Die Max-Ernst-Gesamtschule hat ihre Schulstunden verlängert. Und alle finden es gut. Das Mehr an Konzentration geht einher mit Bewegungseinheiten.
„Gefühl des Aufbruchs“Warum an der Kölner Max-Ernst-Gesamtschule eine Stunde 67 Minuten dauert

Tahira und ihr Klassenlehrer Marcus Peters probieren schon mal aus, was man in den großen Pausen alles machen kann.
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Tahira ist ganz zufrieden, und nicht nur sie, meint die Sechstklässlerin an der Max-Ernst-Gesamtschule (MEG). „Das gefällt allen in unserer Klasse gut“, erzählt sie, als sie auf die Verlängerung der Schulstunden an der MEG seit Anfang des Schuljahres angesprochen wird. Statt 45 Minuten nun jeweils 67,5 Minuten – und das gefällt den Schülern? Tahira winkt ab: „Wenn wir uns nicht mehr konzentrieren können, sagen wir das dem Lehrer“, so die Elfjährige. Der legt dann eine Pause ein, die für Bewegungsübungen genutzt wird. „Auf dem Whiteboard sehen wir zum Beispiel Gegenstände auf uns zukommen. Denen müssen wir ausweichen oder hochspringen, das macht Spaß.“ Digitale Tafeltechnik macht es möglich.
Für Ralf Emmermann hat die neue Stundentaktung eine Menge Vorteile. Denn die Gesamtschule besteht aus vier größeren Gebäudekomplexen, die über das weitläufige Schulgelände verteilt sind. Wenn Klassen für ein Unterrichtsfach bestimmte Fachräume aufsuchen mussten, waren sie früher häufig in den kleinen Pausen zwischen den Schulstunden unterwegs: „Das hat für eine Menge Unruhe, Lärm und Stress gesorgt, der sich auch im Unterricht bemerkbar machte“, erzählt der Schulleiter der MEG.
Unterricht in Köln-Bocklemünd endet um 15.40 statt um 16 Uhr
Nun sind diese kleinen Pausen praktisch entfallen, und das reduziert die Zahl der Unterrichtsfächer pro Tag: Früher waren bis zu acht pro Tag möglich, heute sind es maximal fünf, was Emmermann für pädagogisch sinnvoll hält: „Eine 45-Minuten-Stunde ist fast schon zu Ende, wenn man sich richtig in ein Thema eingearbeitet hat, bei mehr als 67 Minuten ist eine ganz andere Vertiefung möglich.“ Die 90-minütigen Doppelstunden, die im 45-Minuten-Takt in einigen Fächern üblich sind, hält er dagegen eher für zu lang. Ein willkommener Nebeneffekt: Weil durch den Wegfall der kleinen Pausen Zeit eingespart wird, konnte der Schulbeginn auf 8.20 Uhr nach hinten verlegt werden. Der Unterricht endet nun auch früher: gegen 15.40 Uhr statt um 16 Uhr.
Grundsätzlich sind an weiterführenden Schulen in Nordrhein-Westfalen drei Modelle möglich: 45, 60 oder 67,5 Minuten darf eine Schulstunde dauern. An der MEG ist eine Taktungsänderung aufgrund der Gegebenheiten vor Ort schon lange ein Thema. Allerdings sei 2016/2017 ein erster ernsthafter Versuch zur Einführung der 67,5-Minuten-Stunde am Widerstand des Kollegiums gescheitert, berichtet Emmermann. „Diesmal haben wir uns zwei Jahre Zeit genommen, um das vorzubereiten. Es war uns wichtig, Schüler, Eltern und Lehrer mitzunehmen, am Ende hat sich das etwa 130-köpfige Kollegium bei einer Enthaltung dafür entschieden.“
Bewegungskonzept soll Konzentration fördern
Einwände seien allerdings aus den Reihen der Schüler gekommen, die sich berechtigte Sorgen machten, ihre Konzentrationsfähigkeit werde nicht für 67,5 Minuten reichen. Daher soll nun ein eigenes Bewegungskonzept her: „Schule wird zu oft noch auf die Vermittlung von Lerninhalten reduziert. Wir sehen es aber auch als unsere Aufgabe an, für die Gesundheit der Schüler zu sorgen. Nicht nur mit möglichst gesundem Schulessen, sondern auch, indem wir sie zur Bewegung motivieren“, erklärt Nicole Eidens, Klassenlehrerin einer zehnten Klasse an der MEG. „Man braucht einen Ausgleich für geistige Anstrengungen.“
Das ist trotz der Digitaltafeln nicht ganz einfach, wenn es beispielsweise um kurze Pausen in den verlängerten Schulstunden geht. Denn in den Klassenräumen ist kaum Platz für sportliche Betätigung und das Gebäude zu verlassen, würde sich angesichts der Kürze der Zeit kaum lohnen. Aber da gibt es natürlich Unterschiede, so sind Klassen, die in den Containerbauten der MEG unterrichtet werden, „Villa Hügel“ genannt, schnell im Grünen. Und in den großen Pausen, die nun zwischen der ersten und der zweiten, beziehungsweise der zweiten und der dritten Stunde liegen, können sich die Schüler künftig Sportgeräte ausleihen, Bälle etwa.
Modelle oder Vorbilder für solche Bewegungsangebote gibt es kaum, weil die meisten Schulen beim traditionellen 45-Minuten-Modell bleiben. Deshalb wird am MEG nun eifrig gesammelt, was alles möglich ist. Vokabellernen zu zweit und im Gehen wäre so eine Idee: Die Schüler sollen in „Lernatelier“ genannten Einheiten ohnehin täglich das selbstgesteuerte Arbeiten einüben, das könnte man bei gutem Wetter nach draußen verlegen.
Wissenschaftliche Begleitung für Kölner Schule
Wissenschaftliche Unterstützung kommt vom Verein für Gesundheitssport und Sporttherapie Köln (VGS), in dem sich Sportwissenschaftler und Ärzte der Kölner Sporthochschule mit dem Problem des Mangels an Bewegung bei Kindern und Jugendlichen befassen. „Einmal in der Woche besucht ein VGS-Mitglied meine Klasse, um sich unsere Praxis anzusehen“, sagt Marcus Peters, Klassenlehrer einer sechsten Klasse, die nun als „Testklasse“ gilt. Zusammen mit Nicole Eidens kümmert sich Peters in besonderer Weise um das Thema Bewegungsangebote. So beantragen sie Fördergelder für das Projekt, etwa bei der AOK oder beim Landesprogramm Bildung und Gesundheit NRW (BUG), um die Leistungen des VGS zu finanzieren.
Im Januar soll der bisherige Verlauf des Projekts Taktänderung evaluiert werden, Ralf Emmermann rechnet damit, dass der gesamte Prozess in drei bis vier Jahren abgeschlossen ist. Denn an der MEG steht nun auch noch eine Schulerweiterung an, deren Folgen müssen ebenfalls berücksichtigt werden. „Wir haben aber derzeit so ein Gefühl des Aufbruchs an der Schule, dass wir alle zusammen etwas aufbauen“, sagt Emmermann. „Das ist sehr positiv.“

