„Wo ist Gott?“Kölner Theologen über Karfreitag im Krieg und den menschlichen Abgrund

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Karfreitag wird an den Kreuzestod Jesu erinnert.

Köln – Die Menschheit feiert Ostern und gleichzeitig ist Krieg in Europa. Lange klang der Klageruf am Kreuz nicht mehr so dröhnend wie in diesem Jahr, da die Abgründe des Menschen für alle sichtbar sind. Wo ist Gott in der Ukraine?, fragen sich viele. Und was kann Auferstehungsglaube für einen aufgeklärten Christen des 21. Jahrhunderts noch sein? Fünf Kölner Theologinnen und Theologen erzählen wie sie den Karfreitag – besonders in diesem Jahr – erleben und was Auferstehung für sie bedeutet.

Thomas Frings, Pfarrvikar in der Großpfarrei Innenstadt

Frings

Thomas Frings

Der Karfreitag ist für mich ein überzeitliches Ereignis. Aber wenn ich mich frage, wo ist Gott da jetzt in der Ukraine in all dem Abgrund des Leids, fällt mir eine Geschichte von Elie Wiesel ein, der im KZ bei einer Hinrichtung zuschauen musste. Ein Junge zappelt eine halbe Stunde am Galgen, weil er zu leicht ist und sein Genick nicht bricht. Dann fragt jemand hinter ihm: „Wo ist Gott?“ und Wiesel antwortet: „Da hängt er.“ Das darf natürlich nur jemand sagen, der in dieser Katastrophe mit drinsteckt. Nur dann ist das keine fromme Überhöhung.

Karfreitag ist maximale Ohnmacht. Wenn Menschen Leid erleiden, gehen selbst große Zweifler in die Kirche. Verharren vor der Mutter mit dem toten Sohn auf dem Schoß. Weil ihnen ein Bild gezeigt wird und ihnen jemand zuhört, der auch das größte Leid mitgemacht hat. Mitten im Elend wächst das Bedürfnis zu beten. Aber eben nicht im Sinne einer Funktionalität, dass da jemand von außen eingreift. Beten heißt, sich in einen größeren Zusammenhang stellen und sich in Beziehung zu bringen. Auch zu den Menschen in der Ukraine, die beten, während Bomben fallen.

Karfreitag hat nichts mit Verstehen zu tun. Passion heißt Mitleid. Menschen erleben im Leben drei Grenzen: Keine Liebe der Welt ist vollkommen, Menschen werden schuldig – an mir und ich an anderen. Schließlich gibt es den Tod. Für alle drei Grenzen ersehne ich mir einen Zustand vollkommener Liebe, vollkommenen Verstehens und Unendlichkeit – das ist für mich Auferstehung.

Klaus Thranberend, Pfarrvikar im Seelsorgebereich Ehrenfeld, Bickendorf und Ossendorf

Thranberend

Klaus Thranberend

Der Karfreitag ist das moderne Phänomen von Gottesferne und Gottesmord. Aus den Karfreitagsliedern, die im Dreißigjährigen Krieg entstanden sind, spricht noch die Hoffnung auf ausgleichende Gerechtigkeit im Jenseits. Diese Rechnung geht heute nicht mehr auf. Trotzdem: Wenn das Leben an eine Bruchkante kommt – ich erlebe das auf Beerdigungen – brauche ich eine Brücke, um über die Abgründe zu kommen. Wo ist Gott in der Ukraine? Ich habe die Hoffnung, dass es einen zutiefst solidarischen Gott gibt, der bis zum Ende an der Seite der Leidenden bleibt.

Gleichzeitig finde ich die Perspektive wichtig, dass das Leben immer ein Fragment, ein Bruchstück bleibt. Es gibt dieses Vertrauen, dass aus dem Fragment in einem Zusammenhang etwas Großes wird. Dietrich Bonhoeffers Lied „Von guten Mächten wunderbar geborgen“ erzählt davon. Auferstehung heißt für mich, dass mein Leben im Fragment in ein großes Ganzes aufgeht. Dass das Leiden nicht das letzte Wort hat, sondern in einen wie auch immer gearteten grundlegenden Neuanfang aufgeht. Schließlich gibt es auch eine Auferstehung vor dem Tod: Das ist der Ruf in die Veränderung. Denn im Leid liegt auch immer eine große Kraft zur Veränderung. Wie anders wäre das, wenn wir den Missbrauchsopfern sagen würden: „Ihr gestaltet jetzt.“ Die Zukunft des Erzbistums wäre eine andere.

Egal ob die Ukraine oder der Klimawandel: Egal, was ich esse, tanke oder konsumiere. Ich bin durch die Systemzusammenhänge der Globalisierung immer schuldhaft verstrickt. Trotzdem kommt es auf jeden einzelnen und sein Verhalten an. Daran müssen wir unbedingt festhalten, dass wir uns in einem großen „Trotzdem“ dieser Bewegung der Heiligkeit des Lebens anschließen.

Wolfgang Fey, Pfarrer der Großgemeinde St. Pankratius

Pfarrer Fey

Pfarrer Fey

Dieses Jahr wird Karfreitag besonders deutlich, was Menschen anderen Menschen an Abgründen antun können. Bezogen auf die Ukraine kommt in der Passion alles vor: Die Politiker, die wie Pilatus ihre Hände in Unschuld waschen. Die mit politischer Rücksichtnahme argumentieren. Der Verrat des Petrus: Wir verraten unsere Überzeugungen aus wirtschaftlichen Überlegungen. Gott ist der Inkarnierte in uns Menschen. In der Ukraine scheitert Gott in uns Menschen. Wir müssen fragen, was ist geschehen, dass das passieren konnte.

Für mich ist das Kreuz das Zeichen, dass wir uns neu ausrichten müssen. Ich war bei der Bundeswehr Militärdekan und habe Soldaten betreut in Afghanistan und Jugoslawien. Ich habe Menschen nie so beten sehen wie Soldaten. Wenn ich totales Leid und Gewalt erlebe und mich der Grausamkeit des Menschen aussetzen muss, ist das nur aushaltbar, wenn es ein größeres Bild vom Menschen gibt als dieses.

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Karfreitag zieht uns rein in die Auseinandersetzung mit dem Tod. Unsere Antwort auf die Endlichkeit des Menschen steht aus – das ist Karfreitag. Gleichzeitig bin ich mehr als die Hülle, ich hinterlasse Spuren. Das ist das Geheimnis des Menschen, dass er mehr ist als Haut, Knochen und Tod. Ostern ist das große Dennoch. Auferstehung heißt, nicht in Angst festzusitzen, sondern das Leben neu zu suchen, trotz des Schrecklichen. Es ist das Lebenszeichen Gottes an die Menschen.

Sr. Emmanule Kohlhaas, Priorin der Benediktinerinnenabtei in Köln-Raderberg

Kohlhaas

Sr. Emmanuela Kohlhaas

Ich werde den Karfreitag dieses Jahr noch existenzieller erleben. Es ist die Spannung zwischen der Botschaft Jesu und der Abgründigkeit, zu der der Mensch fähig ist. In der Passionsgeschichte wie in der Ukraine spiegelt sich die Logik der Eskalation von Schwäche, Gleichgültigkeit, dem Verfolgen persönlicher Ziele bis Brutalität. Es ist eine überflüssige Eskalation. Mit dem Opfergedanken kann ich nichts anfangen. Was wäre das für ein Gott, der Opfer braucht? Im Ergebnis menschlicher Abgründe liegt die Eskalation zur Tragödie. Und wir fragen fassungslos, wie kann das in unserer Zeit geschehen? Einstweilen bleibt nur ausharren. Das ist ja der Karsamstag: Das Entsetzen ist noch da und wir harren schweigend aus im Ausweglosen.

Dagegen steht der Erlösungsgedanke. Die Hoffnung und der Glaube, dass in einer anderen Welt etwas Neues entsteht. Auferstehung ist ein neues, anderes Leben in einer mir nicht vorstellbaren Form. Eine andere Form – jenseits von Raum und Zeit. Ich komme aus einer Naturwissenschaftlerfamilie und habe früh verstanden, dass der Horizont viel weiter ist und das, was wir sehen, nur ein kleiner Ausschnitt von Wirklichkeit.

Peter Otten, Pastoralreferent in St. Agnes

Otten

Peter Otten

Auch ganz unabhängig von der Ukraine ist Karfreitag der Tag, wo ich dem Leid nicht ausweichen kann. Wo sich das verdrängte Hässliche von seiner schlimmen Seite zeigt. Ohne Karfreitag hat Ostern so einen Happy-End-Touch. Aber das Halleluja ist ein anderes, wenn ich vorher dem Wahnsinn ins Auge geschaut habe. Karfreitag ist wie der Druck auf eine Stopptaste. Es ist ein Tag der Unterbrechung, an dem das Leid nicht mehr abstrakt ist.

Gleichzeitig ist da so viel Ohnmacht. Schon im ganz normalen Alltag stoße ich jeden Tag an Grenzen: Allein mit dem, was ich esse und wie ich lebe, ist es unmöglich, alles richtig zu machen. Aber: Da, wo du nicht weiterkannst, da springt ein anderer für dich ein. Die Pointen der Passionsgeschichte sind die Solidarität und das Mitleiden. Und die Gewissheit, dass Gott mitgeht, wo kein anderer mehr mitgeht.  

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