EingemeindungDer lange Weg bis zur Stadt Köln

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Harte Arbeit für viele Männer: Das Weyertor wurde 1889 abgebrochen.

Harte Arbeit für viele Männer: Das Weyertor wurde 1889 abgebrochen.

Köln – Es war eine der letzten Amtshandlungen des alten Kaisers: Am 20. Februar 1888 erteilte Wilhelm I. – in seiner Eigenschaft als Landesherr, als preußischer König – per Kabinettsorder seine Zustimmung zum Eingemeindungsvertrag zwischen der Stadt Köln und der sie umgebenden Städte und Gemeinden: „Auf Ihre Schrift vom 12. Februar des Jahres will ich genehmigen, dass die Stadtgemeinden Deutz und Ehrenfeld und die Landgemeinden Longerich, Müngersdorf, Nippes, Poll und Kriel sowie Teile der Landgemeinden Efferen und Rondorf mit dem Bezirk der Stadtgemeinde Köln vereinigt werden.“

Was da in schlichtem preußischen Amtsdeutsch formuliert wurde, war ein Meilenstein in der Geschichte Kölns – als der Vertrag am 1. April 1888 in Kraft trat, war Köln mit 260 000 Einwohnern mit einem Schlag Großstadt geworden, das Stadtgebiet wurde um das Zehnfache erweitert, mit der Eingemeindung von Deutz und Poll fasste Köln erstmals auf dem rechten Rheinufer Fuß. Doch auch für die rund 100 000 Menschen, die bis dato ihren Wohnsitz im Umland hatten, war dies ein ganz besonderer Tag: Sie durften sich von diesem Tag an ganz offiziell als „Kölner“ bezeichnen – und fühlen. Es war die zweite Stadterweiterung innerhalb von nicht einmal zehn Jahren.

1881 hatte man begonnen, den Ring der mittelalterlichen Mauer aufzubrechen, der die Stadt seit 700 Jahren umgab. „Was unsere Altvorderen bauen mussten, damit Köln groß würde, müssen wir sprengen, damit Köln nicht klein werde!“ Nach diesen Worten des Oberbürgermeisters Hermann Becker wurde am 11. Juni 1881 das erste Stück der Stadtmauer abgebrochen – die Stadterweiterung, so wissen wir heute, wäre auch ohne den Abbruch der Befestigungen möglich gewesen, es gab Alternativpläne zu ihrem Erhalt – doch der damaligen Stadtspitze ging es in erster Linie um die Amortisierung der Summe, die die Stadt für den Erwerb des Befestigungsareals an den preußische Militärfiskus hatte bezahlen müssen – „das war ein Musterbeispiel von Bodenspekulation durch die öffentliche Hand“, so die frühere Stadtkonservatorin Hiltrud Kier. Die Stadt Köln nahm durch den Verkauf der Grundstücke am Ring – hier stand die alte Mauer – und in der späteren Neustadt Unsummen ein.

Sanitäre Verhältnisse in Ehrenfeld unerträglich

Erst nach dieser „kleinen“ Stadterweiterung war eine vernünftige Stadtplanung möglich geworden – die aber auch dringend erforderlich war. In der Mitte des 19. Jahrhunderts war Köln zum Knotenpunkt des westdeutschen Eisenbahnnetzes ausgebaut worden, seither hatten sich zahlreiche Industriebetriebe und Fabriken in der Stadt angesiedelt. Der damit ausgelöste Zustrom von Arbeitsplätzen ließ die Bevölkerung von 45 000 (1815) auf 127 000 im Jahre 1870 ansteigen – in der Stadt hatte ein ungezügelter Bauboom eingesetzt, der so ziemlich alle verfügbaren Freiflächen in Besitz nahm, die alten Gartenanlagen zwischen Stadtkern und Stadtmauer mussten neuen, regellos angelegten Straßen und Gebäuden weichen. Was an Grünanlagen im Altstadtbereich verloren gegangen war, wurde immerhin durch den Stadtgarten und den Volksgarten kompensiert.

Baugrund war aber in der Stadt so teuer geworden, dass viele Arbeiterfamilien denselben Weg nahmen, den Unternehmer schon aus Platznot gegangen waren: Sie siedelten sich vor den Toren der Stadt an, in Ehrenfeld, Nippes, Bayenthal oder Kalk. Prompt stiegen die Einwohnerzahlen dieser Gemeinden an, was vor allem in Ehrenfeld und Nippes für gewaltige Strukturprobleme sorgte. In Ehrenfeld beispielsweise, wo es keine Kanalisation gab, wurden die sanitären Verhältnisse unerträglich.

Der „schwarze Becker“

In Köln und im Umland war man sich daher grundsätzlich einig, dass angesichts der vielfachen Verflechtungen nur eine gemeinsame Planung hinsichtlich Verkehrsführung, Bebauung, Kanalisation sowie Gas- und Wasserversorgung die Probleme in den Griff bekommen könne. Köln hatte zahlreiche wichtige Einrichtungen längst im Umland errichten müssen, auf Müngersdorfer Territorium befand sich der städtische Friedhof Melaten, in Lindenthal war die Heilanstalt entstanden, in Ehrenfeld ein Gaswerk, in Riehl der Zoo und die Flora. „Köln war für sein weiteres Gedeihen auf die Vororte angewiesen, die Vororte mussten ohne Köln verkümmern“, so fasst schon 1915 der damalige Direktor des Statistischen Amtes, Georg Neuhaus, die allgemeine Stimmung zusammen.

Der Mann, der vom ersten Tag seiner Amtsführung an die „Inkommunalisierung“ vorantrieb, war Wilhelm Becker, seit 1886 Oberbürgermeister von Köln, der zur Unterscheidung von seinem Vorgänger, Wilhelm Becker, dem „roten Becker“ (einem früheren Kommunisten), der „lange“ oder „schwarze Becker“ genannt wurde. Becker zerstreute die Bedenken der preußischen Behörden, brachte die Eingemeindungsverträge unter Dach und Fach – und überwand auch den Widerstand in den eigenen Reihen. Es gab nämlich nicht wenige Kölner Kommunalpolitiker, die vehement gegen die Kosten der Eingemeindung polemisierten. Auch die vorgesehene Eingemeindung von Deutz und Poll wurde kritisiert, der Rhein, so hieß es, müsse die natürliche Grenze Kölns bleiben.

Eingemeindet wurden linksrheinisch die Stadt Ehrenfeld mit dem heutigen Neuehrenfeld, ferner Teile der Gemeinde Efferen (des heutigen Klettenberg), die Gemeinde Kriel (mit Braunsfeld, Kriel, Lind linksrheinisch, Lindenthal und Sülz), die Gemeinde Longerich (mit Butzweiler, Heimersdorf, Lindweiler, Longerich westlich der Neusser Landstraße, Niehl, Stallagsberg, Volkhoven, Weidenpesch = Merheim linksrheinisch), die Gemeinde Müngersdorf (mit Bickendorf, Bocklemünd, Melaten, Mengenich, Müngersdorf, Ossendorf, Vogelsang), die Gemeinde Nippes (mit Mauenheim, Nippes, Riehl) sowie Teile der Gemeinde Rondorf (Arnoldshöhe, Bayenthal, Klettenberg, Mansfeld, Marienburg, Raderberg, Raderthal, Weißhaus, Zollstock).

Rechtsrheinisch wurden eingemeindet die Stadt Deutz, aus der Stadt Kalk ein Teil des Bahngeländes Deutzer Feld, aus der Stadt Mülheim der südliche Teil des Mülheimer Hafens und das Gebiet südlich der Ferdinandstraße, sowie die Gemeinde Poll (mit Humboldt-Gremberg westlich der Straßenzüge Rolshover Straße, Gremberger Straße, Roddergasse und Poll).

Wichtige Bedingungen für die Eingemeindung waren die Fragen der Versorgung kommunaler Beamter und des politischen Mitspracherechts. Die Bürgermeister von Deutz, Ehrenfeld und Nippes wurden in der Kölner Verwaltung als Beigeordnete, die übrigen Beamten und Lehrer in ihren bisherigen Stellungen übernommen. Die Bürgermeister von Longerich und Müngersdorf wurden finanziell abgefunden. Standesamt und Steuererhebestelle verblieben in den ehemaligen Rathäusern von Deutz, Ehrenfeld und Nippes.

Die Gemeindesteuern wurden in bisheriger Höhe festgeschrieben. Zusagen für bauliche Maßnahmen erhielten Deutz (Werft und Dampfhebewerk), Nippes und Ehrenfeld (Kanalisation und Wasserleitung), Lindenthal (Wasserleitung), Sülz (Gasanschluss), Müngersdorf (Wegebau).

Um neun Mandate wurde die Stadtverordnetenversammlung aufgestockt – je zwei für Deutz, Nippes und Ehrenfeld, je eines für Müngersdorf, Kriel-Efferen und Rondorf. Longerich und Poll blieben ohne Vertretung. (Rös)

Spätere Eingemeindungen ließen die Stadt Köln weiter anwachsen. Bis zum Jahr 1910 war die Stadt Kalk selbstständig, ehe sie zusammen mit Vingst in jenem Jahr Teil von Köln wurde. Im rechtsrheinischen Stadtgebiet dehnte sich Köln vier Jahre später weiter aus, indem die Stadt Mülheim sowie die Gemeinde Merheim mit Rath, Dellbrück, Holweide, Flittard und Dünnwald der Großstadt zugeschlagen wurden. Die Einwohnerzahl stieg damit schon auf mehr als 600 000 Kölsche. Im Jahr 1922 kam die Bürgermeisterei Worringen mit ihren Ortsteilen Fühlingen, Weiler, Roggendorf-Thenhoven, Feldkassel, Rheinkassel, Langel und Kasselberg sowie Merkenich zur Stadt Köln.

Die letzte Eingemeindungswelle war die im Zuge der kommunalen Neugliederung im Jahr 1975. Köln wurde kreisfrei und bekam mit den Städten Porz und Wesseling sowie den Gemeinden Lövenich, Rodenkirchen und Teilen von Sinnersdorf, Frechen und Brauweiler neue Stadtteile dazu. 1976 schied Wesseling aus der Rheinmetropole wieder aus. (Rös)

In den entscheidenden Sitzungen der Kölner Stadtverordnetenversammlung im Oktober 1887 ergriff Becker mehrfach das Wort, er räumte die Bedenken der Eingemeindungsgegner aus dem Weg. „Wie soll es denn nach weiteren 20 Jahren um Köln aussehen? Dann hat sich um die Stadt ein Panzer von unerfreulichen Häusern, engen Straßen, ohne Luft, Licht und Grün gelegt, den man nur mit kolossalen Mitteln brechen kann. Ich halte es für uneinsichtigen Egoismus, wenn man versäumt, die Zukunft der Stadt sicherzustellen, bloß weil man ein paar Groschen jetzt nicht opfern will.“

Mit der Rede setzte sich der Oberbürgermeister durch, die Mehrheit im Rat stimmte der Stadterweiterung zu: Die Eingemeindungsverträge konnten am 1. April 1888 in Kraft treten.

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