HistorieDen Heimatbegriff missbraucht

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Die Autoren (von links): Michael Schröders, Dr. Reinhold Weitz, Hans-Gerd Dick, Benjamin Obermüller, Dr. Gabriele Rünger und Dr. Rolf Klüsener. (Bild: Heinen)

Die Autoren (von links): Michael Schröders, Dr. Reinhold Weitz, Hans-Gerd Dick, Benjamin Obermüller, Dr. Gabriele Rünger und Dr. Rolf Klüsener. (Bild: Heinen)

Kreis Euskirchen – Mit der Vorlage des letzten Bandes der Trilogie „Nationalsozialismus im Kreis Euskirchen“ schloss der Kreisgeschichtsverein jetzt eine über die Kreisgrenze hinaus beachtete zehnjährige Forschungsarbeit ab. Der Inhalt des bereits im Handel käuflichen Buches knüpft nach den Worten der Vorsitzenden Dr. Gabriele Rünger wiederum an den Auftrag des Kreistages aus dem Jahr 2001 an, als der Geschichtsverein mit der Erforschung der braunen Vergangenheit der Region betraut wurde.

Die ersten beiden Bände waren bereits 2007 durch den damaligen Kreisvorsitzenden Dr. Reinhold Weitz vorgelegt worden, der selbst auch wesentliche Inhalte erarbeitet hatte. Das Interesse war riesengroß, in wenigen Wochen war die erste Auflage verkauft. Bald stellte sich aber heraus, dass Teilbereiche, nämlich Kultur, Wirtschaft und Tourismus im Nationalsozialismus, zur Abrundung fehlen. Jetzt ist die Lücke geschlossen.

Schicksal des Heinz Petry

Vorangestellt sind dem Werk zwei autobiografische Darstellungen der Jugend im Nationalsozialismus von Dr. Rolf Klüsener (Euskirchen) und Karl Johann Hoffmann (Großbüllesheim). Hans-Gerd Dick (Zülpich) schrieb endlich die längst überfällige wissenschaftlich fundierteDarstellung zu dem Euskirchener Jugendlichen Heinz Petry. Der kaum dem Knabenalter entwachsene Schüler wurde beim Kriegsende als Kindersoldat missbraucht und als Spion hinter die Linie der Westfront geschleust, bereits nach einem Tag aufgegriffen und von einem Militärgericht zum Tode verurteilt.In der Zeit grassierte bei den Westalliierten die von der NS-Propaganda geschürte Angst vor deutschen Freischärlern, die im Rücken der Front angreifen könnten. In diesem Klima war das nach Dicks Einschätzung auch zur Abschreckung gedachte drakonische Urteil gegen den 16-Jährigen angesiedelt.

Abschiedsbrief

Heinz Petry hinterließ einen bemerkenswerten und in weiten Teilen anrührenden Abschiedsbrief an die Familie, den er in der Nacht vor der Exekution nahe Braunschweig zu Papier brachte. Dick zitiert in seinem Fazit einen Historiker-Kollegen mit der Formulierung, Petry sei ein Jugendlicher gewesen, „der in den Strudel einer aus den Fugen geratenen Zeit gerät, die ihn verschlingt“.

Die von Reinhold Weitz verfassten Kapitel zum Kulturleben im Nationalsozialismus zeichnen gemäß der Unterzeile ein Bild „zwischen Heimatbewegung und Blut- und Boden-Ideologie“. Solche Vorstellungen fielen jedoch keineswegs 1933 vom Himmel, sondern sie reihten sich nahtlos in lange vorher bestehende und später fortdauerndeTendenzen ein. Die „Wiedergeburt völkischer Kultur“ ging einher mit einem Missbrauch des Heimatbegriffs. Weitz’ Darstellung umfasst alle Sparten des Kulturlebens in Eifel und Voreifel, vom Film über Presse, Literatur und Malerei bis hin zur Architektur als steingewordene Ideologie.

Benjamin Obermüllers Darstellung zur Geschichte der Tuchfabrik Müller steht exemplarisch für den Wirtschaftszweig, der dank der nationalsozialistischenVorliebe für Uniformen eine rasante Konjunktur erlebte.

Gabriele Rünger präsentiert, daran anschließend, die bereits ab 1930 geplante Steinbachtalsperre als Fallbeispiel nationalsozialistischer Förderung von Wirtschaft und Fremdenverkehr. Dem Beitrag ist unter anderem zu entnehmen, dass das an sich zur Förderung der Tuchindustrie errichtete Staubecken alsbald als Ausflugsziel der nationalsozialistischen Organisation „Kraft durch Freude“ herhielt. Stefan Wunsch präsentiert einen anschaulichen Zwischenstand seiner Arbeit zur regionalen Außenwirkung der Nazi-Ordensburg Vogelsang. Im Gegensatz zu landläufig verbreiteten Einschätzungen weist er nach, dass die Erbauer sehr gezielt den Bauplatz an der Peripherie des Reiches in der Eifel auswählten. Dahinter stand durchaus die Vorstellung, dass eine solche ideologisch überfrachtete Prestige-Architektur Strahlungswirkung auf das weite Umland entfalten würde. Tatsächlich entwickelte sich die Anlage zum vielfach besuchten Touristenziel. Ein Aachener Reiseunternehmen bot mehrfach in der Woche Bustouren zur NS-Ordensburg an.

„Eifel-Investment“

Zugleich wurde die Großbaustelle zum „Eifel-Investment“, wie Wunsch formulierte. Neben anderen Bauprojekten wie der Rurtalsperre bot Vogelsang wohl durchschnittlich um die 800 Arbeitsplätze an der Baustelle. Das schlachtete die NS-Presse ausgiebig aus. Wunsch belegt jedoch, dass diese Überlieferung mit Skepsis zu hinterfragen ist. Allenfalls beim ersten Bauabschnitt profitierten in größerem Stil Unternehmen aus der engeren Region.

Während sich alle anderen Autoren angesichts der Zielgruppe des Buches um allgemeinverständliche, gut lesbare Texte bemühten, legte Michael Schröders (Bonn) auf gut 70 Seiten teilweise schwer verdauliche Kost vor. Bei der Arbeit zur NS-Geschichtsideologie und zum Geschichtsbild, das an den Ordensburgen vermittelt wurde, griff Schröders exemplarisch im Wesentlichen auf das Beispiel des Historikers Erich Maschke zurück. Leider ist die sehr weit ausholende Darstellung mit wissenschaftlichen Fachbegriffen überfrachtet. Bandwurmsätze, die sich mit Einschachtelungen teilweise über neun Zeilen im Buch erstrecken, verleiten den Nicht-Fachwissenschaftler wohl zum Beenden der Lektüre. Hier wäre ein konsequentes Lektorat oder der Verzicht auf den Beitrag angebracht gewesen.

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