Köln nach dem zweiten Weltkrieg„Ein Stück Auferstehung für Köln“

Lesezeit 4 Minuten
Von der Kirche Maria Lyskirchen aus wurden die kostbaren Schreine zum Dom gebracht.

Von der Kirche Maria Lyskirchen aus wurden die kostbaren Schreine zum Dom gebracht.

Köln – Reinold Louis war als Messdiener dabei, als die große Prozession durch die nach wie vor zerstörte Stadt zog. Mit dem päpstlichen Legaten Kardinal Clemente Micara, mit dem Kölner Oberhirten Kardinal Josef Frings, mit zahlreichen in- und ausländischen Kardinälen, Bischöfen, Priestern, Politikern, Ordensrittern, Fahnenträgern, Schützenbrüdern – sie alle begleiteten den Dreikönigsschrein und acht weitere wertvolle Schreine, die ungeschützt auf geschmückten Militärlastwagen am Rhein entlang Richtung Dom unterwegs waren. Zehntausende säumten die Straßen. „Mitunter hatte man den Eindruck, die Menschen stünden auf Tribünen“, erinnert sich Brauchtums-Experte Louis. „Aber es waren die noch reichlich vorhandenen Schuttberge.“

Grundsteinlegung von 700 Jahren

Es war der 15. August 1948, Auftakt und Höhepunkt des Dombaufests, mit dem an die Grundsteinlegung der Kathedrale 700 Jahre zuvor erinnert wurde. Ein Ereignis, dessen geistliche wie politische Bedeutung weit über die Stadtgrenzen hinaus ging. „Es war ein Stück Auferstehung für Köln“, erinnert sich Prälat Ludwig Schöller (86), Ex-Domkapitular und Künstlerseelsorger im Erzbistum. Als Schüler des Friedrich-Wilhelm-Gymnasiums und Mitglied des christlichen Jugendverbands Bund Neudeutschland (ND) fuhr er damals auf dem Wagen mit dem Schrein des Heiligen Heribert mit und durfte helfen, diesen in den Dom zu tragen. „Für uns Jugendliche war das ein großes Erlebnis“, sagt Schöller. „Die Heiligen kehrten heim, die Schreine kehrten heim, Köln war wieder Köln.“

Es muss eine ganz besondere Atmosphäre geherrscht haben im Köln dieser Tage – eine südländische. „Südlich die Begeisterung, mit der der Kardinallegat, die Kardinäle und andere hohe Würdenträger bei der An- und Abfahrt begrüßt werden“, schreibt Hans Stöcker im Kölner Domblatt von 1949. „Südlich das Bild der Stadt, deren Läden und Gaststätten während der ganzen Nacht offenstehen, südlich die vielen Stände und Verkaufsbuden, die sich in den ausgebrannten Häusern zwischen den Ruinen aufgetan haben; südlich die Ausrufe und fliegenden Händler mit Fahnen und Fähnchen, mit Abzeichen und Plaketten.“ Am eigentlichen Festtag werden die Schreine der Kölner Stadtheiligen von Hohenlind nach St. Maria Lyskirchen geleitet und ziehen von dort den gleichen Weg, auf dem 1164 die Gebeine der Heiligen Drei Könige von Mailand kommend den Dom erreichten. „Die Menschenmassen zwischen den Ruinen der Altstadt sind in ihrer Größe auch nicht annähernd abzuschätzen“, schreibt Stöcker. „Im Bereich zwischen Dom und Maria Lyskirchen gibt es in dieser Stunde keine Schuttberge, nur noch Menschentrauben, ein Meer von Köpfen.“

Erster Gottesdienst im Dom nach dem Krieg

Dombaumeister Willy Weyres öffnet das Südportal des Doms, damit die schier endlose Prozession in die Kathedrale einziehen kann. Als letzter betritt Kardinallegat Micara das mit 6000 Gläubigen voll besetzte Gotteshaus. Anton Bruckners E-Moll-Messe für achtstimmigen Chor und Bläser erklingt – zum ersten Mal nach dem Krieg wird im Dom – im bereits wiederhergestellten Teil – Gottesdienst gefeiert. Der Tag solle ein feierliches Glaubensbekenntnis vor aller Welt sein, sagte Micara in seiner Predigt, „in einem Augenblick, da die Welt an einem neuen Wendepunkt steht, ob sie von neuem in die Greuel, in den Wahnsinn eines dritten Weltkrieges sich stürzen oder ob sie im Frieden leben will“. Da der Dom längst nicht alle Gläubigen fassen kann, feiert Weihbischof Ferche parallel eine Messe vor dem Südportal.

Köln stand in diesen Tagen im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Zahlreiche in- und ausländische Zeitungen schickten ihre Korrespondenten an den Rhein. Und die berichteten ausführlich, hoben vielfach allerdings die weltpolitische Bedeutung des Festes stärker hervor als die religiöse. Das Domjubiläum sei „nicht nur ein Fest der Kirche“ gewesen, schrieb die Bremer Nordsee-Zeitung, sondern „eine Angelegenheit des Volkes“. Für die Rhein-Ruhr-Zeitung war „Frieden das große Motiv des Domfestes“. Und die Westdeutsche Rundschau formulierte es pathetisch: Das Fest könne „unmöglich als eine auf den engeren Bereich der Stadt bezogene Angelegenheit oder als Festtag des katholischen Volksteils allein gewertet werden“, hieß es da. „Es war eine machtvolle Kundgebung des ganzen Abendlandes, eine Demonstration für den Frieden, es war das Bekenntnis zur Völkerversöhnung.“ Die SED-Blätter in der Ostzone waren da deutlich zurückhaltender. So kommentierte die Magdeburger Volksstimme, das Fest habe einen politischen Charakter gehabt „durch die Verbindung der Kurie mit dem internationalen Kapital“.

Der Festtag war eingebettet in eine Woche voller Feierlichkeiten: die Grundsteinlegung für zwei Wohnsiedlungen in Stammheim und Longerich, ein Festakt in der Universität, eine große Messe im Müngersdorfer Stadion, die Segnung der neuen Deutzer Brücke, eine Messe mit 40 000 Kindern, Theater- und Opernaufführungen, Ausstellungen und Musik.

Für den jungen Reinold Louis, das räumt der Brauchtumsforscher heute gerne ein, waren geistliche und weltpolitische Bedeutung der Feierlichkeiten in der Kathedrale eher zweitrangig: „Für mich war wichtig, dass es am Dom für uns Limo, eine Scheibe Brot und Würstchen gab“, sagt er. „Denn wir hatten Hunger, Hunger, Hunger.“

KStA abonnieren