Deutschland.

Welches?

Die Versicherungen sind zum großen Teil so gestaltet, dass Menschen an der gleichen Stelle das gleiche Haus wieder bauen müssen. Andernfalls zahlt die Versicherung nicht. Diese Menschen müssten aber an anderer Stelle neu bauen oder umziehen. Es ist ein großes Problem, dass bestimmte Gegenden als gutes Bauland ausgewiesen werden, obwohl sie eindeutig in einer Hochwassergefahrenlage liegen. Auch im Ahrtal war das der Fall.

Wie sähe eine Lösung aus?

Das Umweltbundesamt schlägt vor, einen Hochwassergefahrenpass für Häuser auszustellen, und nicht nur einen Energiepass. So weiß man beim Kauf eines Hauses, was passieren kann und welche Maßnahmen notwendig sind. Manchmal genügen ein paar bauliche Maßnahmen und man ist in Sicherheit.

Wo sind, neben der Wasserversorgung und dem Hochwasserschutz, noch Anpassungen notwendig?

Ein zweiter großer Bereich ist die Landwirtschaft. Schließlich müssen wir etwas essen. Dann die Energie, weil ohne Energie nicht viel geht. Und außerdem gibt es noch ein Kapitel, das mir sehr am Herzen liegt. Ich nenne es solidarisches Preppen.

Prepper sind bekanntlich Personen, die sich mit individuellen Maßnahmen gegen mögliche Katastrophen wappnen. Was ist solidarisches Prepping?

Dabei geht es nicht darum, dass man für sich zu Hause Lebensmittel hortet, sondern darum, wie man eine Gemeinschaft schafft, mit seinen Nachbarinnen und Nachbarn. Wie sorge ich für die älteren Menschen? Wie helfe ich Familien mit kleinen Kindern? Was passiert, wenn das Wasser mal im Haus ausfällt? Es geht also darum, sich gemeinsam auf Krisen vorzubereiten und soziale Strukturen zu schaffen.

Eine weitere Anpassung, die Sie beschreiben, betrifft das Thema Migration. Ein internationales Forschungsteam hat gerade in einer Studie gezeigt, dass bis Ende dieses Jahrhunderts ein Viertel der Weltbevölkerung einer Durchschnittstemperatur von 29 Grad Celsius ausgesetzt sein könnte. Ist eine wachsende Migration nach Deutschland und Europa nur eine Frage der Zeit?

Ja. Migration ist etwas, was uns treffen wird. Ich beschränke mich in meinem Buch bewusst auf Deutschland, um der Bevölkerung klarzumachen, dass wir uns anpassen müssen. Menschen müssen früher oder später innerhalb des Landes migrieren. Darüber hinaus werden wir viel Migration erfahren, aus Afrika, aus Südeuropa. Als Mitverursacher der Klimakrise und aufgrund der kolonialen Geschichte Deutschlands tragen wir dabei eine moralische Verantwortung und müssen migrierende Menschen aufnehmen.

Über eine andere Form der Anpassung haben wir noch gar nicht gesprochen: die emotionale und psychische Anpassung. Sie beschreiben auch eigene Klimaängste. Wie gehen Sie damit um?

Die Psychologie ist mir deshalb so wichtig, weil ich in meiner Arbeit immer wieder gemerkt habe, wie mich das gelähmt hat. Ich habe mich erschlagen gefühlt. Nicht nur von den Nachrichten, sondern von dem, was man alles machen müsste. Ich konnte nicht verstehen, was eigentlich in den nächsten Jahren in Deutschland passieren wird. Das hat mir Angst gemacht, besonders vor fünf Jahren, als ich meinen Sohn bekommen habe.

Wie haben Sie diese Angst bewältigt?

Das Schreiben des Buchs, die Recherche, die Gespräche mit Expertinnen und Experten und das Verstehen, was da eigentlich psychologisch passiert, haben mir geholfen. Ich muss eine Sache nicht kontrollieren, aber ich muss sie verstehen. Ich konsumiere Klimanachrichten bewusst nur zu einer bestimmten Tageszeit, nicht den ganzen Tag. Ich mache Pausen, ich rede mit Menschen darüber und habe Leute um mich, die das auch ernstnehmen. Es hilft, wenn man ein Gefühl von Gemeinschaft hat.

Das Interview führte Stefan Boes.

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