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Der Jahrhundertkölner100 Jahre Ludwig Sebus – Wie Erfahrungen in Krieg und Diktatur prägen

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Ludwig Sebus mahnt auf einer Kundgebung 2015 in Deutz vor Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Rechts: Der damalige Sprecher der AG Arsch Huh, Hermann Rheindorf

Ludwig Sebus mahnt auf einer Kundgebung 2015 in Deutz vor Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Rechts: Der damalige Sprecher der AG Arsch Huh, Hermann Rheindorf

Ludwig Sebus ist nicht nur ein Karnevalist. Seine Erfahrungen im Krieg und in der NS-Diktatur lassen ihn vor Extremismus und Krieg warnen.

Es ist eine schlichte Namensliste auf der zwölften Seite des „Kölner Stadt-Anzeiger“ vom 1. November 1949, mit der Ludwig Sebus erstmals in der Zeitung erwähnt wird. Neben einem Bericht über einen Raubüberfall auf einen Tabakladen werden unter der Überschrift „Endlich wieder daheim“ ohne weitere erklärende Worte die Namen von „Heimkehrern“ aufgezählt. Hinter der Adresse des Elternhauses von Ludwig Sebus wird ein Ort vermerkt, den damals wie heute nur wenigen bekannt war: Jenakewo. Eigentlich heißt der Ort im Osten der Ukraine Jenakijewe. Heute ist er Schauplatz des russisch-ukrainischen Krieges, damals war er der Standort eines Kriegsgefangenenlagers.

Ludwig Sebus wird nach seinem 18. Geburtstag zur Wehracht eingezogen. 1944 muss er an die Ostfront.

Ludwig Sebus kam zurück in seine Stadt, die sich nicht sonderlich für das erlebte Leid der Kriegsgefangenen interessierte. Man wollte nach vorne schauen, das Vergangene wurde verdrängt. Ende 1949 stand in der Stadt alles im Zeichen des Wiederaufbaus, die Kölnerinnen und Kölner hatten bereits zweimal ein kommunales Parlament gewählt. Im Februar 1949 war schon wieder ein Rosenmontagszug durch die Trümmerstadt gezogen, im Mai war mit der Verkündigung des Grundgesetzes die Bundesrepublik gegründet worden. Von all dem hatten die ehemaligen deutschen Wehrmachtssoldaten in russischer Gefangenschaft so gut wie nichts mitbekommen.

Sebus hatte bereits im Krieg Schlimmes erlebt, aber was dann folgte, übertraf das Leid noch einmal. Sein eigenes Grab hatte er schaufeln müssen, mit Glück entkam er seiner Erschießung. Es folgten furchtbare Jahre in Gefangenenlagern der Sowjetunion. Noch schlimmer als Hunger und Elend sei das Heimweh gewesen, erinnert sich Sebus. Er habe nicht gewusst, wie es der Familie zu Hause geht, die ihrerseits erst Jahre nach der Gefangennahme ein Lebenszeichen des Sohnes bekommen hatte.

Klarer Kompass aus dem Elternhaus

Die Heimkehrer kamen in eine Stadt, in der er sich zunächst nur schwer zurechtfinden konnten. „Für uns war der Krieg gerade erst zu Ende und in Köln wollte keiner mehr etwas vom Krieg wissen“, sagt Sebus. Eine überraschende Begegnung wurde für den jungen Mann zu einem prägenden Erlebnis: Nach einer Probe mit dem Altermarkt-Spielkreis, dem er sich angeschlossen hatte, sei man in ein Brauhaus eingekehrt. Dort hätten Männer bestens gelaunt um einen Tisch gesessen und einem prominenten Mann zu geprostet. Sebus entdeckte Kölns ehemaligen NS-Gauleiter Josef Grohé – ein überzeugter Nazi der ersten Stunde, der sich als „Hitlers Stellvertreter im Rheinland“ sah. „Warum war dieser Verbrecher ein freier Mann, während ich als einfacher Soldat jahrelang in Gefangenschaft war?“

Familie Sebus um 1930: Ludwig, Maria, Hella und Jakob Theodor (v.r.n.l.) lassen sich fürs Familienalbum fotografieren.

Ludwig Sebus ist kein politischer Intellektueller. Was er für richtig und was er für falsch hält, kommt tief aus Herz und Seele – und ist geprägt von Erfahrungen wie diesen. Sein Einsatz für die Demokratie, die konsequente Ablehnung von Krieg und seine eindringliche Mahnung vor allen rechtsextremen Tendenzen, vor Ausgrenzung und Fremdenfeindlichkeit hat zu tun mit dem, was ihn als Jugendlichen und jungen Erwachsenen geprägt hat. Sein katholisches Elternhaus hat ihm einen Kompass mitgegeben. So erinnert er sich an einen Rosenmontagszug kurz nach der Machübernahme der Nationalsozialisten. Im Aufstellbereich sei er mit seiner Mutter an einem antisemitischen „Mottowagen“ vorbeigegangen. „Schau Dir das an“, habe seine Mutter gesagt. „Was die jetzt mit den Juden machen, machen sie danach mit uns.“

Ludwig Sebus war in der katholischen Pfarrjugend von St. Michael im Belgischen Viertel aktiv. Die jungen Leute trauten sich was: Man traf sich in der Krypta von St. Maria im Kapitol, um über die politische Lage zu sprechen und kleine Aktionen gegen die Machthaber abzusprechen. Im Bergischen Land kam man im „Haus Büchel“ zusammen, einem geheimen Treffpunkt der Kölner katholischen Jugend im Naaftal. Hier versteckte man sich vor der Hitlerjugend, feierte heimlich Gottesdienste und genoss – nach zum Teil abenteuerlichen Anreisen, um nicht entdeckt zu werden – ein kleines bisschen Freiheit.

Verhör im Gestapo-Hauptquartier

Die Geheime Staatspolizei hatte Jugendliche wie Sebus im Visier. Wenn er heute von einem Verhör im Gestapo-Hauptquartier, dem El-De-Haus, berichtet, klingt das Erlebte wie eine Anekdote über einen Jugendlichen, der die Polizei narren konnte. Wahrscheinlich war es weniger lustig.

Aus heutiger Sicht ist dieses Leben von Jugendlichen, die sich in der Diktatur – solange es ging – nicht anpassen wollten, kaum vorstellbar: Einerseits sei es darum gegangen, sich ein paar Freiräume zu bewahren, gleichzeitig bedeutete jede Art von Opposition nicht nur eine Gefahr für jeden Einzelnen, sondern auch für seine ganz Familie. „Mit Klugheit mussten wir darauf achten, dass keiner von uns zu Schaden kam.“ Ludwig Sebus verschwieg seine heimlichen Treffen gegenüber seinen Eltern, um sie nicht zu gefährden. Außerdem wollte er seine Ausbildung als Industriekaufmann bei einem Landmaschinenhersteller beenden. Wenn er heute selbst auf die Zeit zurückblickt, übt er auch heftige Kritik an der Haltung der meisten Amtsträger in seiner Kirche. Zu viele hätten sich mit den Nazis arrangiert.

Mitglieder der katholischen Jugend von St. Michael im Jahr 1935, ganz rechts: Ludwig Sebus

Im Zuge der Recherchen für das Buch „Ludwig Sebus – Ein Kölsches Jahrhundert“ wurde eine beeindruckende, handgeschriebene „Chronik“ eines katholischen Jugendgruppenleiters gefunden, der das Leben im „Haus Büchel“ beschreibt. Auf einigen Fotos ist ein fröhlicher Ludwig Sebus zu sehen. Nach und nach kamen immer weniger ins Naaftal. Sebus wurde am 1. Oktober 1943 zum Kriegsdienst eingezogen. Die Schlacht von Stalingrad war da schon geschlagen, die Wehrmacht auf dem Rückzug. „Nun sollte mein Jahrgang verheizt werden“, sagt er. Über ein Jahr gelang es ihm mit Glück und kleinen Tricks, nicht an die Front zu müssen. Am Heiligen Abend 1944, den er eigentlich mit seinen Eltern verbringen wollte, gab es jedoch keine Möglichkeit mehr, die Verlegung an die Ostfront zu verhindern. Dass er als Nachrichtenoffizier nicht auf andere schießen musste, sei ein großes Glück gewesen.

Die „Chronik des Haus Büchel“ endet mit einer Namensliste, die sich von der schlichten Aufzählung der Heimkehrer im „Kölner Stadt-Anzeiger“ deutlich unterscheidet. „In Büchel wurde es immer stiller. Erst kamen noch viele Feldpostbriefe, dann hielt der Tod grausame Ernte“, vermerkt der Chronist. Es folgen die Namen der Gefallenen.