AgrippabadSchwimmmeister fordern nach mutmaßlichem sexuellem Übergriff differenziertere Debatte

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Köln: Außenaufnahme des Agrippabades. Im Hintergrund der Kölner Dom.

Im Agrippabad soll es zu einem sexuellen Übergriff gekommen sein.

Nach dem mutmaßlichen sexuellen Missbrauch einer 13-Jährigen in Köln zeigen Schwimmmeister und ein Historiker ihre Perspektive auf die gesellschaftliche Diskussion. 

Ein 13-jähriges Mädchen soll im Agrippabad von acht Jugendlichen und Männern sexuell missbraucht worden sein. Die Beschuldigten stammen aus Syrien, der Türkei und dem Irak, die Polizei hatte sich dazu entschlossen, die Nationalität der acht Beschuldigten zu nennen, man mache dies nur in Einzelfällen und orientiere sich an den Vorgaben des Deutschen Presserates.

Steht der Vorfall in Köln für eine gesellschaftliche Entwicklung? Wird das Problem von Übergriffen in Schwimmbädern dramatisiert? Und was könnte getan werden, um die Sicherheit zu erhöhen? Eine Kölner Schwimmmeisterin, ein Historiker und ein Ausbildungsleiter der Gesellschaft für das Badewesen haben verschiedene Perspektiven auf das Thema.

Bäder keine Ursache für Gewalt – nur ein Austragungsort

„Gewalt in Bädern hat es auch vor 40 Jahren schon gegeben“, sagt Eric Voß, Ausbildungsleiter bei der Deutschen Gesellschaft für das Badewesen, der 45 Jahre als Schwimmmeister gearbeitet hat. „Die Hemmschwelle für Aggressivität und Gewalt ist allerdings gesunken. In diesem Jahr sind mehr unserer Angestellten beleidigt und attackiert worden als in den Jahren zuvor.“

Schwimmbäder seien der viel beschriebene Spiegel der Gesellschaft: „Sie sind ein sozialer Ort, an dem sich jede und jeder trifft. Der Eintritt kostet wenig, niemand soll ausgeschlossen werden. Bäder sind nicht die Ursache für Gewalt, sondern lediglich ein Austragungsort.“

Porträt von Eric Voß.

Eric Voß von der Gesellschaft für das Bäderwesen.

Der Übergriff in Köln, bei dem acht Jugendliche mit Migrationshintergrund eine 13-Jährige sexuell bedrängt haben sollen – der eine soll dem Mädchen in die Bikinihose gefasst haben – sei „nicht herunterzuspielen, aber er steht nicht für die allgemeine Situation in deutschen Bädern“. Er bestreite nicht, dass „die kulturelle Herkunft ein Faktor“ sei, so Voß. „Viele der meist zwölf bis 25-jährigen Jugendlichen sind allerdings in Deutschland aufgewachsen, hier also sozialisiert.“

Der Faktor Migrationshintergrund „ist ein Faktor von vielen“, wenn es um Gewalt in Bädern gehe. „Es gibt auch Gewalttaten – und sexuelle Übergriffe – von Deutschen.“ Die Debatte um das Recht von Frauen, ohne Bikinioberteil ins Schwimmbad zu gehen, „hat nicht dazu beigetragen, dass differenzierter über das Thema gesprochen wird“, glaubt Voß, der „in diesem Jahr einen Boom auf Deeskalations- und Präventionskurse“ beobachtet hat.

Gewalteskalationen wie jene im Berliner Prinzenbad hätten in diesem Jahr dazu geführt, dass „das Thema Gewalt in Bädern wieder in aller Munde ist und teilweise von den Medien hochgepusht wurde“. Das sei schade, „weil die Gewalt in deutschen Bädern insgesamt zwischen 2019 und 2022 nicht zugenommen hat“ – es gebe auch nicht mehr sexuelle Gewalt, „die es leider in Bädern ebenfalls immer schon gegeben hat“.

Schwimmmeisterin bemängelt fehlende Deeskalationskurse

Fehlende Kurse zu Prävention und Deeskalation bemängelt eine Schwimmmeisterin, die seit mehr als 25 Jahren in verschiedenen Bädern in Köln und im Kölner Umland arbeitet. Aus ihrer Sicht „wäre es gut, wenn das Personal in den Kölner Bädern regelmäßiger geschult würde. Gerade als Frau fühle ich mich wohler, wenn ich genau weiß, was zu tun ist, wenn Gewalt eskaliert oder es zu einem Übergriff kommt.“

Die Schwimmmeisterin hat beobachtet, dass „leider oft Menschen mit Migrationshintergrund an Übergriffen beteiligt sind – aber längst nicht immer“. Die Übergriffe seien ihrer Erfahrung nach „auch nicht mehr geworden“. Die Zusammenarbeit mit Security-Diensten in Köln und der Region erlebt die Schwimmmeisterin als „stark ausbaufähig“: „Wir merken an manchen Tagen kaum, dass wir von den Security-Leuten überhaupt unterstützt werden.“

Nicht selten erlebe sie es, dass „Badegäste, die wir ansprechen, weil sie aggressiv oder übergriffig waren, uns beschimpfen – manchmal auch als Rassisten“, sagt die Kölnerin. In solchen Fällen werde „immer die Polizei gerufen. Die Leute bekommen Hausverbot. Das ist auch dringend nötig.“

Historiker warnt vor „moralischer Panikmache“

Bodo Mrozek, Historiker am Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, der sich in einem Buch zur Jugendkultur der 1950er und 1960er Jahre auch mit Gewalt in Schwimmbädern und an Badestränden befasst hat, warnt vor einseitiger Stigmatisierung und „moralischer Panikmache“: „Taten wie die aktuelle in Köln müssen verurteilt und sanktioniert werden. Wenn sie allerdings instrumentalisiert werden, um eine vermeintlich missglückte Integration oder generell übergriffige Migranten zu behaupten, sollte man sehr skeptisch sein“, sagt er.

„Jüngst haben Rechtsextreme in einem Stuttgarter Schwimmbad mit Plakaten und Pyros für eine ‚Remigration‘ gegen Ausländer gehetzt. An manchen ostdeutschen Badeseen trauen sich Menschen nichtdeutscher Herkunft nicht mehr, schwimmen zu gehen, weil sie dort rassistisch beleidigt und vertrieben werden“, sagt Mrozek, der „gelegentlich ein Missverhältnis in der Dimension der Berichterstattung und der Relevanz des Themas“ sieht. Wenn CDU-Chef Friedrich Merz auf einem Bierfest sage, Kreuzberg und Berlin seien nicht Deutschland, Gillamos aber schon, insinuiere er damit auch, „dass das Berliner Prinzenbad nicht zur deutschen Kultur gehöre, das Münchner Oktoberfest aber sehr wohl – dabei wird dort auch immer wieder geprügelt und gegrabscht.“

Mrozek verweist auf den Film „Die Halbstarken“ von 1956 mit Horst Buchholz in der Hauptrolle, der mit einer Prügelei von Jugendlichen beginnt, die zwei Bademeister zusammenschlagen. 1963 folgte der DDR-Film „Die Glatzkopfbande“, in dem Jugendliche auf Usedom friedliche Badegäste drangsalieren und Frauen belästigen. „Zitate aus dem Film finden sich auch in den Akten der Volkspolizei, sind also nicht nur Fiktion“, so Mrozek.

Dass es Gewalt und auch sexuelle Übergriffigkeiten in Frei- und Strandbädern schon lange gibt, liege gewissermaßen in der Natur der Sache, glaubt der Historiker. „Bäder sind Orte der Differenz, an denen leicht bekleidete Körper vulnerabler Ruhesuchender auf die trainierten Bodys Pubertierender, die gern mal die Muskeln spielen lassen, treffen“, sagt er. Wenn Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Identität diskriminiert oder gar misshandelt würden, sei das „ebenso wenig zu tolerieren wie physische Angriffe auf Ordnungskräfte oder Bäderpersonal“. Problematisch sei es freilich, „wenn der Migrationshintergrund in den Vordergrund gerückt wird“.

Dann dürfe man auch „von rassistischen Übergriffen in deutschen Bädern nicht schweigen – und nicht davon, dass die meisten Fälle sexualisierter Gewalt in Deutschland in Familien aus allen Bildungsschichten passieren, aber nur selten angezeigt und medial bekannt werden, was zum traurigen Gesamtbild gehört“. Allein 2022 wurden mehr als 15.000 Fälle angezeigt, was nur ein Bruchteil sein dürfte. Experten gehen davon aus, dass jeder Siebte bis Achte Deutsche als Kind Erfahrungen mit sexualisierter Gewalt oder Missbrauch gemacht hat.

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