Die kölsche Sprache ist warmherziger und sogar treffender als Hochdeutsch. Psychologe Wolfgang Oelsner erklärt das anhand von Beispielen.
„Dä mäht et Hänneschen“Daach der kölschen Sproch – Warum op Kölsch vieles besser geht

Im Hänneschen-Theater geht es oft hoch her.
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Auf der Suche nach einer schulischen Förderung für ihren Sohn legt mir eine Mutter umfangreiche Testergebnisse vor. Die bescheinigen dem Elfjährigen eine defizitäre Impulskontrolle, signifikante Auffälligkeiten in Perzeption und Frustrationstoleranz. „Verzälle Se mir nix“, unterbricht die Mutter, als ich aus der Akte vorlese, „ich weiß, wat minge Jung hät: Dä mäht et Hännesche!“
Offenbar haben die Mutter und ich den gleichen Symptomkomplex vor Augen. „Mer luure uns dä Wibbelstätz ens aan“, antworte ich und verschlüssele die kölsche Diagnose „Hänneschen“ auf meinem Notizblock nach dem medizinischen Glossar als „Verdacht auf F 90.1: Hyperaktivität mit Störung des Sozialverhaltens“. Begrifflich liegen Welten zwischen uns. Hier die Befunderhebung in differenzierter – wohlgemerkt: auch notwendiger – Fachsprache. Dort die kölsche Generalisierung „dä mäht et Hänneschen.“
Psychologe erklärt die Vorteile der kölschen Sprache
Für das, was auf unser Kollegium zukommt, macht das keinen Unterschied: ein anstrengendes Kind. Kinder mit ADHS sind immer anstrengend. Doch ein „Hänneschen“ definiert sich nicht nur durch Störungen und Defizite. Auch Ressourcen schimmern durch. Mer hührt also nit nur, wat dä Jung alles nit kann, sondern och, dat hä vielleich pfiffig, orjinell un flott sin kann. Vor allem kommt ein Hänneschen warmherziger rüber als ein hyperaktives Kind. Schon im Erstkontakt.
Mit Sprache verständigen wir uns nicht nur über Inhalte. Sie vermittelt auch etwas von unserem Menschenbild. Und von der Beziehungsebene, auf der wir einander begegnen wollen. Während die Hochsprache mehr auf Abstand hält, sind Regionalsprachen (besser geläufig als „Mundart“) nahbare Sprachen. Der Wechsel von der einen in die andere ist auch ein atmosphärisches Signal. Etwa zum Perspektivwechsel, wenn was festgefahren ist. „Loss mer noch ens drop luure! Vielleich krieje mer dat och anders hin?“
In verkrampften Situationen können mundartliche Einsprengsel wie ein hörbares Augenzwinkern wirken. Damit soll die Komplexität der kölschen Sproch nicht klein geredet werden. Sie sei, sagen Linguisten, nicht nur ein Dialekt, sondern auch eine eigenständige Sprache mit Regeln. Die ze liere – un noch vill mieh – es die „Akademie för uns kölsche Sproch“ en prima Adress. Un et es jot, dat et do su korrekt zojeiht, als wenn mer en Frembsproch liere deit, met Orthografie, Grammatik un esu. Doröm schriev die Akademie och „Dag der kölschen Sproch“ un nit „Daach“, wie mer et hüre un spreche deit.

Wolfgang Oelsner wurde 2025 mit dem Rheinlandtaler ausgezeichnet.
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Solche Differenzierungen haben ihre Berechtigung. Ebenso die Achtung vor dem literarischen Niveau manch mundartlicher Rümcher un Verzällcher, Dramen un sujar Trauerspille. Die müssen sich nicht verstecken, nur weil das Feuilleton sie nicht zur Kenntnis nimmt.
Ävver öm all dat jeiht et he nit. Es geht darum, Kopf und Herz zu öffnen für den kommunikativen und gesellschaftlichen Mehrwert, der im regionalen Sprachschatz liegt. Auch für die, die nicht mit ihm groß geworden sind. Wer kein „native-speaker“ es, kann met ´nem kölsche Wood zeige, dat hä nit nur me´m Kopp, sondern och me´m Jemöt am Rhing ankumme well. Der Sprache des Gemüts Raum zu geben, heißt keineswegs zu verniedlichen oder gar zu verharmlosen. Vielmehr vermittelt sich mit ihr eine in allen Sachbezügen mitschwingende emotionale Ebene. Über die Mundart verschafft sie sich auch im akademischen Diskurs Gehör. Das weitet unsere Verständigung.
Liedtexte sollen Sprachmuster und Redewendungen vermitteln
Der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Hans-Georg Mlody sagt, wenn ihm jemand anvertraue „Herr Doktor, ich han et ärme Dier“, dann verstehe er mehr von dem, was den Menschen umtreibt und wie ihm vielleicht zu helfen ist. Mehr jedenfalls, als der fachliche Befund einer „phasisch depressiven Verstimmung“ auszudrücken imstande ist.
Es ist ein Privileg von Kindern, ihre Befindlichkeiten noch nicht durch die Hochsprache filtern und disziplinieren zu müssen. Gleichwohl bleibt dies ihr Entwicklungs- und Bildungsauftrag. Der schnürt das Gemüt mitunter auch ein. Schön, wenn wir dann später noch auf eine prall gefüllte kölsche Liedertruhe aus der Grundschulzeit zurückgreifen können. Zigtausenden wurde sie mitgegeben, seit die Bläck Fööss im Verbund mit Schulamt und „Verein der Brauchtumsfreunde“ vor über zwei Jahrzehnten ihr „pädagogisches Missionswerk“ (u. a. „Die Philharmonie singt“) begannen.
Liedtexte ersetzen keine sprachliche Kommunikation. Doch sie vermitteln Sprachmuster und Redewendungen, die emotional haften bleiben. Die auch dann abgerufen werden können, wenn’s einem in Ausnahmesituationen die (Hoch-)Sprache verschlägt. Lieder wie „Kriesch doch nit, wenn et vorbei es“ oder „Alle Jläser huh“ hört man bei Abschieden aller Art: Schulentlassungen wie Beerdigungen. Zahlreiche Musikgruppen halten die hiesige Regionalsprache, uns kölsche Sproch, lebendig. Dat die ävver mieh drop hät als vierzeilige Refrains, dat die och vör Explizeer un Komplexität nit bang es, dat kann mer am „Daach der kölschen Sproch“ bei Führunge, Disköösch, Vürdräg, Theaterspill un noch vill mieh erlevve. Et es en Angebot, Vertrautes anders ze sin, sich ens anders met d´r Welt ze ungerhalde als för gewöhnlich. Perspektivwechsel. Dat es nit winnig!
Wolfgang Oelsner (75) leitete viele Jahre die Schule in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Kölner Uniklinik. Nebenberuflich erforscht er die Psychologie des Karnevals und gilt als Experte des kölschen Brauchtums und Lebensgefühls. Daher wird er auch oftmals als „Karnevalsphilosoph“ bezeichnet. Oelsner ist Träger zahlreicher Preise. In diesem Jahr erhielt er den Rheinlandtaler für außergewöhnliche Verdienste um die kulturelle Vielfalt und die Besonderheiten der Region.