Leiterin des Traumazentrums„Viele Leute sind sehr dünnhäutig geworden – der Ton im Ahrtal ist rauer“

Lesezeit 4 Minuten
Brachflächen, Baustellen und die zerstörte Eisenbahnbrücke über die Ahr prägen das Ortsbild von Altenahr-Kreuzberg (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Brachflächen, Baustellen und die zerstörte Eisenbahnbrücke über die Ahr prägen immer noch das Ortsbild von Altenahr-Kreuzberg (Luftaufnahme mit einer Drohne).

Auch fast zwei Jahre nach der Flut gibt es im Traumahilfezentrum im Ahrtal viel zu tun. Wie es den Menschen in der Region jetzt geht.

Viele Menschen suchten erst jetzt psychologische Hilfe, sagt die Leiterin des Zentrums, Katharina Scharping, am Dienstag im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Doch Therapieplätze fehlten an allen Ecken und Enden.

Frau Scharping, wie nehmen Sie den seelischen Zustand an der Ahr wahr?

Katharina Scharping: Ich erlebe berufsbedingt überwiegend Menschen, denen es schlecht geht. Davon unabhängig nehme ich wahr, dass die Schere inzwischen deutlich auseinander geht. Manche sind finanziell abgesichert, haben inzwischen ihr Zuhause wieder aufgebaut und ihr normales Leben wieder. Direkt daneben stehen kaputte Häuser, deren Besitzer Schwierigkeiten haben, an Gelder zu kommen. Manche leben seit fast zwei Jahren auf einer Baustelle und wissen nicht, ob sie wirtschaftlich überleben. Diesen Leuten geht es oft auch seelisch schlechter. Ein Teufelskreis.

Katharina Scharping spricht vor einem Mikrofon

Katharina Scharping, Leiterin des Traumahilfezentrums für das Ahrtal

Wie erleben Sie die Atmosphäre im Ahrtal?

Viele Leute sind sehr dünnhäutig geworden, aggressiver, geraten schneller in Konflikt miteinander. In einigen Betrieben, in denen man früher freundlich miteinander umgegangen ist, herrscht jetzt ein rauer Ton. Ins Traumahilfezentrum kommen immer mehr Menschen, die nicht mehr können. Die sagen: Alle in meinem Umfeld sind krankgeschrieben, ich bin allein auf meinem Arbeitsplatz, es gibt kein Backup mehr. Viele sind langzeitkrank nach der Flut oder weggezogen. Das macht es ungemütlicher für die, die noch da sind.

Kommen immer noch Menschen zum ersten Mal ins Traumahilfezentrum?

Ganz viele sogar. Einige erkennen, dass ihre Lage nicht von selbst besser wird. Manche können sich erst jetzt überwinden. Andere kommen im normalen Hilfesystem nicht mehr unter, weil es keine Plätze und auch keine Wartelisten gibt. Dazu kommt, dass man im Prinzip keine Chance auf einen Therapieplatz hat, wenn man kein Flutopfer ist. Im Extremfall kann das bedeuten: Menschen haben ihre Nachbarn tot vorbeischwimmen sehen. Sie selbst haben aber die falsche Adresse für eine Flutbescheinigung. Die haben dann Pech. Eine Flutbescheinigung hilft, an einen Therapieplatz zu kommen.

Klingt nicht sonderlich gerecht. Schürt das Frustration?

Die nimmt zu, denn was die Gutachter sagen, welche Gelder kommen, ob man einen Therapieplatz bekommt – diese Dinge sind einfach nicht ganz gerecht. Wer sonst gut im Leben zurechtkommt, dem gelingt Organisatorisches wie Handwerker bekommen, Gelder beantragen, sich auf Wartelisten durchsetzen oft besser. Wer seelisch krank ist, vielleicht noch alkoholabhängig, für den ist das viel schwieriger. Auch alte oder nicht gut Deutsch sprechende Menschen sind von Hilfsangeboten mehr abgeschnitten.

Direkt nach der Flut wurde der Zusammenhalt beschworen.

Das hat sich meiner Wahrnehmung nach sehr gewandelt. Am Anfang waren die Leute beseelt von dem Gefühl, sich zu helfen, Fortschritte zu machen. Man hat das Zusammensein auch idealisiert. Wenn Menschen ein Trauma erleben, suchen sie Bindung. Das ist passiert.

Was steht dem Zusammenhalt jetzt im Weg?

Für viele gibt es noch kein Happy End. Das kann frustrieren und verärgern, sowohl die Betroffenen als auch die Helfenden. Dazu kommt noch ein anderer Punkt: Aus der Forschung weiß man, dass die Gefahr einer sekundären Traumatisierung umso größer ist, je öfter Menschen das gleiche traumatische Schicksal hören. Das passiert hier natürlich, weil viele Menschen das Gleiche erlebt haben und immer wieder ähnliche Geschichten hören. Man schläft schlechter, ist schreckhafter, sensibler, kann Gefühle schlechter regulieren. Es steht auf der Kippe, ob die frustrierte Katastrophen-Endzeitstimmung Oberhand gewinnt oder der Wunsch, gemeinsam kreativ etwas Neues aufzubauen.

Begleitung und Therapie könnten da helfen. Sie sagten, hier fehlen Therapieplätze. Von wie vielen Plätzen sprechen wir?

Die Frage nach dem Bedarf ist ein Streitpunkt. Denn es findet sich niemand, der das erforscht. Von der Flut sind hier etwa 40.000 Menschen betroffen. Man müsste erfassen, wie viele Menschen psychisch erkrankt sind, wie viele einen Therapieplatz haben und wie viele einen bräuchten. Diese Daten werden für das Ahrtal aber nicht erhoben, entsprechend gibt es keine Argumentationsgrundlage. Tatsache ist, dass bei uns immer noch viele unbehandelte Menschen ankommen und angeben, dass sie keinen Platz gefunden haben.

Im Traumahilfezentrum können Sie Hilfesuchenden fünf Sitzungen anbieten. Was lässt sich in dieser recht kurzen Zeit sinnvoll umsetzen?

Wir erklären, warum jemand welche Symptome hat. Dann hadern die Menschen weniger damit. Vielen hilft es, wenn sie merken, dass sie nicht die einzigen mit einem Problem sind und dass es nicht schlimm ist, sich Hilfe zu suchen. Wir vermitteln Techniken zum Selbstberuhigen und gegen Ängste. Und dann schauen wir, welche Art Hilfe jemand braucht, und organisieren längerfristige Unterstützung. Konkret bedeutet das manchmal auch, Psychotherapeuten abzutelefonieren für Leute, die das gerade selbst nicht schaffen. Das Gespräch führte Anna Fries/KNA

KStA abonnieren