Gutachter rückt von seiner Aussage ab

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Auch gestern kein Wort vom Angeklagten: J. schweigt.

Auch gestern kein Wort vom Angeklagten: J. schweigt.

Überraschende Wende im Mordprozess Alina: Ein Gerichtsmediziner, dessen Gutachten den angeklagten Stiefvater zunächst schwer belastet hatte, nimmt seine erste Aussage zurück.

Refrath / Köln - Es war von Anfang an klar, dass es die Schmauchspuren sein werden, die den Angeklagten überführen oder ihn entlasten. Doch was gestern im Landgericht ablief, war so nicht zu erwarten. Erneut traten die Gutachter in Aktion - darunter auch Dr. Christian Schyma vom Rechtsmedizinischen Institut der Uni Saarland. Seine Expertise war es, die die Staatsanwaltschaft letztlich dazu veranlasst hatte, Mordanklage gegen den Stiefvater zu erheben. Schyma hatte nämlich herausgefunden, dass Schaumstoffpartikel vom Ohr der Toten keine Unterschiede aufwiesen zu Rückständen an der Kleidung des Stiefvaters. Schlussfolgerung: Jimmy J. hat geschossen oder neben dem Schützen gestanden.

Diese Aussage löste sich gestern weitgehend in Luft auf. Schyma musste zugeben, dass er sich geirrt hatte. Polyethylen-Rückstände von der Kleidung des Stiefvaters sind lediglich identisch mit Resten, die man an einem Farbeimer im Keller gefunden hat. Die Partikel an Alinas Ohr sind von ganz anderer Zusammensetzung. Schyma betonte, dass sein erstes Gutachten „nur vorläufigen Charakter“ gehabt habe. Und er deutete auch an, dass er vom Oberlandesgericht, das bei Jimmy J. mehrfach über Haftprüfungsgründe zu entscheiden hatte, zur Eile gedrängt worden sei.

Der Leitende Oberarzt aus Homburg / Saar war erst im Januar 2003 von der Mordkommission gebeten worden, sich in die Spurensicherung einzuschalten. Die Tat geschah am 23. Dezember 2002. Zur genaueren Untersuchung hatte ein Kölner Rechtsmediziner seinem saarländischen Kollegen später auch das rechte Ohr von Alinas Leichnam geschickt, das bei der Obduktion aus Ermittlungsgründen abgetrennt worden war. Der Täter hatte die junge Frau mit einem Schuss durch dieses Ohr in den Kopf getötet. Bei der Untersuchung des Geschoss-Schmauchs war Schyma dann auf die Polyethylen-Spuren gestoßen.

Von der Verteidigung wurde Schyma wegen seiner unterschiedlichen Aussagen scharf angegangen. Rechtsanwalt Thomas Ohm: „Aufgrund Ihres ersten Gutachtens sitzt unser Mandant jetzt seit einem Jahr in Untersuchungshaft.“

Kurz bevor das Wort „unschuldig“ in die Debatte geworfen werden konnte, schaltete sich der Vorsitzende Richter ein. Mit sichtlicher Verärgerung sagte Bruno Terhorst: „Halt! Es gibt ja auch noch andere Beweise.“ Zur allgemeinen Überraschung richtete er sich direkt an den Stiefvater: „Herr J., jetzt wäre es an Ihnen, endlich mal was zu sagen.“ Der Angeklagte war zunächst perplex. Bis seine Anwälte ihm signalisierten, dass er weiter schweigen möge.

Mit „andere Beweise“ meinte der Richter das Gutachten eines Ballistikers, der am Freitag ausgesagt hatte, dass drei im Keller des Mordhauses gefundene Projektile wahrscheinlich aus der selben Waffe stammen, mit der Alina getötet wurde. Diese drei möglicherweise schon vor Monaten zu Übungszwecken abgefeuerten Schüsse werden dem Angeklagten zugeschrieben.

Zusätzlich belastet wurde er gestern durch die Analyse eines LKA-Beamten. Der hatte die Kleidungsstücke mehrerer Personen auf Schmauchspuren untersucht. Ergebnis: Hosen, Hemden, Jacken, Pullover und Schuhe von Jimmy J. wiesen zum Teil große Partikelmengen auf, wie sie beim Abfeuern von Waffen entstehen.

Auch dieser Gutachter hatte eine kleine Überraschung parat. Er konnte nämlich nachweisen, dass diese Schmauchspuren nicht von der Munition stammen können, die man bei einer von J. im Videorecorder versteckten Waffe gefunden hat. Soll heißen: Er hat auch noch mit anderer Munition hantiert. Mehr noch: Der Gutachter war sich sicher, dass der Schmauch an der Kleidung identisch ist mit dem Schmauch, den jene brasilianischen Patronen produzieren, von denen eine beim Mord an Alina benutzt worden war. Aber ob diese Rückstände ausgerechnet vom tödlichen Schuss stammen, könne man nicht feststellen, sagte der Experte.

Der Prozess wird am Freitag fortgesetzt. Dann sollte nach ursprünglicher Planung das Urteil gesprochen werden. Dazu wird es noch nicht kommen. Die Verteidigung hat einen weiteren Entlastungszeugen benannt: Einen renommierten Büchsenmacher aus Backnang. Der soll aussagen, dass ein Privatmann wie Jimmy J. gar nicht in der Lage sei, an der heimischen Drehbank einen funktionsfähigen Schalldämpfer zu basteln.

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