Neunjährige Kölnerin berichtet von Mobbing„Deine Eltern dachten schon bei deiner Geburt, dass du Scheiße bist“

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ILLUSTRATION - Zwei Schüler prügeln sich auf dem Schulhof.

Verbale Bedrohungen und systematische Gewalt hat jedes fünfte Kind an der Schule schon erlebt. (Symbolbild)

„Blöde Sau“ – ein neun Jahre altes Mädchen klagt über verbale Gewalt auf dem Schulhof. Die Pandemie hat die Lage verschlimmert, sagen Experten.

Als sie glaubte, es gar nicht mehr auszuhalten, hat sich Lea auf der Schultoilette eingeschlossen. Draußen tobten die Mädchen. „Hau ab, du blöde Sau!“, „Deine Eltern dachten schon bei deiner Geburt, dass du Scheiße bist“, und „Fick dich!“

Immer wieder wird die neun Jahre alte Lea (Name geändert) Opfer von verbaler Gewalt auf dem Schulhof einer Kölner Grundschule. Hauptakteurinnen seien ein paar Mädchen aus der Klasse, andere, auch Jungs, würden als Mitläufer mitmachen. „Die fühlen sich dann gut, in der vermeintlich stärkeren Gruppe zu sein“, erzählt ihre Mutter. Manchmal werde ihre Tochter auch an der Kapuze gepackt. Ihre Mutter sagt, sie sei „geschockt. Wir haben zu Hause einen komplett anderen Umgangston.“ Und: „Wie weit ist der Weg noch bis zum Schlagen?“

Abends sitze Lea dann auch mal zu Hause und weine. Ihre Mutter fragt sich: „Woher kommt diese Drastik? Die Heftigkeit macht mir Angst.“ Vor allem fühle sie sich aber machtlos. „Wir überlegen zu Hause, was sie erwidern kann. Raten ihr, sich schnell Hilfe bei Lehrern zu holen. Auch ich habe schon mit den Lehrern gesprochen. Die Schule ist wachsam und versucht, solche Vorfälle so gut es geht mit den Schülern aufzuarbeiten. Verhindert werden können die Beleidigungen und das Ausgrenzen auf dem Schulhof dennoch nicht.“

Viele Heranwachsende fühlen sich an der Schule nicht sicher

Lea ist mit ihrem Leid nicht allein. In Deutschland wurden im Jahr 2018, also vor der Pandemie, mehr als 20 Prozent der 15-jährigen Schülerinnen und Schüler laut Statista häufig an ihrer Schule gemobbt. Ein großer Teil des Mobbings verlief auf psychischer Ebene: 13 Prozent aller 15-Jährigen wurden mehrmals im Monat von ihren Mitschülern verspottet, über zehn Prozent wurden unangenehme Gerüchte verbreitet. Fünf Prozent der 15-Jährigen erlebten Mobbing mit physischer Gewalt. Viele Heranwachsende fühlten sich an der eigenen Schule nicht sicher. Jeder dritte Schüler habe Angst vor Gewalt und Ausgrenzung auf dem Schulhof. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Befragung der Bertelsmann Stiftung und einer Expertin der Frankfurter Universität von rund 3.450 Schülerinnen und Schülern im Schuljahr 2017/18.

Nach der Pandemie habe sich die Lage eher verschlechtert, sagt die Anti-Gewalttrainerin Heike Leye. Die Leiterin des Instituts für Gewaltprävention NRW in Köln erklärt das vor allem damit, dass durch die Lockdowns soziale Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen verloren gegangen seien. „Außerdem sind viele Jugendliche während dieser Zeit total durch das System gerutscht. Manche haben zu Hause selbst Gewalt erlebt, andere konzentrierten sich komplett auf soziale Medien. Dort konsumierten sie extrem kurze Videos, die häufig Gewalt verherrlichen und keinesfalls zu Empathiefähigkeit beitragen“, sagt Leye. Was dadurch entstehe, bezeichnet Leye als „kalte Aggression. Mobbing ist nicht impulsiv, es handelt sich um geplante Taten.“

Vor allem Mädchen werden Opfer von Cybermobbing

Ausgrenzung und Übergriffe verlagerten sich während der Pandemie so auch verstärkt ins Netz. Laut einer Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen sind 94 Prozent der 14- bis 24-Jährigen im Netz schon auf Hass-Kommentare gestoßen. Eine Schülerbefragung der Brandenburgischen Landesstelle für Suchtfragen e. V. ergab, dass Mädchen am häufigsten Opfer von Cybermobbing werden.

Aufgelöst werden müsse Mobbing dort, wo es entstehe, nämlich meist in der Schule. „Am schlechtesten ist, wenn Eltern gemobbter Kinder sich an die Eltern der mutmaßlichen Mobber wenden, das verschlimmert die Lage nur“, sagt Leye. Die Schule stehe in der Verantwortung. Die Schwierigkeit für Lehrerinnen und Lehrer bestehe allerdings darin, dass ihnen in der Regel sowohl die Zeit als auch die Ausbildung fehle, um angemessen auf die Vorfälle zu reagieren. „Außerdem geht bei Mobbing Prävention immer vor Intervention“, sagt Leye. Präventive Anti-Gewalt-Programme an Grund- und weiterführenden Schulen seien deshalb eine wichtige Maßnahme. Derzeit engagierten viele Schulen für das Corona-Geld Anti-Mobbing-Trainer. „Wir haben Anfragen ohne Ende“, sagt Leye. Alles laufe aber nur über Beantragung und eben nur dann, wenn gerade Fördergeld vorhanden sei. Um Mobbing dauerhaft in den Griff zu bekommen, wäre laut Leye eine Verstetigung durch feste Budgets an den Schulen nötig.

KIKA-TV Star Tom Lehel steht auf einer pink beleuchteten Bühne. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine hochgeschobene Sonnenbrille. In der Hand hält er ein Mikrofon, er schaut spaßhaft in die Kamera.

Tom Lehel arbeitet als Moderator auch beim Kindersender Kika. Mit seinem Anti-Mobbing-Präventionsprogramm ist er schon durch 600 Grundschulen getourt.

Tom Lehel ist seit 2018 mit seiner Stiftung „Mobbing stoppen! Kinder stärken!“ selbst auf diese Weise durch 600 Grundschulen getourt. Das Anti-Mobbing-Präventionsprogramm richtet sich an Dritt- und Viertklässler und wird von der Arbeitsgruppe von der Professorin Mechthild Schäfer von der Ludwig-Maximilian-Universität in München begleitet und evaluiert. Das Konzept basiert darauf, dass die Kinder selbst regulativ werden, wenn in der Gruppe etwas schiefläuft. „Zu Beginn erzähle ich immer, dass in jeder Klasse ein Mobbing-Monster im Käfig sitzt. Nur wenn alle hinschauen und aufpassen, bleibt die Käfigtür zu und das Monster kann nicht raus“, sagt Lehel. Wird jemand ausgegrenzt oder dauerhaft gehänselt, seien alle Kinder darauf geeicht, von Anfang an „Stopp“ zu rufen und sich Hilfe von Erwachsenen zu suchen.

Unbedachte Äußerungen der Eltern ahmen Kinder nach

Auch den Eltern käme aber eine große Verantwortung zu. „Kinder müssen erleben, dass ihre Eltern der Fels in der Brandung sind. Dass sie ihnen alles erzählen können“, sagt Lehel. Außerdem seien Kinder Schwämme, die alles von ihrer Umwelt aufsaugten. „Unbedacht entwertende Sprüche zu Hause über die unfähige Nachbarin oder den idiotischen Autofahrer ahmen manche Kinder in der Schule nach. Deshalb sollten Eltern auf eine respektvolle Sprache in Gegenwart der Kinder achten“, sagt Lehel.

Lea war nach Aussagen ihrer Mutter ein besonders selbstbewusstes Mädchen, das ihre Meinung immer gut vertreten konnte. Die verbale Gewalt auf dem Schulhof habe aber Spuren hinterlassen. „Sie ist unsicherer geworden“, sagt ihre Mutter. Hoffnung gibt der Blick auf den Schulwechsel im Sommer. „Ab August geht es an die weiterführende Schule. Meine Tochter fiebert richtig darauf hin, dort andere Kinder zu treffen, die sie so sein lassen, wie sie ist.“

Tipps gegen Mobbing von Tom Lehel

  • Wenn das Kind von Mobbing erzählt, die Sorge immer ernst nehmen
  • Zu Hause ein Nest der Sicherheit bieten
  • In der Anfangsphase kann Ignorieren oder Verbünden mit anderen Kindern helfen
  • Mobbing-Tagebuch führen
  • Lehrerin oder Lehrer einbinden

Um das Thema Respekt und Toleranz im Umgang geht es auch bei dem „Tabulakids – du bist richtig!! - Festival“ am 11. August 2023 in Oldenburg, bei dem unter anderen Adel Tawil, Stefanie Heinzmann sowie Tom Lehel auftreten.


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