Interview„Ein Prozess freiwillger Gleichschaltung”

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Livni oder Netanjahu? Iris Hefets sieht kurz vor den Wahlen in Israel zwischen den Parteien keine großen Unterschiede. (Bild: AFP)

Livni oder Netanjahu? Iris Hefets sieht kurz vor den Wahlen in Israel zwischen den Parteien keine großen Unterschiede. (Bild: AFP)

KÖLNER STADT-ANZEIGER: Frau Hefets, Sie sind Jüdin und haben vor sechs Jahren Israel aus „politischen Gründen“ verlassen. Was heißt das konkret?

IRIS HEFETS: Ich hatte keine Perspektive mehr gesehen. Materiell war alles gesichert: Wir hatten Arbeit, ein Haus, wir hatten ein Auto. Ich bin im Süden Israels, in Beer Sheva geboren, das mittlerweile in Reichweite der palästinensischen Kassam-Raketen liegt. Später lebten wir zwischen Tel Aviv und Jerusalem. Problematisch wurden für mich im Laufe der Zeit die Privilegien, die ich als Jüdin hatte ...

Es ist eher selten, dass sich jemand über eigene Privilegien beklagt.

HEFETS: Nun, als Pharmavertreterin arbeitete ich in Krankenhäusern. Bei Einlasskontrollen merkte die Wache, ob man einen arabischen Akzent hatte oder nicht. Arabischer Akzent bedeutete immer: Das Auto wurde durchsucht. Obwohl ich selber als israelische Jüdin nicht betroffen war, störte mich dieses Vorgehen, diese Ungleichbehandlungen. Das führte im Alltag oft zu der Situation, dass arabische Bürger zum Beispiel einen Bus verpassten, weil sie erst einmal von Sicherheitskräften überprüft wurden.

Ist das aus den Erfahrungen in Israel nicht irgendwie nachvollziehbar?

HEFETS: Man könnte auch sagen, es machte Sinn, die Berliner Mauer zu bauen, da mehr und mehr Menschen aus der DDR flohen. So etwas löst aber nicht das Problem, sondern verstärkt es nur. Ein anderes Beispiel: Während der zweiten Intifada wurden meine Kinder in der Schule einer regelrechten Gehirnwäsche unterzogen. Die Armee wurde verherrlicht, überall hingen Politiker-Fotos, die Israel-Fahne. Wer protestierte, war ein Verräter.

Sie sind mit einem Deutschen verheiratet, leben in Berlin. Ist es jetzt einfacher für Sie?

HEFETS: Ja natürlich. Deutschland ist keine kollektivistische Gesellschaft wie die israelische. Das Individuum zählt mehr.

Aber Sie kritisieren auch, die Deutschen hätten ein Zerrbild von Israel. Dann rücken Sie es doch einmal gerade.

HEFETS: Trotz aller kollektivistischen Anwandlungen: Die israelische Gesellschaft ist sehr zerrissen. Die Kluft zwischen Arm und Reich wird immer tiefer, und diese Entwicklung steht immer im Zusammenhang mit der Herkunft. Die Ashkenasi, die europäischen oder nordamerikanischen Juden, gehören zur Oberschicht. Die Mittelschicht ist geschrumpft, und mit den zunehmenden Sicherheitsproblemen sind Dreiviertel des Kapitals in die Hände von 20 Familien geraten. Fast alles wurde privatisiert. Als ich Israel verließ, bekam ich für meine Kinder 200 Euro Kindergeld, jetzt liegt dies bei 100 Euro. Und das Leben in Israel ist teurer als das in Berlin bei gleichzeitig abnehmendem Lohnniveau. Das heißt unter dem Strich: Wenn man nicht arbeitslos ist, arbeiten zumeist beiden Elternteile, trotzdem aber reicht das Geld oft nicht aus, wenn die Löhne überhaupt bezahlt werden. Die rechtliche Absicherung der Bürger ist mangelhaft, wenn man zum Beispiel gerichtlich gegen die ausbleibenden Löhne vorgehen will. Man hat nicht das Gefühl, dass der Staat einem hier hilft.

Sie sind Mitglied in der Vereinigung "Jüdische Stimme für gerechten Frieden". Was fehlt an einem gerechten Frieden?

HEFETS: Dass die Israelis verstehen, dass sie im Nahen Osten leben und keine Kolonialmacht sind. Das heißt, wenn sie überhaupt irgendeine Lösung finden wollen - wobei ich an dieser Motivation manchmal zweifele -, dann müssen sie mit den Palästinensern in Augenhöhe sprechen. Nur die Einsicht in ein gemeinsames Leben wird Frieden bringen. Eine Zukunft nach dem Motto „Wir oder die anderen“ ist nicht die Lösung.

Also sollen die Israelis auch mit der Hamas sprechen?

HEFETS: Die Hamas, die in den Anfängen übrigens von den Israelis im Kampf gegen die PLO finanziert wurde, ist vom palästinensischen Volk gewählt worden. Und auch darüber könnte man einmal nachdenken: Deutsche Bundeskanzler haben mit den DDR-Regierungen gesprochen, obwohl die nicht demokratisch gewählt und auch gerade gewaltfrei waren. Politik macht man leider auch mit Feinden, ich hätte auch lieber jemand anders als die Hamas.

Welche Wahl hat Israel beim jetzigen Urnengang?

HEFETS: Viele Israelis sehen keine wirkliche Alternative. Ein Unterschied zwischen Netanjahu und Livni? Lächerlich. Was ich eigentlich für viel aussagekräftiger halte, ist die Tatsache, dass es in Israel seit 20 Jahren keine richtige Opposition gibt. Alle wollen immer in der Regierung sitzen. Dort wird dann über Punkt und Komma, selten über Wesentliches gestritten, aber fast alle Juden in Israel wollen das Gleiche. Und in Israel wird auch Links und Rechts anders definiert: Die Linke sagt, wir wollen die besetzten Gebiete abgeben, die Rechten sind dagegen. Aber letztlich eint beiden Richtungen die tiefe Abneigung gegen Palästinenser. Sie können sie nicht ertragen, genauso wenig wie sie ihre Situation im Levant, zwischen all den Asiaten ertragen können.

Kommen wir noch einmal nach Deutschland, zum deutsch-jüdischen Verhältnis: Gibt es hier noch einen spürbaren Antisemitismus?

HEFETS: Ich glaube nicht, dass es heute in Deutschland gefährlich ist, ein Jude zu sein. Es ist nicht gefährlich, nicht weil es in Deutschland keinen Antisemitismus gibt, sondern weil es nur so wenige Juden gibt. Es ist gefährlicher, ein Muslim zu sein. Und was mich noch umtreibt, ist in der aktuellen Debatte hier in Deutschland um die Muslime ist die Frage: Was hat es eigentlich vor dem Holocaust den Juden in Deutschland genutzt, dass sie so integriert waren? Also die Angst in Deutschland, als Antisemit zu gelten, hat zu dem geführt, was ich nicht israel-freundlich, sondern schlicht israel-unkritisch bezeichnen würde. Die Deutschen sehen Israel wie ein Naturreservat, in dem es einige Juden gibt, die man schützen muss. Israelis sind aber auch Menschen, die genau wie andere freundlich, feindlich oder gleichgültig sein können.

Wie groß ist die Gefahr, dass Sie von der falschen Seite, sprich von Neonazis Beifall bekommen?

HEFETS: Natürlich werden wir ausgenutzt, das können wir nicht verhindern. Gefährlich ist es, solche Debatten und Kritik zu verdrängen und zu unterdrücken. Und noch schlimmer ist es, wenn man aus Angst vor dem Gegner verstummt. Oder hätten sich die Kölner Moscheebau-Kritiker aus Angst vor den Rechtsradikalen von ihrem Anliegen abbringen lassen sollen?

Das Gespräch führte Thomas Geisen

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