Kinder erinnerten sich nicht mehr an Details

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Die Glaubwürdigkeit von Zeugen ist stets eine der Kernfragen, die es vor Gericht zu klären gilt. Insbesondere in Prozessen, in denen es um den Missbrauch von Kindern geht. Umso wichtiger sind in solchen Verfahren aussagepsychologische Begutachtungen von Opfern geworden. Denn oft genug sind die missbrauchten Kinder neben ihrem Peiniger die einzigen Zeugen der Tat. Ein Ermittlungsverfahren steht und fällt oft mit dem psychologischen Glaubhaftigkeitsgutachten - und dessen Qualität. Professor Burkhard Schade gilt bundesweit in Justizkreisen als angesehener Gutachter. Unvergessen, wie er im Wormser Kinderschänderprozess das Problem suggestiver Beeinflussung kindlicher Opferzeugen problematisiert. Seine Einschätzungen trugen dazu bei, dass der Prozess am Ende Freisprüche zeitigte.

Am Dienstag spricht die 2. Strafkammer im Bonner Landgericht den angeklagten Theo L. vom Vorwurf frei, die Stieftochter Rosalie (Name geändert) und deren Bruder Mitte der 90er Jahre in einem Kölner Bordell zur Prostitution gezwungen zu haben.

Auch diesmal ist Professor Schade als Gutachter engagiert - allerdings auf Seiten der Anklage. Im vorigen Jahr hatte er den Jungen und das Mädchen, die inzwischen aus dem Kindesalter herausgewachsen sind, nach eingehender Befragung als glaubhaft eingestuft. Zu jener Zeit sind die Kinder bereits mehr als ein Dutzend Mal zu dem Missbrauchsgeschehen in der Familie L. befragt worden. Der wegen Eigentumsdelikten mehrfach vorbestrafte Stiefvater ist bereits zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er seine Stieftochter missbraucht haben soll.

Im ersten Verfahren berichten die Kinder über die Bordellbesuche in Köln, wohin sie der Vater, manchmal auch gemeinsam mit der Mutter, gefahren haben soll. Im Gutachten ist sich Schade durchaus der Problematik einer Beeinflussung der Kinder durch häufige Befragungen bewusst, nennt deren Aussagen aber wahr. Die Folge: Die Staatsanwaltschaft verhaftet die Mutter. Theo L., dessen Ehefrau und die Bordellbesitzerin werden angeklagt.

Doch im Prozess können sich der Junge und das Mädchen nicht mehr an Details der Taten erinnern. Das Geschehen sei ganz anders geschildert worden, räumt selbst die Staatsanwältin ein, als sie am gestrigen Tag für einen Freispruch plädiert. Uwe Krechel, Verteidiger des Stiefvaters, wirft dem Gutachter vor, er habe seine neutrale Haltung verlassen. „Schon bei der Befragung 2001 ergaben sich viele Differenzen in der Aussage, aber sie werden nirgendwo im Gutachten erläutert.“

Der so Gescholtene hat zuvor das unterschiedliche Aussageverhalten damit erklärt, dass die Stieftochter unter der Situation vor Gericht gelitten habe. Diese befinde sich zudem in einem neuen Lebensabschnitt, „da haben diese Ereignisse keinen Platz mehr. Sie will mit der Sache abschließen“, so Schade. Sie habe einen Riegel vor ihr Erinnerungsvermögen geschoben. Deshalb seien die im Gutachten getroffenen Aussagen immer noch glaubhaft.

Die Kammer kann dem nicht mehr folgen. Er habe keinen Zweifel, dass die Kinder auch von Dritten missbraucht worden seien, sagt der Vorsitzende Richter, aber es sei nicht möglich gewesen, mit Hilfe der missbrauchten Kinder Licht ins Dunkel zu bringen. „Im Zweifel ist der Angeklagte frei zu sprechen.“

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