WeltnaturschutzgipfelBleibt das „30-mal-30-Ziel“ Wunschdenken?

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Elefanten stehen im Ruaha-Nationalpark

Der Weltnaturgipfel findet derzeit in Kanada statt.

30 Prozent der Erde bis 2030 unter Naturschutz stellen – um dieses Vorhaben soll es bei der Weltnaturschutzkonferenz, kurz COP15, gehen. Doch ist dieses „30-mal-30-Ziel“ überhaupt realistisch? Fachleute haben Zweifel.

Das „30-mal-30-Ziel“ ist ambitioniert: Bis 2030 sollen 30 Prozent der weltweiten Landes- und Meeresgebiete unter Naturschutz stehen. Bislang ist dieser Schutzstatus nur bei rund 17 Prozent der Landflächen und 7 Prozent der Meere gegeben. Die Anstrengungen der Weltgemeinschaft müssten sich also nahezu verdoppeln, wenn nicht sogar vervierfachen. Wie das gelingen soll, darüber beraten ab Mittwoch mehr als 290 Länder auf der UN-Biodiversitätskonferenz COP15 im kanadischen Montréal.

Thomas Brey blickt schon jetzt skeptisch auf den Weltnaturschutzgipfel: „Ich denke, wir werden das nicht hinkriegen“, sagte der Leiter der Sektion „Funktionelle Ökologie“ am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung dem Science Media Center (SMC). Er setzt sich schon seit längerer Zeit dafür ein, dass das antarktische Weddellmeer zum Naturschutzgebiet wird, und trifft dabei immer wieder auf politische Widerstände, vor allem aus Asien und Russland.

Nun 30 Prozent der Meere unter Naturschutz zu stellen, werde nicht funktionieren, ist Brey überzeugt. „Da müssten sich schon auf wundersame Weise die geopolitischen Kräfteverhältnisse ganz überraschend verschieben, sodass eine Einigung erzielt werden könnte“, sagte er.

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Zu viele Zahlen, zu wenig Konkretes

Besonders ein Aspekt des „30-mal-30-Ziels“ bereitet Brey nach eigenen Angaben „extreme Kopfschmerzen“. Statt sich darauf zu konzentrieren, die Ökosysteme vor der Zerstörung zu bewahren und nachhaltig zu nutzen, fokussiere sich die Weltgemeinschaft zu sehr auf die festgelegten Prozentwerte. „Wir machen die Maßzahlen zum Ziel unserer Aktion, und das ist extrem gefährlich“, warnte der Wissenschaftler. Dann gehe es nur noch darum, so viel Fläche wie möglich zu schützen – „egal wo, egal wie“. „Man verliert das eigentlich Ziel aus den Augen, nämlich da zu schützen, wo es wichtig ist.“

Dieses Risiko sieht auch Almut Arneth. Mit den Zahlenzielen seien keine konkreten Effizienzziele verbunden, sagte die Professorin vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung – Atmosphärische Umweltforschung gegenüber dem SMC. Unkonkret wird es etwa bei Fragen wie „Wo entstehen die Schutzgebiete?“, „Wie werden sie gemanagt?“ und „Wie werden sie finanziert?“. Aktuell sei alles einfach „zu schwammig formuliert“, findet sie. Es fehle die nötige Balance.

Schutzgebiete an Land haben wirtschaftliche Folgen

Große Widerstände gegen Naturschutzgebiete gebe es nicht nur hinsichtlich der Meere, sondern auch der Landflächen, sagte Arneth ferner. 70 Prozent der Flächen würden heute vom Menschen beeinflusst, allein 50 Prozent durch intensive Landwirtschaft, um Nahrungsmittel und Futter zu produzieren. Da ist für Schutzgebiete kaum noch Platz.

Hinzu kommt, dass in geschützten Gebieten jegliche menschliche Nutzung untersagt wäre – was für die Biodiversität zwar von Vorteil wäre, jedoch nicht für die Ernährung der Menschheit. Nahrungs- und Futtermittelproduktionen müssten auf kleineren Flächen stattfinden, was wiederum die Preise der Produkte in die Höhe treiben würde. Oder sie müssten in andere Länder verlagert und von dort aus expandiert werden, was andere Nachteile mit sich bringen würde. Schlussendlich müsse deshalb auch das eigene Konsumverhalten hinterfragt werden, mahnte die Ökosystemforscherin.

Klimawandel und Artensterben hängen zusammen

Ein verändertes Konsumverhalten ist auch eine der Forderungen, die das Leibniz-Forschungsnetzwerk Biodiversität am Montag in seinen „zehn Must-dos aus der Biodiversitätsforschung“ stellte. Weg vom Fleischkonsum lautet die Devise. Die Landwirtschaft müsse ökologischer werden. Die vorhandenen Subventionsmittel müssten gezielt für die Transformation der Landwirtschaft eingesetzt werden, um die Artenvielfalt zu stärken, forderten die Forschenden. Außerdem sprachen sie sich dafür aus, den Wald vor Raubbau zu schützen und fit zu machen für ein Leben im Klimawandel, Städte anders zu gestalten, Böden zu entsiegeln und Straßenbäume zu pflanzen.

Diese Maßnahmen haben gleich einen doppelten Nutzen: Sie wirken dem Artensterben und dem Klimawandel entgegen. Letzterer nimmt zudem ebenfalls Einfluss auf die Biodiversitätskrise. Deshalb könnten beide Krisen auch nicht losgelöst voneinander betrachtet werden, machte Arneth deutlich. „Wir können uns die besten Schutzgebiete dieser Welt überlegen, wenn der Klimawandel so schnell voranschreitet, dass sich die Vegetation in diesen Gebieten verändert, sich Tierarten woanders hinbewegen, weil es ihnen zu warm wird oder zu trocken, dann haben wir in zehn bis 20 Jahren tolle Schutzgebiete, die ihren Zweck aber nicht mehr erfüllen.“

Finanzierung der Schutzgebiete ist auch Aufgabe des Nordens

Der größte Knackpunkt der Weltnaturschutzkonferenz wird aber wohl die Finanzierung. Besonders viel Biodiversität, die erhalten werden muss, gibt es im globalen Süden. Dort müssten folglich viele Schutzgebiete entstehen. Katrin Böhning-Gaese sieht hier auch die Verantwortung bei den reicheren Ländern im globalen Norden. Sie müssten Finanzierungsmechanismen etablieren, damit die Schutzzonen nicht nur auf dem Papier entstehen, sondern auch in der Realität umgesetzt werden.

„Schutzgebiete sind ein wesentliches Instrument des Naturschutzes“, sagte die Direktorin des Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrums dem SMC. Nach Schätzungen von Fachleuten sind rund eine Million Tier- und Pflanzenarten aktuell vom Aussterben bedroht. Schutzzonen würden ihnen die Möglichkeit bieten, sich ohne menschliche Einflüsse zu entwickeln. Aus Sicht von Böhning-Gaese sei es wichtig, dass diese Gebiete mit der indigenen und lokalen Bevölkerung vor Ort entstehen.

„Natürlich müssen wir unseren Beitrag leisten“, meinte auch Arneth mit Blick auf die Vorreiterrolle des globalen Nordens bei der Finanzierung. Die finanziellen Mittel, die aktuell im Raum stünden, seien jedoch „eine Unverschämtheit“, geradezu „lachhaft“. Zum Beispiel würde Deutschland derzeit mehr Geld für eine Gaspreisbremse ausgeben als für den Naturschutz. „Da muss man sich schon fragen: Sind die Prioritäten richtig gesetzt?“

„30-mal-30-Ziel“ ist „Minimalziel“

Arneth ist gleichermaßen unsicher, ob das „30-mal-30-Ziel“ umsetzbar ist. „Möglich ist es, aber nur mit unterschiedlichsten Akteuren, die da zusammenspielen.“ Dazu zählten etwa Regierungen, die Subventionen sinnvoll setzen müssten, aber auch die Verbraucherinnen und Verbraucher. „Und wenn wir das schaffen, dann wäre es auf jeden Fall möglich.“

Biologin Böhning-Gaese spricht wiederum von einem „Minimalziel“. „Wenn wir das ‚30-mal-30-Ziel‘ nicht umsetzen – mit dem Beisatz, dass das gut gemanagte Gebiete sind, die gut mit anderen Gebieten verbunden sind –, dann wäre dieser Weltnaturgipfel wirklich gescheitert.“

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