„Im Grunde bin ich nur noch gerannt“Kölnerin hat ihren Job für die Alpen gekündigt

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Die Kölnerin Katharina Afflerbach hat ihren  Job in der Großstadt gekündigt, um als Sennerin in den Schweizer Alpen zu arbeiten. Mit Landwirtschaft kannte sie sich vorher überhaupt nicht aus.

  • Die Kölnerin Katharina Afflerbach (42) hat den Aufbruch von der Großstadt auf die Alpen gewagt. Als Vollbremsung.
  • „Ich war nur noch im Hamsterrad unterwegs. Im Grunde bin ich nur noch gerannt und hatte den Bezug zu mir selbst verloren“, beschreibt sie ihre Gemütsverfassung vor der Entscheidung für den Ausstieg auf Zeit.
  • Wie fühlte es sich an im neuen Leben? Wir haben uns mit ihr unterhalten.

Köln – Irgendwie hat Heidi doch damals mit Großvater und Schwänli und Bärli ganze Arbeit geleistet: So eine Alpe hoch in den Schweizer Bergen mit Ziegen und Kühen ist generationsübergreifend ein Sehnsuchtsort. Zumal in Zeiten von Corona, da wir ausharren in unseren Wohnungen, während draußen der Frühling lockt.

Die Kölnerin Katharina Afflerbach (42) hat den Aufbruch von der Großstadt auf die Alpe gewagt. Quasi als Vollbremsung. „Ich war nur noch im Hamsterrad unterwegs. Im Grunde bin ich nur noch gerannt und hatte den Bezug zu mir selbst verloren“, beschreibt sie ihre Gemütsverfassung vor der Entscheidung. Als Marketingleiterin in der Kreuzfahrtbranche sei sie ständig unterwegs gewesen. Aber es brauchte noch einen Auslöser, bis sie sich wirklich traute: Es war das plötzlich auftretende Asthma, das sie als Signal ihres Körpers ernst nahm.

Bergliebe als Berufsqualifikation

Afflerbach kündigte ihre Festanstellung und die Wohnung, um auf eine Schweizer Alpe aufzubrechen und dort als Sennerin vier Monate den Sommer über zu arbeiten. „Was mich vom ersten Tag an fasziniert hat, war diese ungeheure Freiheit. Endlich über den Dingen im Tal zu sein. Tief durchzuatmen, den ganzen Tag körperlich zu arbeiten und sich wieder lebendig zu fühlen“ , erzählt sie. Die Alp Salzmatt südlich von Bern, die sie sich ausgesucht hat, sömmert im Sommer Ziegen und Kühe. „Wenn du da oben bist, ist das wie ein eigener Mikrokosmos. Die einzig wirklich wichtigen Fragen sind wie das Wetter wird, ob die Tiere gesund sind und ob es genug zu essen gibt.“

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Katharina Afflerbach bei der Arbeit auf der  Alpe Salzmatt in den Schweizer Bergen.

Dabei hatte Afflerbach wie sie selbst sagt, von Landwirtschaft vorher keinen blassen Schimmer. Außer der Liebe zu den Bergen brachte sie keine Qualifikation mit. „Außer meine Anpassungsfähigkeit, die kam mir dort oben sehr zugute.“ Wobei sie gleich mit dem Klischee von der Almromantik aufräumt: Der Alltag auf der Alpe ist hart. Sie lebte mit dem Älplerpaar und deren drei Kindern auf engstem Raum. Der Tag begann im Morgengrauen, die Woche bestand aus sieben Tagen harter körperlicher Arbeit: Tiere Zusammentreiben auf einer 130 Hektar großen Fläche – über mehrere hundert Höhenmeter immer rauf und runter, Melken, Käsen, Zäune ausbessern, Draußensein bei Wind und Wetter.

Kompletter Ausstieg keine Seltenheit mehr

Der Ausstieg auf Zeit ist ein Projekt, das immer mehr Städter wagen. Und zwar nicht nur die ganz Jungen. Oft seien es Mittvierziger oder Menschen in ihren 50ern, die in ihrem Leben etwas ändern möchten, hat Afflerbach beobachtet. „Aber längst nicht alle halten durch und brechen ab.“ Auch Afflerbach musste in ihrem ersten Sommer die Zähne zusammenbeißen. „Mein Körper hat noch nie so geschmerzt von Muskelkater.“ Aber sie hat Dinge gelernt, die sie sich vorher nie zugetraut hätte: eine 30 Meter hohe Fichte zu schlagen, 90 Tiere im Nebel wiederzufinden oder ein 100 Prozent analoges Leben ohne WLAN oder Fernseher zu führen.

„Am Küchentisch wurde entweder geredet oder geschwiegen. Mehr Ablenkung gibt es dort oben nicht. Manchmal haben wir uns abends schweigend den Sonnenuntergang angeschaut und gestaunt. Fotos für Instagram lädt da keiner hoch“, meint sie lachend. Am meisten Spaß hatte Afflerbach an der Arbeit mit den Tieren: „Ziegen sind quirlig und neugierig wie kleine Kinder, während Kühe eine heilige Ruhe ausstrahlen.“

Innere Häutung der Kölnerin

Schon im ersten Sommer merkte Afflerbach, wie sie sich verändert. Erst war es nur die Oberfläche: Statt Kostüm war es jetzt die zwei Nummern zu große Stallhose. Aber dahinter stand mehr. „Plötzlich ist nicht mehr wichtig, was du geleistet hast. Es zählt nur noch die Präsenz im Moment.“ Es sei wie eine innere Häutung gewesen. Als sie nach dem ersten Sommer abreist, steht der Entschluss, nicht zurück ins Hamsterrad zu gehen, sondern sich selbstständig zu machen als freie Texterin und Konzeptionerin. Drei Sommer nacheinander ist die Kölnerin auf die Alpe gezogen. Der dritte wurde der schwierigste: Kurz vor ihrem Aufbruch in die Schweiz verunglückte ihr jüngerer Bruder Florian tödlich. Sie fuhr trotzdem: „Der Rhythmus und die Stabilität taten gut. Wenn ich weinen wollte, bin ich zu den Kühen gegangen und habe mich an ihre warmen Bäuche gelehnt.“

Das, was sie auf der Alpe gelernt hat, hat sie in ihren Kölner Alltag integriert. Neben dem Sinn für das Wesentliche, ist es die Lektion, dass Mut belohnt wird. So hat sie sich getraut, aus ihren Erfahrungen das Buch „Bergsommer“ zu machen. Und noch etwas hat sie aus der Zeit mitgenommen: das Käsefondue, um das sich die Alpgemeinschaft abends regelmäßig versammelt hat und das dazu beitrug, Welten zusammenzubringen – die der Städterin mit der von Bauern, Viehhändlern oder Besamern. Einmal im Monat lädt sie nun über ihre Homepage oder über Facebook zum „Fondue for Life“, wie sie es getauft hat. Zehn Gäste passen um ihren Tisch. Der Erlös geht an einen wohltätigen Zweck. „Ich möchte Menschen für einen analogen Abend mit tiefen Gesprächen zusammenbringen“, sagt sie und ist immer wieder positiv überrascht, wie bunt und anregend die Runden um den Kölner Fonduetopf sind.

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