Ernst Mommertz setzte sich jahrzehntelang umfangreich für diejenigen Kölner ein, deren Alltag von Armut, Mangel und Angst bestimmt ist.
Der MomentAls Ernst Mommertz den Verein gründete, der den ärmsten Kölnern ihre Würde wahren soll

Gemeinsam mit Erika Wittkamp saß Ernst Mommertz ein Viertel Jahrhundert dem Verein „Helfen durch Geben – Der Sack“ vor.
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Ernst Mommertz blickt auf ein mehr als bewegtes Leben zurück. Den Zweiten Weltkrieg und seine Folgen hat er am eigenen Leib miterlebt, später hat er einen rasanten unternehmerischen Aufstieg hingelegt und nebenbei jahrzehntelang den Armen und Ausgestoßenen in Köln geholfen. Aber die Füße hochlegen, das möchte er auch mit 86 Jahren noch nicht so ganz. „Mir fehlt die Arbeit im Verein“, sagt Ernst Mommertz lächelnd. Der Verein, das ist der „Helfen durch Geben – Der Sack“-Verein. Und Mommertz’ Arbeit im selbigen bestand ein Viertel Jahrhundert lang darin, Kölner, deren Leben von Armut, Mangel und Angst bestimmt ist, mit dem Lebensnotwendigen zu versorgen. Über einen Mann, der auch im hohen Alter partout nicht wegschaut, wenn er Not sieht.
Ein Aufsteiger mit Bodenhaftung
Ernst Mommertz weiß, was es bedeutet, seine Perspektive verloren zu haben. Als 1941 die erste Bombe auf Köln fiel, zerstörte sie das Haus, in dem der damals zweijährige Mommertz gemeinsam mit seiner Mutter wohnte. Der Vater, dessen Friseurgeschäft sich zuvor ebenfalls im nun zerstörten Gebäude befunden hatte, war zu diesem Zeitpunkt im Krieg. Mutter und Sohn mussten nach Unterfranken ziehen, wo sie niemanden kannten. „Wir waren einfach weit ab vom Schuss, wir waren ganz allein“, erinnert sich Mommertz.

Walter Koenen (3.v.r.) ist als neuer erster Vorsitzender des Vereins Ernst Mommertz’ Nachfolger. Gemeinsam mit den anderen Ehrenamtlichen setzt er sich auch in Zukunft für bedürftige Kölner ein.
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Später dann der Umzug in die Hocheifel, in der Mommertz vier Jahre wohlbehütet die Volksschule besuchen konnte, bis der nächste Umbruch kam. „Wir kehrten nach Köln zurück, bezogen eine Zollstocker Hilfswohnung in schlimmen Zuständen. Ich kam aus einem idyllischen Dorf in der Schneeeifel und sah das zerbombte Köln. Die Heimat hatte sich verändert“, berichtet Mommertz.
Nach dem Besuch des Apostelgymnasiums wollten die Eltern Mommertz das Studium finanzieren, die Kosten verhinderten diesen Wunsch jedoch. Also absolvierte er eine Ausbildung zum Speditionskaufmann bei Delhey. „Meine Eltern konnten mir dabei nicht helfen, aber ich hatte einen tollen Chef“, erinnert sich Mommertz. Mit dessen Unterstützung legte er einen rasanten Aufstieg hin. Nach der Lehre wurde er zunächst Angestellter, mit 24 Jahren Prokurist und bereits mit 30 Jahren erreichte Mommertz eine Chefposition.
Drastische Armut in Köln
Auf diesem steilen Karriereweg, auf dem Mommertz nie die Armen und Perspektivlosen vergessen hat, markiert das Jahr 1966 einen bedeutenden Einschnitt für ihn. In diesem Jahr wurde Erika Wittkamp (83) zunächst zu seiner Mitarbeiterin, später wurde sie enge Vertraute, gute Freundin und Co-Gründerin des Sack-Vereins. Seit 1966 verbindet Mommertz und Wittkamp eine enge Zusammenarbeit: „Ich wollte eine Mitarbeiterin, die alles begreift, was ich mache und aktiv mitarbeitet, sich selber einbringt. Das hat dann nicht nur beruflich geklappt, sondern auch im Ehrenamt.“
1999 gründeten der mittlerweile selbstständige Mommertz und Wittkamp so ihren Verein. Bereits zuvor waren Mommertz und seine Ehefrau Bärbel (83) sozial engagiert. Unter Mommertz’ Führung unterstützten die Kölner Wirtschaftsjunioren ein lokales Mädchenheim finanziell; Mommertz suchte aber auch den persönlichen Kontakt zu den Mädchen. Jeden Donnerstag aß er mit ihnen zu Abend, führte Gespräche, organisierte Schiffstouren. Später engagierten sich Ernst Mommertz und Wittkamp bei der Wiedereingliederung ehemaliger Häftlinge in den Arbeitsmarkt. Das Ehepaar Mommertz unterstützte zudem Drogenabhängige auf ihrem Weg zur Abstinenz.

In Ossendorf befinden sich die Räumlichkeiten des Vereins.
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Wenn sie Not sahen, erkannten sie diese, schauten nicht weg, hatten den Drang zu helfen. Der Moment, in dem sich Mommertz und Wittkamp dazu entschieden, ihren Verein zu gründen, war ein ebensolcher. Pastor Willi Löhers schilderte ihnen das Schicksal von Kölnern, deren Verarmung inmitten eines global betrachtet so reichen Landes dermaßen drastisch ist, dass sie sich beinahe unvorstellbar anhört. „Eine Frau aus Mengenich hat ein Jahr auf ein paar Ballerinas für zwölf Euro gespart. Sie war so verarmt, dass sie nicht mehr als einen einzigen Euro pro Monat sparen konnte“, berichtet Wittkamp.
Für ein so grundlegendes Problem fanden Mommertz und Wittkamp eine adäquate Antwort: Bedürftige Kölner mit dem Grundlegenden zum Leben versorgen. Seit 1999 verteilen sie einmal im Monat einen Sack an Bedürftige. Drin sind ein fest etabliertes Sortiment an Lebensmitteln, etwa Nudeln und Konserven, sowie gelegentlich zusätzliche Artikel. Der Inhalt ist mit den Empfängern vereinbart. 25 Prozent der Empfänger erhalten die Säcke zudem nach Hause geliefert. „Es geht darum, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen und verlässlich zu sein“, erklärt Wittkamp. Inmitten einer von Unsicherheiten und Sorgen geprägten Lebensrealität bringen die Ehrenamtler vom Sack-Verein nicht nur notwendige Versorgung, sondern sie geben den Bedürftigen Struktur, Verlässlichkeit und ein Stück Würde.
Noch immer gibt es Probleme
25 Jahre lang saßen Mommertz und Wittkamp dem Verein vor. In dieser Zeit ist er stark gewachsen, beschäftigt mittlerweile vier Angestellte und 25 Ehrenamtler und versorgt zur monatlichen Sackausgabe (je 500 Säcke) zusätzlich noch 1100 Kinder aus 20 Kölner Kitas täglich mit frischem und gesundem Essen. Für seine Arbeit hat Mommertz unter anderem das Bundesverdienstkreuz bekommen. Vieles hat sich so zum Positiven verändert; anderes bleibt jedoch gleich. „Einige der Bedürftigen, die wir heute noch beliefern, sind seit Tag eins dabei“, sagt Mommertz. Manch einer würde bei solcher Aussichtslosigkeit resignieren, meint er deshalb, bei ihm sei das jedoch anders: „Ich bin dankbar für die Möglichkeit, anderen zu helfen. Wenn sie sich freuen, freuen wir uns. Somit sind wir letztendlich die Nehmenden.“
Vor gut einem Jahr hat Walter Koenen die organisatorischen, administrativen und kaufmännischen Aufgaben von Mommertz als neuer erster Vorsitzender übernommen. Die Ideen und ihre Umsetzung werden auch in Zukunft noch bestehen. Es bleibt die absurd erscheinende Hoffnung, dass der Verein sich durch die eigene Arbeit überflüssig macht.

