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Häusliche GewaltWo Betroffene in Köln Schutz finden

8 min
Der Protestmarsch mit mehreren Hundert Menschen macht sich auf den Weg zum Breslauerplatz.

Am „Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen“ kämpfen Demonstrierende für die Sicherheit von Betroffenen von häuslicher Gewalt.

Häusliche Gewalt ist kein Einzelfall und kann jeden betreffen. Wie sich eine Kölnerin durch die Schutzstrukturen der Stadt kämpft und wer zu helfen versucht.

Marla K. steht vor dem wuchtigen Betonkoloss, der das Amtsgericht Köln beherbergt. Sie blickt entlang der Fassade Richtung Himmel, in welchen sich das Gebäude streckt. Ihre linke Hand ist so fest geballt, dass die Knöchel weiß werden. In der rechten Hand hält sie fest umklammert ihr Handy. Zögerlich geht sie einen Schritt auf die Drehtür des Gebäudes zu. Für Marla K., die eigentlich anders heißt, geht es heute um nichts weniger als die Frage: Wer hilft mir, endlich sicher zu sein? In einer vergangenen Beziehung wurde ihr durch ihren Partner Gewalt angetan. Sie musste ihn, die gemeinsame Wohnung und das gemeinsame Leben verlassen. Jetzt kämpft sie darum, in Kölns Hilfesystemen wieder Sicherheit zu finden. An einem Donnerstagvormittag im September ist sie am Amtsgericht, um einen Beratungshilfeschein zu beantragen.

Beratungshilfe können Personen beantragen, um eine kostenlose rechtliche Beratung und Vertretung zu erhalten, wenn sie sich diese sonst nicht leisten können. Das Ganze soll eigentlich unkompliziert über einen Termin funktionieren, die Realität sieht anders aus. Für Marla K. ist es bereits der zweite Versuch, über den ersten kann sie nur stockend sprechen. Vor einer Sachbearbeiterin hätte sie ohne Schutz ihrer Privatsphäre ihre Gewalterfahrung schildern müssen. „Das war wie sich ausziehen vor einer Fremden“, erzählt sie.

Schlussendlich wurde ihr Antrag abgelehnt und ihr empfohlen, sich doch zunächst an eine der Frauenberatungsstellen in Köln zu wenden. Deswegen ist Christiane Stermann an diesem Tag mit dabei. Sie arbeitet beim linksrheinischen Gewaltschutzzentrum, dem Sozialdienst katholischer Frauen e. V. (SkF). „Theoretisch ist die Beantragung des Beratungshilfescheins eine schlichte Angelegenheit, doch praktisch ist das oft anders. Das erleben wir häufiger beim Thema Gewaltschutz und natürlich macht das betroffenen Personen auch Angst“, sagt sie.

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Häusliche Gewalt kann jeden betreffen

Vor gut einem Monat veröffentlichte das Landeskriminalamt NRW den Ergebnisbericht „Tötungsdelikte zum Nachteil von Frauen in Nordrhein-Westfalen“. Dieser zeigt deutlich, dass häusliche Gewalt kein Randthema ist, sondern realer Alltag und mögliche Vorstufe von noch ernsteren Gewaltverbrechen. Allein im Stadtgebiet Köln und Leverkusen stellte die Polizei Köln im Jahr 2022 etwa 2500 Fälle häuslicher Gewalt fest, wie sie dieser Zeitung mitteilte. Dies sind umgerechnet etwa sieben Fälle pro Tag. Die Dunkelziffer ist vermutlich noch weitaus höher, denn nicht jede Straftat wird zur Anzeige gebracht. Außerdem kann unter Gewalt auch psychische Gewalt fallen, etwa in Form von Erniedrigungen oder Isolation.

Häusliche Gewalt kann jedes Geschlecht betreffen und von jedem Geschlecht ausgehen. Unverhältnismäßig oft sind allerdings Frauen Opfer von männlichen Tätern. Das rechtsrheinische Gewaltschutzzentrum „Der Wendepunkt“ beriet 2024 beispielsweise 615 Personen, die von Gewalt betroffen waren, wovon 591 weiblich und 22 männlich waren. Deutschlandweit erlebt Schätzungen zufolge etwa alle drei Minuten eine Frau oder ein Mädchen häusliche Gewalt. Auch die Zahl der Femizide, also die Tötung einer Frau aufgrund ihres Geschlechts, ist in NRW 2024 im Vergleich zu 2022 um 30 Prozent gestiegen, wie diese Zeitung berichtete. Für Köln gibt es dazu noch keine konkreten Zahlen. Die Kölner Polizei zählte 2024 30 Opfer von Tötungsdelikten, wobei sechs davon Frauen waren. Zum Motiv können keine Angaben gemacht werden.

Hinter jeder dieser Zahlen steht ein Mensch, ein Mensch wie Marla K. Sie hat es geschafft, sich von einem gewalttätigen Partner zu trennen. Christiane Stermann weiß aus ihrer Arbeit, dass das viel Kraft und oft auch Zeit braucht: „Eine Trennung ist ein riesiger Schritt, dem viele weitere Schritte folgen. Das kostet Überwindung und braucht manchmal mehrere Anläufe.“ Marla K. ist inmitten dieser Schritte.

Linksrheinische Kinderinterventionsstelle musste schließen

Um Menschen wie Marla K. zu unterstützen, gibt es in Köln neben den Opferschutzbeauftragten der Polizei Köln zwei zentrale Anlaufstellen: das linksrheinische Gewaltschutzzentrum des SkF und das rechtsrheinische Pendant „Der Wendepunkt“, einer Beratungsstelle der Diakonie Michaelshoven. Maren Benner und Martina Kiarie arbeiten hier als Beraterinnen. In ihrer täglichen Arbeit haben sie mit den unterschiedlichsten Menschen zu tun: „Häusliche Gewalt kann jeden betreffen, unabhängig von sozialer Schicht, Alter oder Herkunft“, sagt Benner. Einen entscheidenden Eskalationspunkt sehen sie im Umgangsrecht.

Wenn Kinder involviert sind, müssen beide Erziehungsberechtigte ihr Kind regelmäßig sehen dürfen, sofern dies gerichtlich nicht anders geregelt ist. Erfahrungsgemäß komme es häufig im Rahmen dieser Umgänge zu Übergriffen, so Kiarie. Dies könne dann auch für die beteiligten Kinder gefährlich werden. Auch Stermann vom SkF sieht in der Priorisierung des Umgangs- und Sorgerechts eine große Gefahr: „Nach einer Trennung von einem Täter sind die Frauen in einer vulnerablen Position und werden aber gleichzeitig fast gezwungen auch kurz nach dem Tatgeschehen Umgang zu ermöglichen. Das ist zu gefährlich.“ Der Ergebnisbericht des LKA identifizierte die Zeit kurz nach der Trennung ebenfalls als besonders gefahrsensible Phase.

Ein weiterer Punkt, bei dem sich die Gewaltschutzzentren einig sind, ist die Bedeutung von Gewalterfahrungen in der Kindheit: „Wir haben kaum Klienten oder Klientinnen, die in ihrer Kindheit keine häusliche Gewalt, erfahren mussten. Kinder können diese Gewalt später dann reproduzieren, entweder als Täter und Täterinnen oder bei der Wahl ihrer Partner und Partnerinnen“, so Benner. Um diesen Kreislauf zu durchbrechen, bietet Der Wendepunkt deswegen eine Kinder- und Jugendberatung an, die gut angenommen werde.

Auch der SkF hatte lange eine Kinderinterventionsstelle, musste diese aber aufgrund finanzieller Engpässe schließen: „Viele Frauen haben sich zunächst mit der Sorge um ihre Kinder an uns gewandt, die die Gewalt miterleben mussten. Dass wir dieses Angebot linksrheinisch nicht mehr halten können, erschwert uns unsere Arbeit“, sagt Stermann.

Christiane Stermann ist Mitarbeiterin beim linksrheinischen Gewaltschutzzentrum Sozialdienst katholischer Frauen e. V. und begleitet Betroffene von häuslicher Gewalt.

Christiane Stermann ist Mitarbeiterin beim linksrheinischen Gewaltschutzzentrum Sozialdienst katholischer Frauen e. V. und begleitet Betroffene von häuslicher Gewalt.

Täterarbeit als Opferschutz

Auch in der Arbeit von Marc Thomas spielen Kindheitserfahrungen eine große Rolle. Er ist Projektleiter des Gewaltpräventionsprogramm „Entscheidung Gewaltfrei“ der AWO Köln. Dabei arbeitet Thomas mit Männern, die bereits Täter waren und es entweder freiwillig nicht mehr sein wollen oder gerichtlich zur Teilnahme am Programm verpflichtet wurden. Jeder seiner Klienten habe in der Kindheit Berührungspunkte mit häuslicher Gewalt gehabt, so Thomas. Deswegen ist ihm wichtig zu betonen, dass Täterarbeit keine Psychotherapie sei: „Gewalt ist keine Krankheit, sondern eben ein erlerntes Verhalten.“ In dem etwa einjährigen Programm aus Einzel- und Gruppensitzungen sollen die Männer lernen, den Kreislauf der Gewalt zu durchbrechen.

Marc Thomas sitzt im Beratungsraum.

Marc Thomas ist Projektleiter von „Entscheidung Gewaltfrei“ und arbeitet mit Tätern häuslicher Gewalt.

Für Thomas gehört die Täterprävention essenziell zu einer funktionierenden Kette an Schutzstrukturen häuslicher Gewalt: „Täterarbeit ist Opferschutz. Die Verantwortung muss bei den Personen bleiben, die die Gewalt ausüben.“ Er ist sich sicher, dass Täterprogramme nur wirksam sein können, wenn sie Teil eines gut koordinierten Gesamtsystems sind, in dem Gewaltschutzzentren, Polizeistellen und andere Gewaltschutzinstitutionen zusammenarbeiten.

Geplant ist, dass Fallkonferenzen diese interdisziplinäre Zusammenarbeit künftig noch mehr stärken. In solchen behördenübergreifenden Zusammenkünften setzen sich verschiedene am Gewaltschutz beteiligten Institutionen an einen Tisch. Ziel ist es, schwere Straftaten zu verhindern. Dabei geht es vor allem um den Austausch von Informationen, die Einschätzung des Gefahrenpotenzials, sowie die Koordination von anzuordnenden Maßnahmen bei konkreten Fällen.

Zu wenige Frauenhäuser, zu viele Schutzsuchende

Martina Kiarie blickt in die Kamera.

Martina Kiarie berät bei Der Wendepunkt und hilft bei der Navigation durch Kölns Schutzstrukturen.

Auch Benner und Kiarie fänden regelmäßig stattfindende Fallkonferenzen wünschenswert. Außerdem hätten sie gerne mehr Zeit für Präventionsprogramme, die über häusliche Gewalt und die Kölner Schutzstrukturen aufklären. „Momentan sehen wir uns eher als Brandlöscherinnen. Wir bräuchten mehr Ressourcen, um zum Beispiel schon in Schulen über Gewalt oder die Gefahren patriarchaler Geschlechterbilder aufklären zu können, so wie es der Ergebnisbericht des LKA empfiehlt“, sagt Benner. Die Förderung der Beratung sei jedoch seit Jahren unzureichend, es fehle an grundsätzlichen Beratungsressourcen, sowohl für das Thema Gewaltschutz als auch dem oft nachfolgenden Stalking durch Täter oder Täterinnen.

Maren Benner in ihrem Büro.

Als Gewaltschutzberaterin unterstützt Maren Benner Betroffene in akuten Krisensituationen und auch danach.

Was Köln ebenfalls fehlt, sind Frauenhausplätze. „Manchmal müssen wir schutzsuchende Frauen hundert Kilometer entfernt ins Frauenhaus vermitteln. Dann kommt zu der allgemeinen Trauma-, und damit Stresssituation noch eine Entwurzelung aus dem gewohnten Umfeld“, so Kiarie. Bereits 2019 hatte der Stadtrat den Bau eines dritten Frauenhauses beschlossen. Laut Angaben der Wohnungsbaugesellschaft GAG wurde mit dem Bau zwar noch nicht begonnen, bis 2028 soll das Gebäude aber bezugsfertig sein.

Um dem Missstand fehlender Frauenhausplätze etwas entgegenzuwirken, haben die Gewaltschutzzentren links- und rechtsrheinisch ein gemeinsames Clearing-Wohnprojekt ins Leben gerufen. Finanziert wird dies durch die Stadt Köln. Hier können Frauen und ihre Kinder, die nicht sofort in ein Frauenhaus vermittelt werden können, in fünf angemieteten Appartements für 14 Tage unterkommen, bis geklärt ist, wo sie weiterhin Schutz erhalten.

Marla K. ist schon einen Schritt weiter. Für sie geht es nun darum, auch gerichtlich zu klären, wie sie ihr weiteres Leben in Sicherheit gestalten kann. Langsam geht sie durch die Drehtür, schaut sich immer wieder nach Stermann um, die ihr rückversichernd zunickt. Der Raum, in dem nicht nur Beratungshilfescheine, sondern auch zum Beispiel Änderungen des Personenstands beantragt werden können, sieht aus wie ein Bürgerbüro. Mattgrauer Linoleumboden, große Fenster, zwei Beratungsschalter, voneinander abgetrennt nur durch eine Milchglasscheibe.

Sowohl die Gespräche der Personen im Wartebereich als auch die am Schalter sind für jeden hörbar. Die Sachbearbeiterin prüft Marla K.'s Kontoauszüge, stellt Fragen zum Anlass des Antrags, zur Familiensituation und möchte wissen, welche anderen Stellen sie schon involviert habe. Marla K. beantwortet ihre Fragen fast routiniert, Stermann schaltet sich nur kurz ein. Nach etwa zehn Minuten schiebt die Sachbearbeiterin ihn durch die Durchreiche: den Beratungshilfeschein. Noch beim Verlassen des Raumes bricht Marla K. in Tränen aus. Sie ist geschockt, dass es dieses Mal so schnell ging, vor allem aber, dass es sich letztes Mal wie Schikane angefühlt hat. Frau Stermann nimmt sie in den Arm, drückt sie einmal und sagt: „Das haben Sie allein geschafft!“

Gewalt ist nie in Ordnung. Wenn Sie oder jemand, den Sie kennen von Gewalt betroffen sind, wenden Sie sich an Hilfsangebote. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ ist unter der Nummer 116 016 rund um die Uhr erreichbar und bietet kostenlose und anonyme Beratung in 18 Fremdsprachen an. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Männer“ erreichen Sie unter der Nummer 0800 1239900 von Montag bis Freitag. Wählen Sie in akuten Gefahrsituationen den Notruf 110. Der Opferschutz der Polizei Köln berät und unterstützt Betroffene individuell und vermittelt auch an weitere Interventionsstellen. Mehr Informationen zu den beiden Gewaltschutzzentren finden Sie unter www.diakonie-michaelshoven.de und www.skf-koeln.de