Interview mit Priorin Kohlhaas„Wir leben die Kunst des Loslassens“

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Schwester Emmanuela

Priorin Emmanuela Kohlhaas

  • Priorin Emmanuela Kohlhaas von den Benediktinerinnen spricht im Interview über die Faszination der Städter am Klosterleben
  • Sie nimmt auch Stellung zur Bedeutung der Stille und ermutigt den Mut zu Neuem.

Köln – Ein Kloster mitten in der Stadt in Raderberg, ein Teil der Kölner Südstadt. Seit 1896 leben die Benediktinerinnen hier. Die Stadt ist um das mächtige Gebäude herum gewachsen und hat den Klostergarten mit seinen Laubengängen, mit den im Sommer hier grasenden Kühen zu einer Ruhe-Insel mitten in der Stadt gemacht inmitten von Lärm und Palaver.

Schwester Emmanuela, Sie leben hier einen uralten Lebensentwurf mitten in der Stadt. Wundert es Sie, dass Sie immer noch da sind?

Schwester Emmanuela: Ich stelle das dankbar fest. Kirche und Klöster sind auf dem Rückzug. Und wir sind sogar gegen den allgemeinen Trend in den letzten Jahren gewachsen. Wir sind im Moment 31 Schwestern und haben im vergangenen Jahr etliche neu aufgenommen. Die jüngste unserer Schwestern ist 20 Jahre alt. Die älteste ist 96 Jahre alt. Die ist übrigens eine der ersten beiden Frauen in Deutschland, die in den 50er Jahren das Kapitänspatent für die Rheinschifffahrt gemacht hat. Sie wurde 1923 auf einem Schiff bei Windstärke 11 zusammen mit ihrer Zwillingsschwester geboren.

Wie erklären Sie sich, dass Menschen dieses radikale Leben, das Sie führen, heutzutage noch attraktiv finden?

Es ist in der Tat bemerkenswert, dass eine 1500 Jahre alte Ordensregel, der Wechsel zwischen Gebet und Arbeit, nach so langer Zeit noch als Konzept für gemeinsames Leben von drei Generationen unter einem Dach funktioniert. Aber auf die Frage nach dem Warum finde ich keine befriedigende Antwort. Im Übrigen frage ich aber auch lieber nach dem Wozu als nach dem Warum. Wozu werden wir gebraucht in dieser Zeit?

Für die Menschen in der Stadt ist Ihr Kloster ein immer wichtiger werdender Anlaufpunkt. Was fasziniert die Kölner an Ihrem Kloster? Und was bedeutet es, Kloster in einer Großstadt im 21. Jahrhundert zu sein?

Wir sind hier als Kloster in der Stadt sehr nah am Lebensnerv der Menschen. Die wollen uns begegnen. Egal ob bei unserer Lebensmittelausgabe, auf dem Klosterweihnachtsmarkt oder in der Klosterkirche. Leute schellen, die das Gespräch suchen. Und wir hören zu. Sie erleben hier eine Atmosphäre der Freundlichkeit und der Offenheit. Entscheidend ist, die Dinge mit Liebe und Leidenschaft zu tun. Wenn wir das ausstrahlen, werden wir automatisch faszinieren. Im übrigen ist es, glaube ich, die Entschiedenheit und Radikalität, mit der wir hier leben. Menschen vermuten, dass die, die in ein Kloster gehen, mit einer anderen Intensität versuchen, ihren Glauben und das Evangelium zu leben. Schließlich geben wir sehr viel auf, um hier leben zu können. Das überzeugt und fasziniert viele. Die Erfahrung machen alle Klöster. Schwieriger ist es dagegen, Menschen zu finden, die selber alles auf eine Karte setzen, um so einen Lebensentwurf zu leben.

Weil das sehr viel Mut erfordert?

Ja, schon, es ist ein radikaler Schritt, der dem Leben eine andere Wende gibt. Es gibt Frauen, die hierher kommen, die schon viele Lebensentwürfe gelebt haben. Eine Mitschwester war über 60, als sie gekommen ist, sie hat Kinder, Enkel und Urenkel. Das war für die Familie erst mal sehr schwer. Viele sind gut ausgebildet und kommen aus einem erfüllten Berufsleben, etwa als promovierte Philosophin, Kunsthistorikerin oder Psychologin. Aber am Ende ist ja nicht die spannende Frage, warum diese Frauen gekommen sind. Spannender ist die Frage, warum sie geblieben sind.

Was ist für Sie Mut?

Mut hat mit Entschiedenheit zu tun und mit Vertrauen. Von der Vielzahl der Möglichkeiten entscheide ich mich für eine. Ich setze alles auf eine Karte und breche auf, ohne das neue Ufer zu sehen. Ob der Weg wirklich trägt, merke ich erst beim Gehen. Viele Menschen wünschen sich ein Leben lang, etwas zu verändern und tun es nicht. Es ist für mich eine der schrecklichsten Vorstellungen, alt zu werden und mir dann zu sagen zu müssen, ich habe nicht gelebt, was ich leben wollte. Das motiviert, mutig zu sein, weil Sitzengeblieben zu sein auf dem, was ich eigentlich nicht wollte, weil ich das andere nicht gewagt habe, viel schlimmer ist als Stolpern, Fehlversuche oder Scheitern.

Die Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr ist eine Zeit des Übergangs, die auch für Menschen, die nicht im Kloster leben, eine besondere Stimmung hat. Wie erleben Sie die hier?

Es ist eine Zeit des Dazwischen. Eine sehr stille Zeit. In der Silvesternacht singen wir in die Nacht hinein, wenn das Gekrache losgeht. Gerade in dieser Zeit sind bei uns immer alle Gästezimmer belegt. Menschen kommen zu uns, die bewusst das Alte loslassen wollen. Die eben nicht die Party suchen, sondern die Stille. Erst in der Stille kann ich spüren, wie es mir wirklich geht. Da geht es weniger darum, das Jahr zu bilanzieren und nachzuhalten, was ich gemacht habe oder nicht. Sondern es geht darum, die Spannung auszuhalten, die in dieser Atempause zwischen den Jahren liegt. Menschen erleben diese Zeit als einen Übergang und manch einem wächst hier in der Zeit dann die Kraft zu, Altes loszulassen.

Sie berufen sich in ihrem Kloster auf den Satz des Heiligen Paulus: Prüfet alles und behaltet das Gute. Warum ist es so wichtig, Altes loszulassen?

Damit ich nicht mein Leben als immer größeren Ballast spazieren trage. Wenn ich vorwärts gehe mit dem Blick nach hinten, ist das immer schlecht. Ich kann mich ja mal umschauen, aber dann muss ich wieder in die Richtung schauen, in die ich gehe, sonst falle ich über meine eigenen Füße. Es hat mit Lebensweisheit zu tun, dass das Leben einem dauernden sich Wandeln ausgesetzt ist und dass ich mich selber dabei wandele. Je bewusster und positiver ich das tue, desto zufriedener bin ich.

Damit hat aber gerade die Kirche so ihre Schwierigkeiten. Da dominieren doch oft eher Angst und Festhalten.

Manchmal sind wir wie ein Hund, der seinen Knochen festhält, indem wir etwas festhalten, was unendlich wichtig zu sein schien. Und auf einmal merke ich: Das hindert mich eher am Leben als dass es mir hilft. Die Kirche ist gerade in der Klärungsphase, Wesentliches vom Unwesentlichen zu unterscheiden. Dabei geht es nicht darum, alte Formen einfach wegzustreichen. Es geht darum, was ist gefüllt und gelebt und umgekehrt zu schauen, was hindert das Leben und wie kann manches losgelassen werden. Da wird sich in den nächsten Jahren vieles ändern, und das wird auch gut so sein.

Im Loslassen ist Ihr Kloster in diesem Jahr ein besonders gutes Vorbild...

Wir sind gezwungen, uns dem Wandel anzupassen, auch wenn das schwer ist. Wir haben uns im zu Ende gehenden Jahr entschlossen, wegen abnehmendem Umsatz nach über 100 Jahren den Betrieb unserer Paramentenstickerei aufzugeben. Im vergangenen Jahr haben wir aus demselben Grund unsere Hostienbäckerei geschlossen. Man könnte ja auch sagen, das ist unsere Tradition, daran müssen wir unbedingt festhalten. Aber da ist nüchterner Menschenverstand gefragt, der sagt, dass es sich wirtschaftlich nicht lohnt, auf sterbende Betriebe zu setzen. Also müssen wir neue Wege gehen und Neues ausprobieren, um uns zu finanzieren. Glauben Sie nicht, dass das leicht war, die Bäckerei aufzugeben! So eine über einhundertjährige Ära aufzugeben – das tut weh und ist mit einem Trauerprozess verbunden, und da kann auch nicht Jeder sofort mitgehen.

Als Benediktinerinnen leben Sie entsprechend der Ordensregel von Ihrer „Hände Arbeit“.

Wir haben hier viele Begabungen und es ist ein spannender Prozess herauszufinden, was jetzt dran ist. Ich selbst bin promovierte Musikwissenschaftlerin und habe vor einigen Jahren noch einen Master in dem Studiengang „Beratung in der Arbeitswelt“ absolviert. Ich bin Priorin und arbeite als Coach und Supervisorin. Andere haben handwerkliche Begabungen, die man für neue kleine Handwerksbetriebe nutzen könnte. Auch eine Wildkräuterei oder eine Imkerei sind im Gespräch.

Es gibt viele Klöster, die nicht mehr so vital sind wie ihres, weil der Nachwuchs fehlt. Das Klostersterben hat schon lange vor dem Kirchensterben angefangen, auch bei den Benediktinern ist man gewohnt, dass geschlossen, ausgeräumt, abgewickelt wird. Das muss brutal sein, wenn man für dieses Leben so viel aufgegeben hat. Wie geht man damit um?

So ist Geschichte eben. Wenn etwas dem Ende entgegengeht, dann nicht, weil irgendjemand etwas falsch gemacht hat, sondern weil komplexe gesellschaftliche Veränderungen stattfinden. Das ist für die Betroffenen richtig hart und ich habe höchsten Respekt davor, wie Gemeinschaften das beeindruckend gelingt. Es gibt Orden, die leben ein Stück Sterbekultur vor. Sie leben das Loslassen, die Abschiedlichkeit vor.

Welcher Fähigkeiten bedarf es, um darüber nicht komplett depressiv zu werden?

Dazu bedarf es der Ars Moriendi, die Kunst des Sterbens, die da eingeübt wird. Das mag unsere Gesellschaft gar nicht hören, weil wir die Fähigkeit verloren haben, mit dem Ende umzugehen. Was immer es sein mag, was zu Ende geht – im Kleinen wie im Großen. Das loszulassen, was der zentrale Inhalt meines Lebens war, erfordert eine tiefe Glaubensdimension. Das kann ich nur tun, wenn ich an etwas noch Größeres glaube. Und ich weigere mich auch, irgendwelche Wertungen vorzunehmen, nur weil es bei uns derzeit gut läuft. Vielleicht erweist sich das gelungene Aussterben am Ende als das Größere und Bessere.

Das Gespräch führte Alexandra Ringendahl

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