Forschung an Covid-19Von Köln aus entsteht ein europäisches Impfstoff-Netzwerk

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Drei Corona-Impfstoffe sind bereits zugelassen. Geht es bei der nächsten Pandemie mit dem europäischen Impf-Netzwerk noch schneller?

Köln – „Einzigartig“, „unglaublich“, „ein Wunder“. Wenn es um die Entwicklung der Impfstoffe gegen das Coronavirus geht, überschlagen sich manche Experten mit Superlativen. Nach rund einem Jahr sind bereits drei Mittel EU-weit zugelassen und im Einsatz, die zuverlässig verhindern, schwer an Covid-19 zu erkranken. Auch Prof. Oliver Cornely, Infektiologe an der Kölner Uniklinik, ist begeistert. Doch er sagt: „Es hätte noch schneller laufen können.“ Und hieran arbeitet Cornely, der nun ein EU-weites Team von 150 Forschern leitet. Ihr Ziel: Die Impfstoff-Entwicklung in Europa verbessern. „Vaccelerate“ nennt sich das Projekt, das Pandemien in Zukunft steuerbar machen soll und von der EU für drei Jahre mit insgesamt zwölf Millionen Euro gefördert wird. „Das ist ein schönes Akronym, oder?“, sagt Cornely und lacht. Der Projekttitel setzt sich zusammen aus „Vaccine“ und „accelerate“, auf Deutsch: Vakzin und beschleunigen.

Corona-Impfungen: Fehlende Informationen sollen eingeholt werden

Und darum geht es: Impfstoffe sollen in Zukunft noch schneller entwickelt werden. Doch dafür will Cornely zunächst über die Corona-Impfstoffe all das herausfinden, was man bisher noch nicht weiß. Als Beispiel nennt der Mediziner die Impfung von Schwerkranken. Diese Gruppe habe man in den bisherigen Studien bislang nicht geimpft. Das sei zu Beginn auch richtig so. „Aber jetzt ist es wichtig, herauszufinden, wie die zugelassenen Mittel bei Untergruppen funktionieren“, so Cornely. Eine mögliche Fragestellung: Wie springt das Immunsystem eines Patienten mit Darmkrebs auf die Impfung an? Um das herauszufinden, sollen mithilfe von „relativ kleinen Studien mit dreistelligen Probandenzahlen präzise Daten erhoben werden“, sagt Cornely.

Wichtig seien die verschiedenen Untersuchungen aktuell vor allem, um vorausschauend handeln zu können. „Wir frieren in den Studien auch Blut ein, um später entschlüsseln zu können, wie gut ein Impfstoff gegen kommende Mutationen funktionieren wird“, so Cornely. Außerdem befassten sich die Forscher zurzeit mit der Frage, welche Auswirkungen Zweit- und Drittimpfungen auf die Immunität haben. „Hält diese länger, wenn ich beispielsweise nach einer Impfung mit Astrazeneca bei der zweiten oder eventuell dritten Impfung auf Biontech umsteige? Oder ist es umgekehrt?“, so Cornely. Die Antwort soll sein neues Team finden, in Großbritannien wurden entsprechende Studien bereits aufgenommen. Es geht auch hier um Geschwindigkeit, denn „entscheidend werden diese Fragen, wenn ab Sommer deutlich mehr Impfstoff verfügbar ist“, so der Mediziner.

Corona-Impfstoffe: Wäre von Europa aus mehr möglich gewesen?

Geforscht wird insgesamt an 214 verschiedenen Studienzentren in 30 europäischen Ländern – sie alle sind an das neue Impfstoff-Forschungsnetzwerk angedockt. Der große Vorteil: „Wir wissen von jedem Zentrum, was dort passiert, welche Studien laufen, welche geplant sind und wo die spezifische Expertise liegt. Für neue Studien wissen wir daher sofort, wen wir fragen müssen“, sagt Cornely. Vor der Corona-Pandemie habe es eine vergleichbare Struktur nicht gegeben. Die Entwicklung der Vakzine sei zwar erstaunlich schnell gelaufen, „mit der entsprechenden Infrastruktur hätte sie allerdings noch schneller laufen können. Davon bin ich überzeugt“, so Cornely.

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Zwar haben die Firmen Biontech und Curevac in Deutschland an ihren Vakzinen geforscht. Doch seiner Meinung nach wäre noch mehr möglich gewesen. „Es wäre natürlich besser gewesen, dieses Netzwerk schon vor fünf Jahren gegründet zu haben“, sagt der Mediziner: „Immer, wenn man eine gute Idee hat, fragt man sich: Wieso habe ich nicht schon früher daran gedacht?“ Die Pandemie, so schrecklich sie sei, inspiriere nun die wissenschaftliche Forschung auf der ganzen Welt.

Die nächste Pandemie schon im Blick

Cornely ist sich sicher, dass uns auch die nächste Pandemie „durch eine Atemwegsinfektion ereilen wird“. Alles andere scheine durch unsere Hygienestandards ausgeschlossen. Hierauf liege „also auch unser Fokus, wenn es um langfristige Forschungsprojekte geht“, so Cornely. Bereits vor Monaten warnte der Forscher vor weiteren Pandemien, da Zoonosen durch das zunehmend enge Miteinander von Mensch und Tier wahrscheinlicher würden. Nun will er helfen, die europäische Forschung darauf vorzubereiten. Das sei möglich: „Mit Protokollen, mit denen wir ein Virus an vielen Orten sofort untersuchen und auf mögliche Schwachstellen prüfen.“ An diesen Schwachstellen könne man mit Impfstoffen ansetzen: „Das Ziel wird es immer sein, neutralisierende Antikörper herzustellen.“

Das neue Netzwerk sei allerdings nichts, was man zwischen zwei Pandemien „ins Regal stellen wird“, um es herauszuholen, wenn es akut gebraucht wird“, betont Cornely. Es funktioniere nur, wenn es ständig warm gehalten werde: „Sonst ist es nicht ad-hoc einsetzbar.“ Sein großes Anliegen ist es, sicherzustellen, dass die EU präventiv forscht, mehr agiert und weniger reagiert. Ein bisschen wie im Sport: „Beim Eishockey sehen die Spieler besonders schnell aus, die wissen, wo der Puck als nächstes sein wird. Dabei sind sie oft nicht schneller als andere, sie agieren bloß vorausschauend.“ Darum geht es auch hier. „Ist man gezwungen, auf neue Situationen zu reagieren, ist man im Tempo immer begrenzt“, sagt Cornely. Nun aber wird er zunächst reagieren müssen: Auf die Wissenslücken, die die Impfstoff-Forschung in dieser Pandemie noch offen lässt. 

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