Erkenntnisse für Krebstherapie erhofftPorzer Zwillinge zurück aus dem All

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Die beiden Forschungspuppen Helga (l) und Zohar stehen während einer Präsentation in einemRaum.



Diese Puppen sind um den Mond geflogen, um die Strahlung dort zu messen.

Die beiden Forschungspuppen Helga (l) und Zohar sind von einer sehr weiten Reise zurückgekehrt.

Zohar und Helga haben zwei Millionen Kilometer auf dem Buckel. Sie reisten bis zur Rückseite des Mondes. Zurück auf der Erde könnten sie auch mithelfen, Krebs zu therapieren.

Es liegt eine aufregende Reise hinter Helga und Zohar. 25 Tage saßen die Porzer Zwillinge eng beieinander im Raumschiff Orion, fest geschnallt in zwei Sitzen. Mehr als zwei Millionen Kilometer legten die beiden gemeinsam zurück. Sie reisten bis zur Rückseite des Mondes, umkreisten ihn und nahmen im Orbit des Trabanten Anlauf, um noch weiter in den Weltraum vorzudringen. Dabei wurden sie Zeuginnen eines historischen Moments. Noch nie war ein für Menschen gebautes Raumschiff weiter von der Erde entfernt als Orion – knapp eine halbe Million Kilometer. Am 11. Dezember endete der Trip zum Mond mit einer Landung im Pazifik.

Am Mittwoch feierte das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) offiziell die Rückkehr von Helga und Zohar nach Köln-Porz. Die Forschergruppe hat die bein- und armlosen Puppen zur Ansicht auf zwei Tische gestellt. „Es ist immer schön, wenn man wissenschaftliche Dinge in den Weltraum schickt und sie auch wohlbehalten   zurückkehren“, sagte Thomas Berger vom Labor für Strahlenbiologie. Nun gehe es darum, die Daten auszuwerten.

Auch der Amerikaner Commander Moonikin Campos war dabei

Helga und Zohar gehörten neben Commander Moonikin Campos, einem Crash-Test-Dummy der amerikanischen Raumfahrtagentur, zur Crew der NASA-Testmission Artemis I, die künftige bemannte Flüge zum Mond vorbereiten sollte. Berger und sein Team hatten die beiden Puppen zu einem wichtigen Zweck entwickelt. Sie wollen herausfinden, welche Auswirkungen dauerhafte Strahlung im Hinblick auf die geplanten Mondmissionen speziell auf den weiblichen Körper hat und wie man Astronautinnen und Astronauten am besten davor schützt.

Die Kölner Forscher können bereits Expertise auf dem Gebiet vorweisen. Bereits 2004 schickten sie eine Puppe ins All, um die Strahlenbelastung für Raumfahrer in lebensfeindlicher Umgebung genauer zu ergründen. Anderthalb Jahre verbrachte die Kölner Konstruktion in einem Raumanzug außen angeschraubt an die ISS.

Lebensbedrohliche Gefahren durch Protonen lauern

Doch Strahlungsmessungen auf erdnahen Raumstationen lassen keinen Vergleich zu Mondmissionen zu, da sie wie etwa auch die ISS noch im Schutz des Erdmagnetfelds um den Planeten kreisen. Im freien Orbit aber ist die kosmische Hintergrundstrahlung vier Mal höher als auf der ISS und 700 mal größer als auf der Erde. Zudem lauern lebensbedrohliche Gefahren durch hochenergetische Protonen, die bei Sonneneruptionen durchs All schleudern. Es drohen schwerwiegende Folgen, unter anderem ein erhöhtes Krebsrisiko und die mitunter tödlich verlaufende Strahlenkrankheit.

Die Puppen-Mission hatte für das DLR bereits 2016 begonnen. Damals schrieb die US-Raumfahrtbehörde Nasa den Kolleginnen und Kollegen in Köln eine Mail mit der Frage, ob sie denn Experimente hätten, die mitfliegen könnten. Die Plätze in der winzigen Orion-Kapsel waren rar und weltweit begehrt. Zwei freie Sitze hatte die Nasa noch anzubieten, wegen des hohen Eigenbedarfs auch nur ohne Stromversorgung und Datenslot. Also machten sich Thomas Berger und seine Leute vom Labor für Strahlenbiologie an die Arbeit. Was sich Berger und sein Team ausdachten, ist nach Angaben des DLR das größte Experiment zur Bestimmung der Strahlenbelastung für Astronauten, das jemals den erdnahen Orbit verlassen hat.

Die von der Nasa zur VErfügung gestellte Aufnahme zeigt die Puppen Zohar und Helga an Bord der «Orion»-Kapsel.

Zohar und Helga hatten auf ihrer Mission in der Kapsel nicht viel Platz.

Sie suchten sich Partner und fanden in Israel die Firma StemRad, die eine neuartige Strahlenschutzweste für den Weltraum entwickelt hatte. Um den Vergleich zu haben, fertigte Bauers Team aus jeweils 38 Kunststoff-Scheiben zwei baugleiche Phantome und taufte sie Helga und Zohar. Sie sind 95 Zentimeter groß, in ihrem Inneren finden sich Organe und Knochen aus Kunststoff, die in ihrer Dichte dem menschlichen Körper nachempfunden sind, inklusive weiblicher Fortpflanzungsorgane und Brüsten.

In die künstlichen Körper brachten die Forscherinnen und Forscher etwa 12.000 Sensoren ein, vor allem an den strahlenempfindlichsten Organen Lunge, Magen, Gebärmutter und Knochenmark. Die feuerfesten Anzüge für die Reise ließ das DLR in einer Schneiderei in Porz nähen. Die Zwillinge unterschieden sich in einer Sache allerdings bedeutend: Zohar reiste mit Strahlenschutzweste, Helga ohne.

Das Datenmaterial sei sehr gut, sagte Berger. Es werde aber noch bis zum Frühsommer dauern, bis die Ergebnisse vorlägen. Das DLR will die Erkenntnisse auch für die irdische Medizin nutzen, beispielsweise für Krebstherapien oder für Ärzte, die parallel zu Röntgenmessungen operieren müssen. Anke Pagels-Kerp, Bereichsvorständin Raumfahrt beim DLR, geht von einem hohen Transferpotenzial aus. „Auch am Boden wollen wir Forschung mitgestalten und voranbringen.“

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