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Mythos TrümmerfrauenWer baute Köln nach dem Zweiten Weltkrieg wieder auf?

Lesezeit 4 Minuten
Die Kölner Stadtspitze und auch die englischen Besatzungsbehörden riefen im Jahre 1946 alle Kölnerinnen und Kölner auf, sich im Rahmen des „Ehrendienstes“ an der Entschuttung der Stadt zu beteiligen.

Die Kölner Stadtspitze und auch die englischen Besatzungsbehörden riefen im Jahre 1946 alle Kölnerinnen und Kölner auf, sich im Rahmen des „Ehrendienstes“ an der Entschuttung der Stadt zu beteiligen. 

Die Trümmerfrauen schufen ein Symbol des Neuanfangs. Neue Studien zeigen jedoch: Ihre Rolle wurde stark überhöht.

Auf dem Foto hat die Frau das Kopftuch fest über ihr Haar gebunden. Eine Schaufel ruht auf ihrer Schulter, sie blickt lächelnd neben einem Karren Ziegelschutt in die Kamera. Im Hintergrund ragen die Ruinen von Köln aus dem Schutt hervor.

Als der Zweite Weltkrieg vor 80 Jahren endete, schufen die Trümmerfrauen ein willkommenes Bild zur Illustration des Neuanfangs: Tatkräftig schaufeln sie auf zahllosen Schwarz-Weiß-Fotos Schutt von den Straßen, reichen in Menschenketten Steine weiter, klopfen Ziegel ab. Über Jahrzehnte prägten die Trümmerfrauen das Gedächtnis an den Wiederaufbau. Die Frauen, die die Städte enttrümmerten, galten als Vorbereiterinnen für das Wirtschaftswunder der 50er Jahre.

Vor zehn Jahren räumte eine Studie der Essener Sozialhistorikerin Leonie Treber mit dieser Art der Erinnerung auf. „Mythos Trümmerfrau“, titelten daraufhin Medien. Welche Rolle spielten sie tatsächlich?

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„Es waren nicht Frauen in Kopftüchern, die Deutschland wieder aufgebaut haben“

Für Nicole Kramer betrifft der Mythos vor allem zwei Punkte. „Der Erste: Es waren nicht hauptsächlich Frauen in Kopftüchern, die Deutschland wieder aufgebaut haben. Ohne den Anteil der Frauen kleinzureden: Das stimmt einfach nicht“, sagt die Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Köln. „Der zweite Mythos ist das Bild von: Die Frauen bauen auf, was die Männer zerstört haben. Diese Darstellung ist sehr problematisch.“ Frauen hätten im Nationalsozialismus ebenfalls Positionen innegehabt, auch wenn ihnen weniger Räume geöffnet wurden als Männer. 

Wie hoch der genaue Anteil an Trümmerfrauen war, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Viele Frauen (und Männer), die den Schutt vor ihrer eigenen Haustür wegräumten, gingen in keine Statistik ein. Kramer nennt nur eine Zahl: Circa 0,3 Prozent der Frauen in der britischen Besatzungszone verdienten nach dem Krieg ihr Geld als Enttrümmerungsarbeiterinnen.

Wer baute Köln also wieder auf? Die Stadt lag 1945 schließlich begraben unter 30 Millionen Kubikmeter Schutt, 262 Mal wurde sie bei Luftangriffen bombardiert. Erste Schäden mussten noch während des Krieges von Zwangsarbeitern und Kriegsgefangenen beseitigt werden.

Kölner Trümmerfrauen und -männer bei der Eröffnung des Ehrendienstes im Jahr 1947 am Gereonsdriesch.

Kölner Trümmerfrauen und -männer bei der Eröffnung des Ehrendienstes im Jahr 1947 am Gereonsdriesch.

Nach dem Krieg gingen die Aufräumarbeiten nur schleppend voran. Der Oberbürgermeister von Köln rief deshalb die Kölner im Jahr 1946 erstmals zum „Ehrendienst“: 101.000 Männer und 72.300 Frauen beseitigten jeweils einen Tag lang Schutt von den Straßen. Der Aufruf galt für Männer zwischen 14 und 65 Jahren, bei Frauen sollten nur die 16- bis 45-Jährigen zur Schaufel greifen. „Das zeigte die typischen Einschränkungen bei der Frauenarbeit“, sagt Kramer. Im selben Jahr verpflichtete die Stadtverwaltung 26.000 ehemalige NSDAP-Mitglieder, Männer und Frauen, zum sechstägigen Aufräumen als „Sühnedienst“. 

Trotzdem standen die – wenn auch wenigen – Trümmerfrauen für eine Öffnung, so Kramer. „Frauen wurden aus einer Notsituation heraus in Arbeitsbereichen eingesetzt, die vorher für sie nicht denkbar gewesen wären.“ Auch deshalb standen Frauen im Vordergrund, als Trümmerarbeiterinnen und -arbeiter im Jahr 1952 mit dem Kriegsverdienstkreuz geehrt wurden. Damit schien das Kapitel der Trümmerfrauen erst einmal abgeschlossen. Mehr als 30 Jahre nach Kriegsende sei eine Umfrage in Berlin durchgeführt worden, sagt Kramer: Wissen Sie, was Trümmerfrauen sind? Die meisten Passanten hätten verneint.

In der DDR wurde die Trümmerfrau zum Symbol für eine sozialistische Frau

Das änderte sich erst in den 80er Jahren, als unter der Regierung von Kohl die Debatte um die Renten aufflammte. Müttern, auf Wunsch auch Vätern, sollte das erste Lebensjahr ihres Kindes auf die Rente angerechnet werden. Ausgeschlossen von der Regelung blieben Frauen, die vor 1921 geboren wurden. Bei den Senioren- und Frauenbünden regte sich Widerstand. Weil die Arbeit der älteren Generationen in der Kindererziehung nicht anerkannt wurde, verwies man auf eine andere Leistung: den Wiederaufbau. „Für viele war die Trümmerfrau sehr anschlussfähig“, sagt Kramer. Der Frauenrat rief Frauen auf, ihre Erinnerungen an die Nachkriegszeit zu schildern, manche von ihnen banden sich wieder das Kopftuch ins Haar, gingen als Trümmerfrauen verkleidet auf die Straße. Im Kampf um ihre Rente wurde eine ganze Generation zu Trümmerfrauen erklärt, die Deutschland wiederaufgebaut hätten.

In Ostdeutschland war die Trümmerfrau zu dem Zeitpunkt schon fester im Geschichtsbewusstsein verankert. In der sowjetischen Besatzungszone arbeitete tatsächlich ein deutlich höherer Anteil an Frauen als Trümmerarbeiterinnen, doch auch ihre Rolle wurde gezielt überhöht: Die Trümmerfrau wurde zum Symbol einer sozialistischen, gleichberechtigten und fest in den Arbeitsmarkt integrierten Frau. Dieses Vorbild schmückte die SED-Staatsführung in den kommenden Jahrzehnten weiter aus und erklärte die Trümmerfrau so zur Erbauerin des Sozialismus.

Die meisten Trümmerberge ließen sich jedoch nicht mit Schaufeln und Eimerketten abtragen. Auch nicht in Köln, schreibt das Kölnische Stadtmuseum auf Anfrage. Trümmerfrauen, Trümmermänner, Sühnedienstleister und Ehrendienstler trugen zwar alle dazu bei. Doch schlussendlich waren es professionelle Firmen wie Grün & Bilfinger, Bauwens oder Speck, die, ausgestattet mit schweren Maschinen und Verwertungsanlagen, die Trümmerberge aus Köln schafften.