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Interview

Gewagter Schritt
Kann das Zürcher Modell die Drogenprobleme in Köln lösen?

Lesezeit 5 Minuten
Florian Meyer, Leiter der Abteilung „Schadensminderung für illegale Substanzen“ der Stadt Zürich

Florian Meyer, Leiter der Abteilung „Schadensminderung für illegale Substanzen“ der Stadt Zürich

In Zürich ist die offene Drogenszene verschwunden, sagt Florian Meyer, Leiter der Abteilung „Schadensminderung für illegale Substanzen“. Was kann Köln davon lernen?

Herr Meyer, geht es um Probleme mit Drogen, wie wir sie hier in Köln auch kennen, loben Expertinnen und Experten immer wieder das sogenannte Züricher Modell. Wie groß war das Problem in Zürich? Und wie ist die Stadt damit umgegangen?

In den 1990er Jahren gab es in Zürich eine der größten offenen Drogenszenen Europas. Wie in vielen anderen Städten auch hat die Polizei damals versucht, die Szene mit repressiven Maßnahmen aufzulösen. Das hat die Szene jedoch lediglich an einen anderen Ort verdrängt, und zwar auf das Gelände eines stillgelegten Bahnhofs. Die Lage wurde katastrophal; die hygienischen Bedingungen waren furchtbar, es kam zu Gewalt und Kriminalität. Diese Erfahrung hat die Stadt extrem geprägt. Der Druck, etwas zu tun, war groß. Als Reaktion darauf ist die sogenannte Viersäulen-Strategie entstanden, in der alle relevanten Bereiche (Repression, Schadensminderung, Therapie und Prävention) gemeinsam und verzahnt agierten. Dieses Modell – in Deutschland bekannt als das Zürcher Modell – wird heute noch gelebt.

Wie funktioniert es?

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In Zürich gibt es heute drei Drogenkonsumräume an unterschiedlichen Standorten mit unterschiedlichen Öffnungszeiten. So gelingt es uns, die Szene täglich von einem Standort zum anderen zu verlagern. Dadurch können wir verhindern, dass sich die Szene in einzelnen Stadtvierteln festsetzt. Andererseits wird der Kleinhandel in den Einrichtungen toleriert. Das ist das eigentliche Schlüssel-Element des Ganzen, denn die Szene ist dort, wo der Stoff ist. Und wenn dieser in den Konsumräumen verfügbar ist, ist die Szene drin – und nicht im öffentlichen Raum. Das Ergebnis ist, dass in Zürich zwar noch Konsum im öffentlichen Raum vorkommt, es aber keine offene Drogenszene mehr gibt.

Fakt ist: In vielen Städten mit offenen Drogenszenen ist der öffentliche Raum aktuell eine rechtsfreie Zone
Florian Meyer, Leiter der Abteilung „Schadensminderung für illegale Substanzen“ der Stadt Zürich

Wie kann man sich den Kleinhandel in den Konsumräumen vorstellen?

Im Austausch mit Städten im Ausland merken wir, dass dieser Punkt der umstrittenste an unserem Modell ist. Fakt ist: Auch die Schweiz ist natürlich ein Rechtsstaat. Aber: In vielen Städten mit offenen Drogenszenen ist der öffentliche Raum aktuell eine rechtsfreie Zone. Denn die Polizei kann den Kleinhandel kaum verhindern. Zürich hat sich für einen pragmatischen Weg entschieden und toleriert den Kleinhandel stattdessen – in einem medizinisch und sozial kontrollierten Setting in unseren Einrichtungen.

Wer sind die Dealer, die in den Einrichtungen Drogen verkaufen?

Es handelt sich um Menschen, die selbst drogenabhängig sind und ihren eigenen Konsum durch den Kleinhandel finanzieren. Zutritt zu den Konsumräumen haben nur Menschen mit Wohnsitz in der Stadt Zürich, oder Menschen, die ihren letzten Wohnsitz in Zürich hatten und weiterhin in der örtlichen Szene ihren Lebensmittelpunkt haben. Das ist ein weiterer Unterschied zu vielen deutschen Konsumräumen. So wird auch verhindert, dass eine Sogwirkung entsteht und Konsumentinnen und Konsumenten aus anderen Städten nach Zürich kommen.

Gibt es auch repressive Elemente?

Absolut. Außerhalb der Konsumräume gilt eine Null-Toleranz-Politik für den Konsum und den Handel mit illegalen Substanzen. Das Prinzip wäre, dass die Repression die Menschen quasi in die Einrichtungen drängt. Das ist jedoch gar nicht notwendig, da die meisten Konsumentinnen und Konsumenten freiwillig die Einrichtungen aufsuchen. Denn sie bieten ihnen einen Schutzraum, in dem sie akzeptiert werden.

Einer der drei Drogenkonsumräume in Zürich

Einer der drei Drogenkonsumräume in Zürich

In Köln haben wir in den letzten Jahren eine Crack-Welle erlebt, die Verwahrlosung hat zugenommen. Auch der Drogenkonsumraum wird von Crack-Konsumenten weniger in Anspruch genommen. Der Konsum findet vor allem draußen statt. Ist das in Zürich auch ein Thema?

Durchaus. Crack ist theoretisch ein Game-Changer, der Drogenkonsumräume unattraktiver machen kann. Denn im Vergleich zu Heroin findet der Konsum extrem schnell statt, es gibt für Konsumentinnen und Konsumenten wenige Gründe, sich dafür irgendwo hinzubegeben. In Zürich wird seit über 20 Jahren hauptsächlich Crack konsumiert. Der Schlüssel ist – neben dem Tolerieren des Kleinhandels – die Einrichtungen maximal auf die Bedürfnisse der Zielgruppe auszurichten. Wir bieten zum Beispiel auch Schlafmöglichkeiten, Konsumentinnen und Konsumenten können bei uns essen und trinken, duschen und Wäsche waschen und erhalten sozialarbeiterische und medizinische Betreuung gibt. Denn wichtig ist auch zu wissen: Konsum im öffentlichen Raum ist oft auch für die drogenabhängigen Menschen eine Stresssituation.

Das klingt alles ziemlich teuer. Zürich gilt als sehr wohlhabend. In Köln wurde vor kurzem ein Sparhaushalt verabschiedet, Oberbürgermeisterin Henriette Reker sprach von einer „desolaten Haushaltslage“. Kann sich eine Stadt wie Köln das Züricher Modell überhaupt leisten?

Konsumräume und das dazugehörige Personal kosten Geld, das ist richtig. In den drei Konsumräumen arbeiten fast 90 Mitarbeitende, deren Arbeitspensen entspricht 42 Vollzeitstellen. Die Folgekosten einer offenen Drogenszene sind aber unserer Meinung nach weit höher als die Kosten für die Konsumräume. Zu den Kosten einer offenen Szene kommt auch dazu, dass das Image von Städten leidet, und die Bevölkerung den öffentlichen Raum meidet, oder Geschäfte und Restaurants in der Nähe von Szenen schließen. Wenn man diese Kosten mit einkalkuliert und gegenüberstellt, dann ist die Antwort, welches Modell mehr kostet, in meinen Augen ziemlich einfach zu beantworten.

Angesprochen auf das Züricher Modell hieß es von der Stadt Köln vor drei Jahren, dass sie bereits jetzt schon viele Parallelen sehe. Eine Dezentralisierung der Angebote wie in Zürich würde in Köln aber nicht funktionieren. 2010 sei versucht worden, die Szene nach Deutz zu verlagern, der Drogenkonsumraum dort wurde aber nicht angenommen. Was sagen Sie dazu?

Die Szene ist dort, wo die Drogen sind. Wenn man den Kleinhandel in den Einrichtungen zulässt, wird auch die Szene kommen – das ist unsere Erfahrung hier in Zürich. Zudem haben wir festgestellt, dass die Einrichtungen am besten funktionieren, wenn sie nicht komplett am Stadtrand, sondern in der Nähe des Lebensraums der Zielgruppe liegen. Auch in Zürich kennen wir natürlich den „Not-in-my-backyard-Reflex“-Problem, dass Konsumräume vielleicht nicht grundsätzlich abgelehnt werden, in der eigenen Nachbarschaft aber schon. Wenn es jedoch gelingt, die Szene für Drogenkonsum und Kleinhandel komplett in die Einrichtungen zu bekommen, steigt auch die Akzeptanz. Und dafür braucht es die vereinten Kräfte von Polizei-, Sozial- und Gesundheitswesen.