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Auf eigene FaustKölner macht im Internet Jagd auf Pädokriminelle – mit Folgen

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Ralf Schmidt (Name geändert) recherchiert im Pädophilenmilieu. Dann trifft er sich mit den Männern, stellt sie und filmt sie mit einer Bodycam.

  1. Der 33-jährige Ralf Schmidt hat sich in Chats als zehnjähriges Mädchen ausgegeben, um Beweismittel gegen Pädokriminelle zu sammeln.
  2. Dabei wurde er selbst straffällig. Durch seine Aktivitäten aber wurden Dutzende Täter enttarnt.
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„Dennis“, 32 Jahre (blau), im Kik-Messenger-Chat mit der vermeintlich zehnjährigen „Jenny“ (rot) aus Köln.

Köln – Ralf Schmidt, 33, sitzt am Tisch und schüttelt angewidert den Kopf. „Ekelhaft ist das, furchtbar, wie die sich in die Seelen der Kinder schleichen.“ Der Lockenkopf ist ein Kölner Junge, großgeworden „im berüchtigten Blumenberg-Ghetto“ des Stadtteils Chorweiler, wie er sagt. Einer von der Straße halt, der sich wehren könne, wenn es hart auf hart kommt. Schmidt (Name geändert) nimmt sein Handy vom Tisch und zeigt, was ihn umtreibt. Ein Video mit einem Pädokriminellen, den er und ein Freund gefilmt und enttarnt haben - ausgerüstet mit einer Bodycam an der Schulter.

„Guten Abend, wir stellen in zwei Minuten einen Pädophilen, der im Internet gesagt hat, dass er Oralsex mit einer Zwölfjährigen hatte. Und jetzt will er sich wieder mit einer Zwölfjährigen treffen, zum Analsex. Der Mann steht aktuell vor der Tür und wir werden ihn jetzt ansprechen“, sagt Schmidt der Polizei, die er gerade angerufen hat. Er wirkt ruhig und routiniert, geduldig und detailliert beantwortet er die noch offenen Fragen der Beamtin. „Wie geht’s dir? Du wolltest dich mit meiner Cousine treffen“, spricht Schmidt anschließend den Mann an, den er zuvor beobachtet hatte. Als der leugnet, zeigt der Kölner ihm sein Handy: „Hier, das ist doch dein Profil, das bist doch du.“ Der Mann scheint in Panik zu geraten, seine Augen suchen nach Hilfe. „Nein, nein, der sieht mir nur ähnlich“, sagt er.

Schmidt kam vor zweieinhalb Jahren auf die Idee

„Das bist du, das weißt du doch“, entgegnet Schmidt ruhig: „Und du wolltest dich mit einer Zwölfjährigen zum Sex treffen, hast ihr Penisfotos geschickt.“ Als der Mann versucht wegzulaufen, rennt Schmidt hinterher und hält ihn am Ärmel fest. Als der zu Hilfe gerufene Streifenwagen eintrifft, ringen die Polizisten den Flüchtenden zu Boden. Schmidt übergibt einer Beamtin den Stick, auf dem er den Chat mit dem Fremden dokumentiert hat. „Die Kriminalpolizei möchte Sie im Laufe des Abends vielleicht noch vernehmen“, sagt die Polizistin. Ja, klar, antworten Schmidt und sein Kumpel. „Wir sind erreichbar.“

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„Dennis“, 32 Jahre (blau), im Kik-Messenger-Chat mit der vermeintlich zehnjährigen „Jenny“ (rot) aus Köln.

Es ist etwa zweieinhalb Jahre her, als Schmidt auf die Idee mit der Recherche im Pädophilen-Milieu kommt. Schon als Jugendlicher hat er mit seinen Kumpels Mädchen-Profile angelegt, um mit erwachsenen Männern zu chatten. „Als alberne Kids fanden wir das lustig, wenn wir die Männer dann irgendwann per Live-Cam ausgelacht haben“, sagt er. Einer der Jungen hatte sich dafür sogar eine Perücke angezogen und Strümpfe in einen BH gestopft.

„Aber warum nicht mal ernsthaft was gegen diese Typen tun? Mal gucken, was die machen, wenn sie auf einen Erwachsenen treffen“, fragt Schmidt sich im Sommer 2019. In einer Zeit, in der die Medien beispielsweise über die Missbrauchsfälle in Lügde, Münster oder Bergisch Gladbach berichten, legt Schmidt zahlreiche Mädchenprofile auf den Plattformen Jappy, Knuddels, Instagram, Facebook, Kik-Messenger, Snapchat, Telegramm und in einigen speziellen Foren an. Beispielsweise in einer Chatgruppe, in der Pädophile sich als „Trainer“ für Mädchen anbieten, die Gewicht abnehmen wollen.

„Es hat mich berührt, dass er sich so für Kinder einsetzt“

„Das dauert keine zehn Minuten, wenn du eine neue Kinder-Identität anlegst, dann kommen schon die ersten zweideutigen Angebote“, sagt Schmidt. Der Kölner hat zeitweise mehrere Profile auf einzelnen Plattformen. Damals arbeitet er als Lagerist in einem Chemieunternehmen. „Abends nach der Arbeit habe ich dann gechattet, mindestens eine Stunde. Und am Wochenende extrem, manchmal bis zu acht Stunden.“ Eine Leidenschaft, für die seine Freundin Verständnis hat.

„Es hat mich berührt, dass er sich so für Kinder einsetzt.“ Eine Grenze aber definiert die Mutter eines achtjährigen Jungen. Wenn sich die Aktivitäten rumsprechen sollten, und wenn dann im Bekanntenkreis aus Halbwissen Gerüchte werden sollten, so nach dem Tenor „wir hätten etwas mit Kinderpornografie zu tun“. „Dann muss Schluss sein.“ Schmidt akzeptiert die rote Linie.

Aus den Hunderten von Chat-Partnern, die sexuelle Andeutungen machen oder ihn auf seinen Mädchen-Profilen ganz offen und ungeniert belästigen, konzentriert er sich meist auf die, die in der Nähe von Köln wohnen.

Der Erste, den er in die Falle lockt, ist ein Familienvater. Als der Kölner sich mit ihm verabredet und beim Treffen dann zur Rede stellt, sagt der Mann, er hätte Stress mit seiner Frau. Die wolle ihm sein Kind wegnehmen, deshalb habe er nur jemanden gesucht, mit dem er reden könne. „Warum suchst du dir dafür denn keine Erwachsene? Und warum schickst du einer Zwölfjährigen Penisfotos, wenn du nur reden willst?“, hat Schmidt gesagt und erstmals die Polizei gerufen.

Von da an bringt er immer wieder Beweismaterial zum Kölner Polizeipräsidium. Er gibt es den Fahndern des Kriminalkommissariats 13, die mehrere Dutzend Ermittlungsverfahren gegen die Männer eröffnen. Immer wieder aber wird Schmidt von den Fahndern auch ermahnt: „Lassen Sie das, das geht so nicht. Das ist unsere Aufgabe.“ Bei den Treffen mit den Verdächtigen könne er sich selbst in Gefahr bringen. Die Aktionen grenzten zudem an Selbstjustiz. „Zustände, die wir hier niemals bekommen dürfen“, sagt einer der Beamten.

Der Grad, auf dem Schmidt sich bewege, sei sehr schmal. Wenn er zu aktiv im Chat agiere und beispielsweise selbst auf ein Treffen dränge, könne dies womöglich schon als Aufforderung zu einer Straftat gewertet werden. „Dann sitzen Sie irgendwann als Beschuldigter hier, und das wollen wir doch nicht“, reden die Polizisten auf Schmidt ein. Der aber macht weiter.

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„Dennis“, 32 Jahre (blau), im Kik-Messenger-Chat mit der vermeintlich zehnjährigen „Jenny“ (rot) aus Köln.

„Da kriege ich einen solchen Hals, wenn ich die schleimigen und hinterhältigen Posts dieser Typen lese, da könnte ich sofort losprügeln. Wie die versuchen, sich in die Seelen der Kinder zu schleichen. Und diese grenzenlose Brutalität. Da gibt es Männer, die schicken einer Zehnjährigen ein Vergewaltigungsvideo mit einem Kind. Damit wollen die dann sagen, guck doch, andere Kinder tun das auch, da kannst du ruhig mitmachen, das ist nicht verboten“, sagt Schmidt. Und: „Ich mache das für alle Opfer, die sich nicht wehren können. Die sich nicht trauen, zur Polizei zu gehen, aus Angst und Scham. Und ich zeige denen, dass man es doch machen kann, sich trauen sollte. Dass sich die Täter vor Angst in die Hose machen, wenn sie enttarnt werden.“

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Aber woher kommt diese enorme Energie, sich derart zu engagieren? „Ich will diesen Tätern gegenübersitzen und in die Augen sehen, wenn sie begründen, warum sie das tun. Wenn sie lügen. Und wenn sie schließlich strafrechtlich verurteil werden, weil sie nichts mehr leugnen können, weil ich alles aufgezeichnet habe“, sagt Schmidt. Und dann, nach einer Pause, ergänzt er: Ja, es stimme, er habe auch einmal „so ein Erlebnis“ gehabt. Etwa sechs Jahre alt sei er gewesen. Darüber wolle er nicht sprechen. Ok, aber könnte daher ein Teil seiner Motivation stammen? „Nein “, sagt der Kölner leise. Das glaube er nicht. „Aber das Gefühl, das spüre ich noch wie heute.“

Im Sommer 2021 stößt Schmidt bei seinen Recherchen auf eine geschlossene Chatgruppe. Und er wechselt die Rollen. Gibt sich nicht mehr als Kind sondern als Täter aus. Der Admin der Telegram-Gruppe gewährt ihm Zugang, als Schmidt behauptet, er habe „ein Baby zur Verfügung“. Zuvor hat er seinen Bruder gefragt, ob er zum scheinbaren Beweis ein Babyfoto von dessen Sohn in die Gruppe schicken darf. Der Bruder stimmt zu. Unter der Voraussetzung, dass das Kind auf dem Bild nicht zu erkennen ist.

„Was ich in der geschlossenen Gruppe dann gesehen habe, das sprengte alle Maßstäbe“, sagt der Kölner. Um die Beweise zu sichern, nimmt er auch mit einer speziellen Software Videos der Chatteilnehmer auf, die nur kurze Zeit zu sehen sind. Schmidt weiß, dass er sich damit strafbar macht, denn die Rechtslage hat sich mittlerweile gerändert. Der Besitz kinderpornografischer Inhalte wird im Juli vergangenen Jahres durch eine Gesetzesänderung als Verbrechen eingestuft, für das eine Freiheitsstrafe von einem bis zu zehn Jahren vorgesehen ist. Geldstrafen oder eine Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit sind nicht mehr möglich. Trotzdem lädt er die Videos und Fotos runter. „Denn diese Leute, die wollte ich einfach nicht davonkommen lassen“, sagt er kopfschüttelnd.

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„Dennis“, 32 Jahre (blau), im Kik-Messenger-Chat mit der vermeintlich zehnjährigen „Jenny“ (rot) aus Köln.

„Gib mir eine letzte Chance“, schreibt der 32-jährige Dennis in den Chats an die zehnjährige „Jenny“, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hier im Original veröffentlicht. Nachdem der Mann wochenlang  nicht locker lässt, verabredet sich das vermeintliche Mädchen schließlich in einem Kölner Park mit ihm. Dort wartet dann aber Schmidt statt des Kindes auf den Mann. Die Chatverläufe und die kinderpornografischen Aufnahmen, die der Mann geschickt hat, hat der private Pädophilen-Ermittler vorher schon der Polizei übergeben.

Die Beamten durchsuchen noch am selben Abend die Wohnung des Beschuldigten in Duisburg und finden auf zwei Notebooks und zwei Handys massenhaft kinderpornografisches Material. Angesichts der erdrückenden Beweislage räumt der Mann die Vorwürfe vor Gericht schließlich rückhaltlos ein. Am 2. Februar dieses Jahres wird er in Duisburg wegen versuchten sexuellen Missbrauchs sowie Besitzes und Verbreitens von Kinderpornografie zu zwei Jahren und acht Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt.

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Mehrfach schon hat Schmidt vor Gericht als Kronzeuge ausgesagt.

Nicht der erste und sicher auch nicht der letzte Fall, in dem Schmidt als Hauptbelastungszeuge auftreten wird. In Mönchengladbach wurde ein Täter noch nach alter Rechtsprechung zu acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt, demnächst soll Schmidt vor den Amtsgerichten in Gelsenkirchen, Bochum und Bad Schwalbach aussagen. Womöglich sei er bald bundesweit als Zeuge unterwegs, hat ihm ein Ermittler gesagt. Denn auch die von ihm gespeicherten 103 Videodateien und Fotos aus der geschlossenen Chatgruppe mit etwa 60 Beteiligten aus ganz Deutschland, hat Schmidt im August 2021 der Polizei übergeben. Und die Experten des Kölner Kriminalkommissariats 13 konnten bis heute bereits 21 Verdächtige trotz Tarnnamen identifizieren und ihnen Klarnamen zuordnen.

Aber auch für Schmidt hat die Speicherung der Missbrauchs-Dateien an die Behörden erhebliche Folgen. „Tut mir leid, aber ich konnte nicht anders“, sagt er bei der Übergabe auf der Wache. Wissend, dass er sich mit seinen Aufzeichnungen selbst strafbar gemacht hat. Der Beamte, der den Stick in Empfang nimmt, schreibt zwangsläufig sofort auch eine Anzeige gegen ihn und leitet diese an die Staatsanwaltschaft weiter.

„Sie hätten Polizist werden sollen“

Schmidt wird Anfang 2022 vom Amtsgericht Köln zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Die Mindeststrafe, darunter geht es nicht. „Sie hätten Polizist werden sollen“, sagt der Richter. Im Urteil heißt es: „Der Angeklagte verschaffte sich die Dateien, dabei beabsichtigte er, die übrigen Chatteilnehmer pädosexueller Straftaten zu überführen. Im Rahmen der Strafzumessung wurde deshalb zugunsten des Angeklagten berücksichtigt, dass er durch sein Tun Aufklärungshilfe leisten wollte, was aber hier nicht legal war.“

Die Staatsanwältin hat zuvor 16 Monate Haft auf Bewährung gefordert, obwohl auch sie Schmidt  das ehrenwerte Motiv abnimmt. „Wenn Sie da mitmischen, behindern Sie Polizeiarbeit“, mahnt sie während der Verhandlung. Und weiter: „Leute wie Sie werfen Nebelkerzen, verdammt noch mal.“ Monika Troll, seine Verteidigerin, sagt: „Auch als Anwältin kann ich nur jedem raten, so etwas nicht zu tun. Bei allem guten Willen, aber am Ende stehen jetzt eine Anklage und ein rechtskräftiges Urteil.“

In seinem letzten Wort am Ende des Prozesses äußert auch der Angeklagte Verständnis für seine Verurteilung. Er begrüße die Strafverschärfung, sagt Schmidt. Zudem freue er sich auf einige Reisen in naher Zukunft zu Gerichtsprozessen, in denen von ihm überführte Tatverdächtige angeklagt und er als Zeuge geladen sei.

„Das Kapitel ist abgeschlossen“

Es sei schon verrückt, was er in den letzten beiden Jahren erlebt habe, sagt Schmidt Ende Mai beim Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Sein Blick ist nachdenklich. Seitdem er die Dateien aus der geschlossenen Pädophilen-Gruppe im Sommer des vergangenen Jahres bei der Polizei abgeliefert hat, habe er nicht mehr in diesen Kreisen gechattet, versichert er. Die Bilder in den Videos, vor allem aber auch das Weinen und die Schreie der Kinder, das hätte ihn lange Zeit so verfolgt, dass er nicht mehr schlafen und kaum noch etwas essen konnte. Diese schwere Zeit habe er jetzt hinter sich gelassen, es werde langsam besser.

Ob sich das Ganze trotz Vorstrafe und psychischen Belastungen gelohnt habe? „Ja, definitiv“, sagt der Kölner. Ob er es wieder machen wird? Schmidt überlegt, dann grinst er: „Nein, das Kapitel ist abgeschlossen.“