Jetzt rege ich mich aufWarum ich diese Weihnachts-Besoffenheit unerträglich finde

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Massenandrang auf dem Weihnachtsmarkt in der Kölner Altstadt

  • In seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” hat sich unser Kolumnist Frank Nägele diesmal ein nahendes Ereignis ausgesucht, von dem offenbar niemand mehr so genau weiß, worum es da eigentlich geht.

Im Dezember werden wir aufgeregten Menschen noch aufgeregter, denn es geht auf Weihnachten zu. Das ist ein ernster Termin, über den man nicht verhandeln kann. Deshalb klumpen wir zusammen, als wäre es möglich, dieses unbarmherzige Schicksal zu teilen und merken nicht, dass wir es dadurch verschlimmern. Wir verstopfen die Straßen, überfüllen Parkhäuser, überrennen Innenstädte, fluten Weihnachtsmärkte mit unseren Körpern, sind getrieben vom Wunsch, dieses Weihnachtsfluidum in uns einzusaugen wie ein Klebstoffschnüffler die Dämpfe, von denen er abhängig ist.

Und Geschenke. Wir brauchen Geschenke. Geschenke in rauen Mengen. Keine Ahnung, was genau, denn alle, die erwarten, von uns beschenkt zu werden, haben doch schon alles. Aber es muss noch etwas anderes geben. Und wir rennen durch die Gegend, um es zu finden. Um präzise zu werden: Ihr rennt durch die Gegend, denn ich habe damit aufgehört.

Ja, ich bekenne hiermit, dass mir diese Weihnachtsbesoffenheit unerträglich geworden ist, auch wenn mich das zum Außenseiter macht, den keiner leiden kann. Nur ein Verrückter wagt es in dieser Zeit, die alles genießt und auf Schritt und Tritt digital Zeugnis ablegt von ihrem Hedonismus, zu erklären, dass er daran nicht teilnimmt. Herrjeh, was für ein Misanthrop. Schaut ihn euch an.

Ich aber wüsste gern: Was um Himmel Willen feiern wir da? Was ist das, dieses Weihnachten? Ist es nicht das Gedenken an Christi Geburt? Wenn man es nicht ganz sicher wüsste, müsste man stark daran zweifeln, denn das Abendland hat dieses fromme Fest in einen einzigartigen Konsumrausch verwandelt, der mit dem Anliegen des Jesus Christus nur insofern etwas zu tun hat, dass er sein Gegenteil darstellt. Bescheidenheit, Demut, Barmherzigkeit findet man an allen Tagen des Jahres eher als an diesen, die zum Wettbewerb der Inszenierung eigener Großartigkeit geworden sind.

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Ich sage das als Mensch, dem das gängige Gottesbild ebenso fremd geworden ist wie die Deutungshoheit der christlichen Kirchen in allen Fragen der Moral. Dennoch trage ich die christlichen Werte in mir, vor allem die Werte des Jesus, der Toleranz, Gewaltverzicht und Bescheidenheit der Überlieferung nach ähnlich konsequent gelebt und gepredigt hat wie der mir sehr einleuchtende Buddha auf dem indischen Subkontinent gut ein halbes Jahrtausend zuvor. Die individuelle Ausgestaltung des Weihnachtsfestes mag noch hinnehmbar sein als Akt persönlicher Freiheit. Wer viel essen will und noch mehr Geld ausgeben, mag das tun.

Aber was leben wir unseren Kindern vor? Den Menschen, die nach uns mit schwindenden Ressourcen auf einer Erde leben müssen, deren wunderbare Natur, wie wir sie kennen, nur noch mit einer großen gemeinsamen Anstrengung zu retten ist? Wir lehren sie an Weihnachten, dass Nächstenliebe und Barmherzigkeit nur in Geschenkpapier eingewickelt glaubhaft sind und dass Glück ein Zimmer voller teurer Spielsachen bedeutet, die schon vier Wochen später achtlos in der Ecke herumliegen und alles vollmüllen.

Der Gottesdienst als Kulisse

Ungerecht finde ich, ausgerechnet ich, wie an Weihnachten mit der Kirche umgegangen wird. Menschen, die sich 360 Tage im Jahr um sie und ihre Mission nicht scheren, benutzen den Gottesdienst als Kulisse für ihre Eventspiritualität, weil es ja etwas hat, in diesen Ehrfucht gebietenden Gemäuern das Donnern der Orgel zu hören, den berauschenden Geruch des Weihrauchs einzuatmen und der geheimnisvollen Stimme des Pfarrers und dessen uralten Formeln zu lauschen.

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Weihnachten und Kommerz liegen dicht beieinander – geht darüber der Kern von Weihnachten verloren?

Wenn es das alles nicht schon lange gäbe, müsste man es für eine hervorragende Fantasy-Inszenierung halten. Ich weiß, dass ich als Nichtmitglied der Kirche kein Recht habe, da zu erscheinen, nur weil es die Sinne kitzeln könnte. Ich verzichte seit vier Jahrzehnten aus Überzeugung darauf, sonst müsste man an Weihnachten auch ordentlich Eintritt von mir verlangen. 

Feier voller Wärme, Ruhe und Respekt

Ein einziges Weihnachtsfest seit meiner Jugend war mir angenehm, weil ich Heiligabend 2018 als Gast in einer Familie verbringen durfte, der Übertreibung und Materialismus fremd sind. Hier war die Feier, wie sie sein sollte, voller Wärme, Ruhe und Respekt. Allerdings wird das nicht so schnell wiederholbar sein, weil die Lebensumstände sich geändert haben. Immerhin weiß ich, dass es möglich ist, das Weihnachtsfest zu feiern, ohne ihm seinen Sinn zu rauben. Meine eigene Familie konnte das früher ganz schlecht. Aber das ist ein anderes Thema. 

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