Jan Schlesinger„Ich suche nicht, ich erfinde“

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Hunderte von Bildern und Objekten gibt es im Atelier von Jan Schlesinger zu sehen. Seine großen Arbeiten hingegen sind auf öffentlichen Plätzen in der ganzen Region zu bestaunen. (Bild: Thalken)

Hunderte von Bildern und Objekten gibt es im Atelier von Jan Schlesinger zu sehen. Seine großen Arbeiten hingegen sind auf öffentlichen Plätzen in der ganzen Region zu bestaunen. (Bild: Thalken)

MECHERNICH-SATZVEY – Es gibt zwei Möglichkeiten, bei Jan Schlesinger um Einlass zu bitten: Entweder man benutzt die antiquierte mechanische Türklingel, die ein angenehmes unaufdringliches „Pling“ erzeugt, oder die moderne Funkklingel, die irgendwo inmitten des alten Satzveyer Rathauses unhörbar Alarm schlägt. Drinnen erinnert nur noch die Architektur daran, dass dies einmal ein repräsentatives Gebäude war. Eine breite geschwungene Treppe führt in die zweite Etage, die Flure sind groß und lang. Überall gibt es helle Fenster. Doch das bemerkt man erst auf den zweiten Blick. Was man zuerst sieht, das sind liegende, stehende und hängende Kunstwerke - Bilder, Bronzeobjekte, Wasserspeier, Plastiken -, die aus vielen Jahrzehnten stammen.

Der Besucher wird in einen der Arbeitsräume gebeten, in denen der Künstler zurzeit aktiv ist. Auch hier: Gemälde, Objekte, Spiegelbilder, dazwischen Modelle von Großplastiken, die heute auf zahlreichen Rathausvorplätzen, Kreisverkehren oder in den Innenhöfen öffentlicher Einrichtungen stehen. Eines der Kunstwerke von Jan Schlesinger kennt in unserer Region wohl fast jeder: Es ist der Pylon mit der Lokomotive samt Waggon, der den Kreisverkehr in Roggendorf ziert.

Kreatives Chaos

Schlesinger scheint das kreative Chaos zu lieben. Sein Atelier ist in diesem Sinne kein Ausstellungsraum, hier residiert kein alteingesessener Künstler, hier wird vielmehr noch täglich mit vielerlei Materialien und theoretischen Konzepten experimentiert. Viel später an diesem Tag wird er einmal sagen: „Als Künstler bin ich vergleichbar mit einem Landstreicher, ich errichte überall mein Feuerchen und ziehe dann weiter.“ Er vermeidet es, sich selbst zu kopieren, bleibt lieber ein permanenter Experimentator, bleibt auf der Suche nach neuen künstlerischen Verfahren. In Abwandlung eines berühmten Picasso-Zitates sagt er denn auch: „Ich suche nicht, ich erfinde!“ In der Tat steckt im Künstler Jan Schlesinger auch ein Erfinder. Allerdings keiner, der sich beleuchtete Stopfeier ausdenkt, sondern intentionsfreie Kunstwerke, die auf sich selbst als Bedeutendes verweisen wollen.

Schlesinger wurde 1935 in Prag geboren, studierte an der Prager Akademie für bildende Künste und hatte dort seine ersten Ausstellungen. Sein starkes politisches Engagement während des Prager Frühlings zwang ihn mit Frau und Sohn in die Emigration nach Belgien. Ein Jahr später kam er nach Deutschland, wo er Fuß fasste und vor allem in Brühl und Erftstadt ein gefragter Künstler wurde, wenn es um Kunst im öffentlichen Raum ging.

Mit einem erstaunlichen Humor, der sich selbst als Gegenstand des Spottes nicht ausnimmt, berichtet Schlesinger keinesfalls nur über seine Erfolge. Es scheint ihm weitaus mehr Spaß zu bereiten, von den Dingen zu erzählen, die nicht funktioniert haben, weil sie niemand verstehen wollte. „Zum Beispiel trage ich seit Jahren die Vorstellung von einer Skulptur mit mir herum, die der Beobachter per Fernsteuerung selber formen kann“, erzählt er. Dabei denkt er an ein Handy, mit dem man mit der Skulptur „telefonieren“ kann. Solange man mit dem Kunstwerk spricht, verändert es seine Gestalt. Sobald man „auflegt“ verharrt es in seiner Pose, bis der nächste Passant anruft und die Skulptur nach seinem Wunsch verändert. Über die Telefonkosten könnte sich das Objekt sogar amortisieren.

Problematisch seien auch seine Eck-Objekte gewesen: „Die Ecken sind die Aschenbrödel des Raumes“, erklärt er dazu. Um diese daher aufzuwerten, habe er Objekte angefertigt, die genau in die Raumecken passen. „Aber niemand hat meine Kunst in den Ecken wahrgenommen“, lacht er. Also erfand Schlesinger die „Knick-Maus“. Dabei handelt es sich um bunte Sperrholzmäuse, die man dank eine Klappmechanismus in den Ecken platzieren kann und die den Kunstbetrachter eigentlich auf die Ecke und damit auf das darüber befindliche Kunstobjekt aufmerksam machen sollten. „Doch was passierte? Alle wollten plötzlich meine Knick-Mäuse“, erinnert sich Schlesinger. „Aber weil ich Künstler bin und kein Knick-Maus-Fabrikant habe ich die Produktion wieder aufgegeben.“

Spielplatz für Jugendliche

Vielleicht ist es eine besondere Form des tschechischen Understatements, dass er über seine großen Arbeiten an diesem Tag kaum ein Wort verliert. Dass seine Werke schon in Kanada ausgestellt wurden, ist genauso wenig Thema wie seine Wettbewerbspreise, die er schon eingeheimst hat. Auch über seine zahlreichen Stadtbrunnen, seine Edelstahlplastiken vor Wohn- und Geschäftsgebäuden, Feuerwachen, Rathäusern oder über seine Brunnenanlagen, Altarbilder, Glasfenster, Bronzereliefs, Hamlet-Bilder und Kreuzigungsszenen kein Ton. Stattdessen zitiert er aus dem Kopf Sätze von Kafka und Musil und erläutert, warum es wichtig ist, auch Spielplätze für Jugendliche zu bauen, auf denen Kunstwerke Impulse setzen, „die zweckfrei, sinnfrei und daher ziellos sind“. Darüber hat er sogar schon einen Aufsatz verfasst. „Aber die Politiker sehen nicht ein, wie wichtig diese Dinge sind“, schmunzelt er.

Jan Schlesingers Kunst, so begreift man irgendwann, lässt sich auf keine wohlfeile Formel bringen, der Mann steht auch nicht für einen ganz bestimmten Stil oder eine ganz besondere Verfahrenstechnik, seine Kunst bleibt vielmehr „work in progress“, sie erfindet sich immer wieder neu, stellt sich zuweilen auch augenzwinkernd in Frage und bleibt damit auf eine ganz eigentümliche - eben Schlesingersche Art - wohltuend menschlich.

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