Ausblick nach der FlutkatastropheWie es den Menschen im Ahrtal zwei Jahre nach dem Hochwasser geht

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Zwei Passantinnen laufen durch die wieder aufgebaute Innenstadt von Bad Neuenahr-Ahrweiler. Manche Häuser werden aktuell noch renoviert.

In Bad Neuenahr-Ahrweiler kehrt knapp zwei Jahre nach der verheerenden Flutkatastrophe im Ahrtal langsam eine neue Normalität ein.

Wie es den Menschen in Bad-Neuenahr knapp zwei Jahre nach der Flutkatastrophe geht und wie der Wiederaufbau im Ahrtal voranschreitet.

Rebecca Lessmann

Rebecca Lessmann

Rebecca Lessmann, Jahrgang 1993, ist Redakteurin im Ressort Freizeit & Ratgeber/Magazin. Studierte English Studies und Deutsche Sprache und Literatur an der Universität zu Köln und volontierte anschli...

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Der Gestank von ölgetränktem Schlamm ist längst verflogen. Stattdessen hängt der Duft nach Frühling über dem Ahrtal in Rheinland-Pfalz: frisches Gras, süße Blüten, nasse Erde. Dennoch: Als an einem Abend im frühen Mai ein heftiger Regenguss über das Tal geht, ist sie wieder da. Die Angst vor einer Flutnacht wie die vom 14. auf den 15. Juli 2021, bald zwei Jahre vergangen. Unvorstellbare Wassermassen kamen innerhalb weniger Stunden vom Himmel. Die Ahr, eigentlich ein friedliches Flüsschen, schwoll an zum reißenden Strom, zerstörte Brücken, Straßen, Dörfer, Menschenleben entlang ihrer Ufer. Eine Jahrhundertkatastrophe, die bedingt durch die Klimakrise in Zukunft zunehmend wahrscheinlicher wird. „Wann hört der Regen wieder auf?“, fragen viele Kinder noch heute. Und auch die Nervosität vieler Erwachsener wiegt weiter grau und schwer und nass bei heftigem Niederschlag wie jetzt, im Mai.

Am nächsten Morgen scheint die Sonne über Bad Neuenahr-Ahrweiler. Und auch wenn die Ahr noch aufgeregt durch ihr Flussbett rollt, fließt das Leben im Ort wieder ruhiger weiter. Vom Pausenhof der Grundschule Bad Neuenahr schallt Kinderlachen, auf der Fußgängerzone im Ortskern werden Erledigungen gemacht, die Straßen werden bevölkert von Eltern mit Kinderwagen, von Joggern mit Hund und von allerlei Handwerkern. Denn auch wenn schon wieder vieles steht, was von der Flut zerstört wurde, dauert der Wiederaufbau an.

Auf einem Banner auf einer Baustelle in Bad Neuenahr prangt der Spruch: "We Ahr open".

"We Ahr open" verkündet ein Banner: Auch wenn noch nicht alles wieder steht, empfangen viele Hotels und Gaststätten wieder Touristen im Ahrtal.

So reihen sich Neubauten und strahlend weiß gestrichene Fassaden an schlammverschmierte Wände. Viele Hotels, Pensionen, Restaurants haben ihre Tore längst wieder geöffnet, während andere noch keine Gäste empfangen. Ein großes Banner verkündet: „We Ahr open!“ (zu Deutsch: „Wir haben geöffnet!“), davor steht ein Bauzaun, flattert ein Absperrband im Wind. Es gibt viele Gründe für das unterschiedliche Tempo beim Wiederaufbau: Einige warten auf die Auszahlung von Geldern, andere wissen noch immer nicht, ob sie überhaupt zurückkehren wollen, manche leiden zu sehr unter den Erinnerungen, haben in einigen Fällen eine Traumafolgestörung entwickelt. Andere sind endlich angekommen, haben sich ihr Leben wieder aufgebaut, oder sind gerade dabei. Für sie geht es nun darum, wieder zur Ruhe zu kommen.

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Nach der Katastrophe nach vorne blicken

Ein Stück die Ahr hinauf steht Oliver Piel in seiner Jugendherberge Bad Neuenahr-Ahrweiler. „Ich warte immer noch darauf, dass sich irgendwelche emotionalen Folgen bei mir bemerkbar machen, aber bisher ist nichts passiert“, sagt der Herbergsvater. Die Jugendherberge liegt nur wenige Meter von der Ahr entfernt, in der Flutnacht musste Piel mit den Kindern, die gerade dort auf Klassenfahrt waren, im oberen Stockwerk ausharren.

Nur Minuten nachdem Piel schnell noch Getränke und Snacks aus dem Speisesaal nach oben geholt hatte, lief das gesamte Erdgeschoss voll mit Wasser. „Zum Glück ist aber niemand hier zu Schaden gekommen. Ich glaube, sonst ginge es mir heute wahrscheinlich ganz anders“, die Erleichterung ist ihm anzuhören. Er trägt ein orangefarbenes T-Shirt, blaue Jeans, Turnschuhe, die Haare hält er kurz: praktikabel, einfach. Piel ist, wie so viele seiner Nachbarn, ein Macher-Typ. Auch in der Flutnacht dachte er nicht viel nach, packte an, wo es nötig war, versorgte die Kinder, half, sie zu beruhigen. Erst nach 48 Stunden, nachdem die Kinder aus den höher gelegenen Weinbergen abgeholt werden konnten, gönnte er sich etwas Schlaf.

Gastwirte im Ahrtal: Gäste müssen zurückkommen

Auch beim Wiederaufbau seiner Herberge hat Piel nicht lange gefackelt. Heute erinnern nur noch einige Fotografien und Zeitungsartikel, die in einer Ecke im modern gestalteten neuen Erdgeschoss aufgehängt wurden, an jene Nacht. Über die Gänge toben längst wieder Kinder und Jugendliche. Er wolle jetzt nach vorne blicken, sagt Oliver Piel. Zunächst in Richtung Sommer und Tourismussaison. Denn, da sind er und seine Kollegen sich sicher: Dieses Jahr müssen die Gäste zurückkehren ins Ahrtal, sonst war es das. „Wir müssen endlich aufhören, dieses Bild der Zerstörung zu zeichnen“, kritisiert er. „Ja, noch ist nicht wieder alles aufgebaut, aber vieles steht wieder!“ Doch ohne Gäste, die den Wein tränken, die in den frisch renovierten Hotelzimmern schliefen, in den schick ausgebauten Restaurants äßen, komme die Region nicht wieder in Schwung.

Knapp zwei Jahre nach der Flutkatastrophe existiert vieles nebeneinander an der Ahr: Wiederaufbau und Zerstörung, Hoffnung und Schmerz, Zukunft und Vergangenheit, Neuanfang und Frust. Schaufel und Gummistiefel muss heute niemand mehr mitbringen, um den Menschen im Tal zu helfen. Vielmehr kann Fluthilfe dieser Tage auch einen Ausflug, eine Reise an die Ahr bedeuten.

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