Kein LebenszeichenSohn gibt Hoffnung nicht auf

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Michael Blatzheim gibt die Hoffnung nicht auf, etwas über das Schicksal seines Vaters zu erfahren. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete seinerzeit über das Verschwinden des Hürthers. (Bild: Lehmann)

Michael Blatzheim gibt die Hoffnung nicht auf, etwas über das Schicksal seines Vaters zu erfahren. Der "Kölner Stadt-Anzeiger" berichtete seinerzeit über das Verschwinden des Hürthers. (Bild: Lehmann)

Hürth – Tagelang beherrschte das Schicksal der entführten deutschen Türkei-Touristen die Medien. Die Bergsteiger kamen glücklich wieder frei. Der Geschäftsmann Michael Blatzheim aus Frechen verfolgte die Nachrichten mit besonderem Interesse. Er weiß, wie die Angehörigen sich fühlten. Er kennt das Gefühl des ohnmächtigen Wartens, des verzweifelten Bangens und der Hoffnung. Vor fünf Jahren verschwand sein Vater in der Türkei. Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtete damals über den Fall. Seither warten Blatzheim und seine Mutter vergebens auf ein Lebenszeichen des Vaters.

Michael Blatzheim sitzt in seinem Büro an der Frechener Hauptstraße. Auf seinem Schreibtisch liegen ein Stapel Zeitungsberichte und Prospekte aus der Türkei. Es sind Dokumente seiner verzweifelten Suche. In Ölüdeniz, einer Ferienanlage an der Südägäis, verbrachten seine Eltern mit zwei befreundeten Paaren damals einen zweiwöchigen Urlaub. Am Morgen des 12. Mai 2003 machte sich der damals 67-jährige Peter Blatzheim aus Hürth-Efferen allein zu einem nahe gelegenen Ausflugsziel auf. Er wanderte nach Kaya Köy - ein Ruinendorf, in dem früher Griechen lebten, wie der Sohn inzwischen von seinen eigenen Besuchen dort weiß. Der Weg dorthin führte über einen einsamen Weg an der Steilküste vorbei, aber Blatzheim erreichte sein Ziel, das ist sicher. „Mein Vater hat unterwegs ein Ehepaar aus Leipzig überholt und noch Scherze mit ihnen gemacht. Diese Leute haben gesehen, wie er in dem Dorf an einem Kiosk eine Flasche Wasser gekauft hat.“ Danach aber verliert sich die Spur des ehemaligen Installateurs, der, wie sein Sohn sagt, „noch absolut topfit und kräftig war“.

Weiße Kappe

Merkwürdigerweise, wie der Sohn findet, habe sich die Familie, die den Kiosk betrieb, später an den Vater nicht mehr erinnern können. Als er sich eine Woche später mit einem türkischen Freund selbst auf die Suche gemachte habe, habe sich die Familie „in Widersprüche verwickelt.“ Der Vater habe damals eine weiße Kappe getragen und zu der Zeit sei in der Feriengegend noch nichts los gewesen, sagt der Sohn. Wertgegenstände, außer einer Videokamera, habe der Vater nicht dabeigehabt: „Er hatte höchstens 20 Euro in der Tasche. Keinen Personalausweis, keine Scheckkarte, nichts.“

Selbstverständlich habe auch die Polizei gleich nach dem Vater gesucht. Hubschrauber, Spürhunde und selbst Taucher waren im Einsatz, die, wenn der Vater tatsächlich unvorsichtig gewesen, vom Weg abgewichen und abgestürzt sei, die Leiche wohl auch hätten finden müssen. Im Übrigen hätte die Strömung sie wohl an Land getrieben, hätten ihm Einheimische versichert.

Michael Blatzheim selbst erfuhr von dem Verschwinden erst, als seine Mutter eine Woche später wieder zurückkehrte. Sie habe sich in einem Ausnahmezustand befunden „und wollte mich wohl nicht auch noch verrückt machen“, sagt der Sohn. Daraufhin reiste er sofort in die Türkei und machte sich auf die Suche, hängte Fotos auf, die aber alsbald wieder verschwunden seien. „Ist ja verständlich, ist ja eine Touristengegend“, sagt Blatzheim, dort könne niemand Interesse daran haben, zahlende Kunden zu verunsichern. Auch in Begleitung von Fernsehteams reiste Blatzheim dorthin, in der Hoffnung, so eine größere Öffentlichkeit und Hinweise auf den Verbleib des Vaters zu erlangen.

„Für uns ist der Fall auch noch nicht abgeschlossen, sobald es neue Hinweise gibt, nehmen wir die Ermittlungen wieder auf“, sagt die Kriminalkommissarin Anne Vierkotten, die mit dem Fall betraut ist. Es habe nicht mehr als sechs Hinweise gegeben, allen sei nachgegangen worden. Sofern es Hinweise auf verdächtige Beobachtungen gegeben habe, seien diese den türkischen Behörden gemeldet worden. Reaktionen habe es nicht gegeben. „Bezüglich dieser Sache erwarte ich auch keine Rückmeldung“, sagt Vierkotten. Es sei üblich, dass, sobald eine Leiche gefunden werde und die DNA-Proben übereinstimmten, dies den deutschen Behörden gemeldet werde.

Der Staatsanwalt habe ihm klipp und klar erklärt, er könne nichts unternehmen, weil es keinen Hinweis auf ein Verbrechen gebe. „Wer erwachsen ist, hat das Recht, zu gehen, wohin er will. Da geht man bei einem Verschwinden nicht mehr unbedingt von einem Verbrechen aus“, sagt der Sohn. Doch der Gedanke, dass sich sein Vater, möglicherweise noch mit einer anderen Frau, irgendwohin abgesetzt haben könnte, ist für Michael Blatzheim völlig abwegig. „Meine Eltern haben eine super Ehe geführt.“

Er habe den Verdacht, dass ein Bergführer den Vater überfallen und verschleppt habe, sagt Blatzheim. Hinweise darauf hätten andere Touristen gegeben, die von einem solchen Bergführer in der Gegend ausgeraubt worden seien. In einem Fall allerdings verlor sich die Spur der Hinweisgeber. Ein Paar aus Süddeutschland meldete sich nach einem Fernsehbericht und erzählte von einem Überfall auf eine holländische Touristin. Die Telefonnummer des Paares sei aber verlorengegangen, sagt Blatzheim.

Auch das Auswärtige Amt wurde eingeschaltet. Es erklärt auf Nachfrage, über den Verbleib des Verschwundenen gebe es keine Erkenntnisse. Es habe eine mehrtägige Suche gegeben, eine Fahndung über Interpol sei ausgeschrieben und der Generalkonsul informiert worden. Vor Reisen in acht Regionen der Türkei wird gewarnt, nahezu alle liegen in der von der PKK umgekämpften Region im Osten des Landes. Das Ferienparadies Ölüdeniz an der Südägäis gehört nicht dazu.

Tätowierter Arm

In ihrer Verzweiflung fuhren Michael Blatzheim und seine Mutter zweimal zu einer Wahrsagerin. „Sie hat mir etwas von einem Mann mit tätowiertem Arm erzählt. Also bin ich dahin und habe allen Männern nur auf die Arme geschaut.“ Irrational scheinen ihm diese Handlungen selbst im Nachhinein. „Aber was soll man tun?“

Die Ungewissheit sei quälend. In Gesprächen versuche er mit seiner Mutter, einen Abschluss zu finden. Beide seien an die Stelle gereist, wo der Vater gewandert sei, und hätten Blumen niedergelegt. „Ich sage mir immer, er ist tot, aber irgendetwas ist merkwürdig.“

Zu der Ungewissheit und dem Gefühl der Ohnmacht kommen die Wut und der Stress aufgrund des Umgangs mit Behörden. Auch er und seine Mutter seien verhört worden und hätten zeitweilig das Gefühl gehabt, verdächtig zu sein. Die Wohnung sei durchsucht, der Rasierapparat des Vaters und eine Bürste zwecks DNA-Spuren mitgenommen worden. Blatzheim: „Aber man muss dieses Gefühl wegstecken. Die Kripo muss das machen.“

Witwenrente

Hinzu kommen finanzielle Probleme. Da Peter Blatzheim nicht als tot, sondern vermisst gilt, sei es nur mit Hilfe der Medien gelungen, die Witwenrente der Mutter durchzubekommen. „Sie hätte sonst aus der Wohnung ausziehen müssen.“ Jener Wohnung in Efferen, in der das Paar jahrzehntelang lebte.

Seine Mutter habe trotz des Verlustes ihre Kontakte zu Bekannten aufrechterhalten, aber habe seither gesundheitliche Probleme. Sie will daher auch nicht mehr öffentlich über den Fall sprechen. Immer wieder gebe es Verletzungen durch Dritte, oftmals unbeabsichtigt, weil unwissentlich. Peter Blatzheim erinnerte sich an den Tag der Goldhochzeit der Eltern. „Da rief jemand von der Stadt an, um zu gratulieren.“

Trotz aller Zweifel, die auch er immer wieder hat, ob er das Schicksal seines Vaters jemals ergründen kann, gibt er die Hoffnung nicht auf. Die meisten Vermisstenfälle würden irgendwann aufgeklärt. Blatzheim: „Einen Menschen verschwinden zu lassen ist nicht so einfach.“

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