Besuchsregeln in Corona-KriseAngehörige kritisieren Willkür in Kölner Seniorenheimen

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Seniorenheim Symbolbild

Eine Angehörige spricht mit der Bewohnerin eines Seniorenheims durch eine Plexiglasscheibe. (Symbolbild)

  • 100 Menschen in Köln sind bisher an den Folgen des Coronavirus gestorben (Stand 4. Juni). Der Großteil dieser Menschen war alt, zählte zur Risikogruppe.
  • Die Seniorenzentren in der Stadt haben sich abgeschottet, Besuche waren lange Zeit nicht möglich.
  • Dabei liest sich die aktuelle Corona-Schutzverordnung des Landes NRW in Bezug auf die Pflegeheime ganz anders:

Köln – Als Ministerpräsident Armin Laschet öffentlichkeitswirksam zum Muttertag verkündete, dass das Besuchsverbot in den Heimen gelockert wird, hat Simone Heinz aufgeatmet. So wie Tausende andere Angehörige der teilweise zwei Monate von ihren Angehörigen abgeschotteten Pflegeheimbewohner. Inzwischen ist die Kölnerin nur noch empört, fassungslos und traurig: Wenn sie einen der begehrten Besuchstermine im Heim ihrer dementen Mutter ergattert, wird sie in einem Besucherzimmer an einen langen Tisch geführt. Am anderen Ende des Tisches sitzt ihre Mutter hinter einer Plexiglasscheibe. Trotz der Scheibe muss Simone Heinz Mundschutz tragen. „Die Kommunikation mit meiner dementen, schwerhörigen Mutter, die in der Zeit der Isolation völlig verstummt ist, ist unter diesen Umständen unmöglich. Sie hört mich auf die Distanz nicht und kann hinter der Maske meine Mimik nicht erkennen.“

Die eigene Mutter, eine Gefangene

Wenn ihre Hand dann suchend auf die Plexiglasscheibe greift, darf ihre Tochter sie nicht berühren. Diese gerade für Demenzkranke völlig ungeeignete Nähe auf Distanz sei für beide kaum zu ertragen. Heinz erlebt ihre Mutter wie eine Gefangene und fragt sich, ob dieser „menschenunwürdige Zustand bis zu einer Impfung weitergehen soll“. Ihren richtigen Namen will sie ebenso wenig in der Zeitung lesen wie den Namen des Heimes in konfessioneller Trägerschaft. Zu groß ist die Angst, dass ihre Mutter dadurch Nachteile hat.

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Alles zum Thema Armin Laschet

Bei der Kölnerin Nina Oxenius, die während des Lockdowns eine Petition an Sozialminister Laumann gestartet hatte, um eine Lockerung des Besuchsverbots zu erreichen, melden sich viele Angehörige mit ähnlichen Geschichten. „Vordergründig gibt es Erleichterungen. Und viele Heime setzen die auch engagiert so um, dass es bessere Zugänge zu den Angehörigen gibt.“ Aber es gebe eben auch viele Angehörige, die gegenteilige Erfahrung machen. Der Biva-Pflegeschutzbund berichtet aus seiner Rechtsberatung von Angehörigen, denen nur alle 14 Tage ein Termin zugeteilt wird – hinter Plexiglas und mit anderen in Räumen ohne Privatsphäre. Oftmals noch mit Maske und mit anderen Besuchertandems im Raum, so dass die schwerhörigen Hochbetagten gar nichts hören könnten.

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Gerade die großen Träger wie Diakonie und Caritas hätten auch in Köln teilweise sehr strikte Regeln, berichtet Markus Sutorius, Rechtsberater bei der Biva. „Da wird dann beispielsweise ein Besuchercontainer für 100 Bewohner aufgestellt. Da kann natürlich schon rein logistisch nur einmal die Woche ein Besuch stattfinden.“ Mehr sei bei der Personalausstattung einfach nicht drin, werde den Angehörigen dann gesagt.

Senioren müssen teilweise auf wichtige Therapien verzichten

Es gebe in Nordrhein-Westfalen sogar Heime, die nicht mal ein Betreten der Einrichtung ermöglichen. In Essen habe ein Pflegeheim einen Besuchspavillon auf den Bürgersteig gestellt, von wo aus die Besucher in das im Innern des Gebäudes liegende Besuchszimmer hereinrufen mussten. „Viele Regelungen sind unmenschlich. Eine Abwägung zwischen Gesundheitsschutz und Menschenwürde findet in vielen Einrichtungen einfach nicht statt“, konstatiert Oxenius. Auch Physiotherapeuten werde in Kölner Heimen teilweise immer noch der Zutritt verweigert oder nur gegen aktuellen Coronatest erlaubt, so dass wichtige Therapien seit Monaten nicht möglich seien. Dabei liest sich die aktuelle Corona-Schutzverordnung des Landes NRW in Bezug auf die Pflegeheime ganz anders: NRW erlaubt „maximal einen Besuch pro Tag und Bewohner von maximal zwei Personen“ steht dort. Dies umfasse Besuche im Garten ebenso wie – mit entsprechender Schutzkleidung – Besuche auf dem Zimmer, wenn dies aus „sozial-ethischen Gründen“ erforderlich ist.

Der Haken ist nur das Wort „maximal“. Es ermögliche jeder Heimleitung, eigenständig festzulegen, wie und in welchem Umfang sie die Verordnung in ihrem individuellen Hygienekonzept umsetzt. Es gibt Kölner Heime, die Spaziergänge mit Angehörigen erlauben, Besuche auf dem Zimmer und tägliche Begegnungen. In den beiden Kölner Einrichtungen der Arbeiterwohlfahrt beispielsweise haben die Angehörigen täglich Besuchsrecht und können ihre Angehörigen im Garten treffen. Andere ermöglichen sehr wenig.

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Viele Angehörige hätten Angst, die Heimleitungen zur Rede zu stellen, hat Sutorius festgestellt, weil sie Nachteile für ihre Angehörigen fürchteten. Dass gleich mehrere angefragte Betroffene ihren Namen nicht veröffentlicht sehen möchten, sei bezeichnend. Nicht selten werde sogar juristisch völlig haltlos mit Rauswurf ihrer Angehörigen aus dem Heim gedroht. „So zentrale Fragen wie die Einschränkung persönlicher Freiheiten können nicht davon abhängig gemacht werden, wie verantwortungsvoll oder mutig eine Heimleitung ist“, meint Oxenius.

Stadt Köln testet Senioren und Mitarbeiter auf Corona

Die Biva fordert daher, dass die Landesregierung umgehend die Corona-Schutzverordnung ändert und aus einer Maximalregelung ein tägliches Besuchsrecht von einer Stunde pro Tag für die Pflegeheime macht. Außerdem müssten endlich flächendeckend und in regelmäßigen Abständen die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn schon vor Wochen angekündigten Tests von Bewohnern, Pflegepersonal und am besten auch Angehörigen stattfinden. Dann hätten auch mehr Heimleiter den Mut, wieder tägliche Besuche auf den Zimmern zu erlauben, die gerade für demente und bettlägerige Bewohner essenziell seien.

In Köln führt die Stadt in Eigeninitiative in den 137 Pflegeheimen durch die Feuerwehr alle vier Wochen eine Testung aller 7500 Pflegeheim-Mitarbeiter durch. Das sei ungewöhnlich und ein sehr positives Beispiel, meint Sutorius. Aber der Turnus sei zu klein und es könne nicht den Kommunen aufgebürdet werden, freiwillig für regelmäßige Tests zu sorgen. Hier müssen Land und Bund Verantwortung übernehmen. Diese müssten auch dafür Sorge tragen, dass die Einrichtungen beim Auftreten eines Corona-Falls nicht automatisch für alle Bewohner wieder pauschale Besuchsverbote verhängt.

Was die NRW-Corona-Schutzverordnung allerdings ausdrücklich erlaubt, ist, dass die Bewohner das Pflegeheim in Begleitung eines Angehörigen verlassen dürfen, wenn sie ungeschützten Kontakt mit Dritten unterlassen. „Das ist ein unverhandelbares Freiheitsrecht. Und das wissen viele Angehörige gar nicht, weil es teilweise bewusst nicht kommuniziert wird.“ Wenn die Pflegeheime dann als Konsequenz mit Zwangsquarantäne drohten, sei dies ein klarer Rechtsbruch, stellt Satorius klar.

www.biva.de

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