Nach der FlutDer Wiederaufbau ist in Schuld ein langer und schwerer Weg

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Die Zerstörungen, die die Flut 2021 an den Häusern in Schuld an der Ahr angerichtet hat, sind teils noch deutlich zu sehen.

Unterschiedliche Geschwindigkeiten: In einigen Häusern läuft der Wiederaufbau, in anderen noch nicht.

Schuld ist nach der Flutkatastrophe weit entfernt von Normalität. Ein Schritt dahin sollen die Passionsspiele sein.

Die Bilder des zerstörten Schuld sind nach der Flutkatastrophe um die Welt gegangen. 16 Häuser, Hallen und Werkstätten sind in dem Ort an der Ahr entweder weggespült worden oder mussten abgerissen werden. 144 von 320 Haushalten sind   betroffen. Der Schaden alleine an der kommunalen Infrastruktur beträgt 15 Millionen Euro. Eineinhalb Jahre danach kehrt diesen Samstag, 11. März, ein Stück Normalität zurück: Es werden wieder   Passionsspiele aufgeführt.

Ja, das sei ein Symbol dafür, dass es wieder aufwärtsgehe, sagt Olaf Justen. Der 51-Jährige steht an der Stelle der einstigen Hauptstraße von Schuld, die immer noch eine Piste ist. Er   deutet auf ein dickes Bündel großvolumiger gelber und blauer Leitungsrohre unterhalb eines abgebrochenen Stücks Asphalt. „Da stand mein Haus, genau da, wo die Trinkwasser- und Stromleitungsrohre liegen. Das Loch, das die Ahr gerissen hat, war tiefer als mein Keller.“

Olaf Justens Haus in Schuld wurde von der Ahr weggespült

Seit der Nacht im Juli 2021 ist Olaf Justen obdachlos, sein Häuschen hat die Ahr, die 7,87 Meter hoch in Schuld stand, weggespült. Justen hatte damals nur noch das, was er am Leibe trug: die Einsatzkleidung der Feuerwehr. Heute lebt er bei Bekannten in einem bescheidenen Zimmerchen. Wie war das damals? „Es ging nur darum, Menschenleben zu retten. Ich machte mir Sorgen um die, an die ich nicht mehr herankam“, erinnert sich Justen. „Es kommen immer noch so Dinge hoch“, sagt er, wenn er an die Stunden und die Tage danach denkt, in denen er Bindeglied zwischen Feuerwehr, Bundeswehr und THW war.

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Im Hintergrund rauscht die Ahr, die mit Regen- und Schmelzwasser nach dem Wintereinbruch Mitte der Woche angeschwollen ist und flussaufwärts erste Wiesenflächen flutet. Das schnell fließende, braune Wasser hat mit Ahr-Romantik hier, wo der Ahrsteig seine schönste Etappe entlang der Felsen mit den Aussichtspavillons ins Tal hat, nichts   zu tun.

Die Solidarität gibt es nicht mehr überall

Er hätte gerne trotzdem hier wieder aufgebaut, sagt Justen. Doch ihm und vier anderen aus Schuld ist das verboten. Aufgrund der neuen Risikokarten dürfen 34 Häuser zwischen Müsch und Sinzig nicht wiedererrichtet werden. 34 von 9000, die vom Hochwasser betroffen sind. Manche nennen das schlicht fahrlässig wenig.

Olaf Justen hat Bauland   gefunden. In einem von der Gemeinde neu erschlossenen Baugebiet in einem oberhalb gelegenen Ortsteil. Um die zehn Grundstücke sind geplant, viele   für Hochwassergeschädigte unten an der Ahr. Das Areal grenzt an ein älteres Neubaugebiet, offiziell   ist es Bauerwartungsland: Anwohner stellen sich quer, befürchten das Ende ihrer Wohnidylle am Ortsrand, allein schon durch den erwartbaren Baulärm. Also hat die Gemeinde ein nicht beklagbares Umlegungsverfahren eingeleitet. Solidarität? Nicht mehr überall, so Ortsbürgermeister Helmut Lussi: „Das macht mich fassungslos.“

Viele warten noch auf die Wiederaufbauhilfe vom Land

Die Zeiten, als alle anpackten nach der Katastrophe, sind   ein Stück weit Geschichte. „Das hat nachgelassen“, sagt Lussi, den die Gefahr des Auseinanderfallens der Dorfgemeinschaft bedrückt. Längst sind ja nicht alle Anträge auf Wiederaufbauhilfe bewilligt, auch eineinhalb Jahre danach noch nicht. „Ich habe eher das Gefühl, dass das Ganze jetzt in die Mühlen der Bürokratie geraten ist“, urteilt Olaf Justen, der ebenfalls auf Geld der rheinland-pfälzischen Investitions- und Strukturförderbank (ISB) in Mainz wartet. Eine Elementarversicherung für sein Haus hatte er nicht. 80 Prozent der Kosten werden gefördert, die fehlenden 20 könnte er über die Fonds der Aktionsbündnisse der Wohlfahrtsverbände decken. Doch bis dahin heißt es für ihn wie für viele in Schuld: warten.

Die Lage wäre noch schlimmer, wenn es nicht den Bürgerfonds Hochwasserhilfe der Verbandsgemeinde Adenau gegeben hätte, sagt Lussi. Allein für Schuld wurden rund 2,5 Millionen Euro gespendet, über acht waren es insgesamt für die sechs Überflutungsgebiete in der Gemeinde. „Wir sind mit dem Gemeinderat in alle Haushalte gegangen: ‚Schreibt auf, was fehlt oder kaputt ist‘, haben wir den Leuten gesagt“, so Lussi. Am Ende konnten zwischen 15.000 und 45.000 Euro pro Betroffenem auf dem kurzen Dienstweg ausgezahlt werden.

Der Wiederaufbau ist auch in Schuld längst noch nicht abgeschlossen

Doch wie geht es im Ort weiter? Immer noch gibt’s im historischen Ortskern tote Häuser, Brachen mit Lagerflächen für Baumaterial. Die alten Gassen sind kaum zu erahnen, überall stehen Behelfsstraßenlampen auf großen Boxen. Dazwischen neu gebaute Häuser und sanierte Fassaden. Es ist ein Flickenteppich.

Zwei Straßen sollen demnächst erneuert werden, verspricht Lussi, die Genehmigungen sind da. Im Mai soll es soweit sein – wenn die neue Trinkwasserleitung verlegt ist. Auch die unter Denkmalschutz stehende Domhofbrücke, die zwei Ortsteile verbindet, soll erneuert werden. Doch das Bodengutachten fehlt noch. „Aber die Gutachter warten ja nicht auf Schuld. Die werden an der ganzen Ahr gebraucht“, so Lussi. Dann fällt der Satz, den man immer wieder hört: „Anderen Orten geht es noch viel schlimmer als uns. Bei uns ist keiner ums Leben gekommen.“ Er habe angesichts all dessen, was in Schuld zu tun ist, noch Glück, sagt Lussi: „Ich bin 67 und seit vier Jahren im Ruhestand. Ich habe die Zeit dafür.“ Er wechselt das Thema: „Das hätte man damals wissen können. Man hätte die Bevölkerung rechtzeitig evakuieren können.“ Doch der damalige Landrat Jürgen Pföhler tat das nicht. Gegen ihn ermittelt die Staatsanwaltschaft unter anderem wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung im Amt durch Unterlassen.

Im Pfarrheim gibt's Hilfe zu den Wiederaufbauanträgen

Es ist eine Mischung aus Ärger, Wut und Verzweiflung bei Lussi – auch eineinhalb Jahre danach. Doch dann der Blick nach vorne: Vier neue Retentionsgebiete sind nun ausgewiesen, Flächen, die die Ahr künftig nutzen können soll. Eine überdeckt das einstige Grundstück von Olaf Justen. Man habe ihm   vorgeworfen, dass sein Haus den Abfluss der Ahr an der Stelle blockiert habe, sagt er und schüttelt den Kopf. Dass ihn die Telekom bat, als er seinen Festnetzanschluss abmelden wollte, er möge doch den Router zurückschicken, oder die RWE ihn aufforderte, vor Kündigung des Stromanschlusses den Zählerstand abzulesen, sind auch   Dinge, die man nicht für möglich hält. Justen und andere haben sie erlebt.

„Nach eineinhalb Jahren muss man aber auch sagen, es läuft jetzt besser mit den Anträgen“, sagt Manuela König im Pfarrheim. Die gelernte Kirchenmusikerin ist mit Vanessa Kläsgen bei der Helfer-Stab gGmbh angestellt, ein Bindeglied zwischen Betroffenen und ISB-Bank, wenn es um die Anträge auf Wiederaufbauhilfe geht. Ja, die Zahl lasse seit dem Dezember nach. „Aber es kommen immer noch Erstanträge“, so König. Die technische Ausfüllhilfe, die die beiden Frauen geben können, sei aber nur das eine, sagt König: „Genauso wichtig ist, dass wir zuhören, empathisch sind.“ Sie seien da schon so etwas wie Seelsorger.

Die Stimmung in Schuld ist oft angespannt und gereizt

Die Stimmung in Schuld ist eineinhalb Jahre nach der Flut eben alles andere als nur hoffnungsfroh. „Eher angespannt, gereizt“, hat Olaf Justen beobachtet. Die einen mitten im Wiederaufbau, die anderen warten noch auf die erste Tranche der   Gelder aus Mainz. „Aktuell sind wir rund ein halbes Jahr im Verzug“, schätzt   Lussi. Wie lange es dauert, bis das „neue Schuld“ fertig ist? Er weiß es nicht.

Die Info-Points, die es entlang der ganzen rheinland-pfälzischen Ahr gibt, sollen bis zum 30. Juni 2026 bleiben. So lange werden sie wohl auch gebraucht, glaubt Manuela König. Schließlich betreue man die Betroffenen, bis der Verwendungsnachweis der Gelder vom Gutachter abgestempelt ist. Bis dahin werden König und Kläsgen wohl noch viel Trost spenden. Dass das wirkt, spürt König, wenn die Menschen ihr Büro verlassen: „Ich sehe es in ihren Augen.“

Nun starten sie in Schuld eine andere Art von Trost und seelischem Wiederaufbau. Die Passionsspiele werden wieder aufgeführt. Es wird nicht der einzige Versuch sein, die Schulder zusammenzubringen. Der Junggesellenverein plant wieder eine Feier zum 1. Mai, und im Sommer spielt die Theatergruppe auf der Freilichtbühne. Und Schuld wird in diesem Jahr wieder Etappenort der „Tour de Ahrtal“ sein. Schuld soll Heimat bleiben. Als Olaf Justen realisiert hat, dass ihm nichts geblieben ist, ist ihm das bereits klar gewesen. „Und deshalb bleibe ich hier und baue wieder auf.“


Passionsspiele starten

Nach 15-jähriger Pause findet an diesem Samstag, 11. März, 19 Uhr, die Premiere der Passionsspiele Schuld statt.  Wie auch im ostbelgischen Kelmis sind bis Karfreitag neun Aufführungen in der Pfarrkirche geplant. Ein Herzensanliegen ist dies auch Resi Weiler. Sie ist seit 1979 Mitglied der Laientheaterspielschar, „eine Frau der ersten Stunde“.

Doch diese Premiere der seit 1983 im Drei- bis Vierjahresrhythmus aufgeführten Passion ist etwas Besonderes. Zu lange dauerte die Unterbrechung: erst zwei Todesfälle im Ensemble nach einem Verkehrsunfall, der zu einem Stopp aller Proben bis 2019 führte, dann Corona, dann die Flut.

Sie habe sich deshalb besonders dafür eingesetzt, so Weiler: „Die Passion hat in Schuld einen ganz hohen Stellenwert.“ Es sei ein Stück Normalität, auch wenn Schuld insgesamt von Normalität noch weit entfernt ist.

56 Schauspieler und 15 Menschen hinter den Kulissen wie Resi Weiler, die für Kostüme, Kartenvorverkauf und Abendkasse zuständig ist, haben sechs Wochen lang die vom Pfarrer Gerold Rosenthal geschriebene Fassung der Leidensgeschichte Christi einstudiert. In der Woche vor der Premiere sogar jeden Abend.

Die Regie der zweistündigen Aufführung hat Matthias Beer aus Trier. Nico Heinrich, der den Jesus spielt, kommt aus Bonn – insgesamt ist nur ein Viertel der sieben bis 79 Jahre alten Akteure aus Schuld. Die Mehrzahl reist aus den Dörfern im Umkreis an. „Wir spielen das Stück als Geschichte, die sich Menschen erzählen“, so Beer. Das passt zur Vorlage, denn die Rosenthal-Passion gilt als „nüchtern und klar“.

Am 1. Juli steht die nächste Premiere an: Auf der Freilichtbühne wird an sechs Sommerwochenenden „Jim Knopf und die Wilde 13“ nach Michael Endes Kinderbuch-Bestseller gezeigt. Karten gibt es noch für einige der neun Passions-Aufführungen, erhältlich sind sie im Vorverkauf online oder unter Tel. 02695/931860. (sli)  

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