Jetzt rege ich mich aufWie ich einen Neonazi vor mir sah – und versagte

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Neonazis sind oft an ihrer Kleidung mit rechtsradikalen Marken oder Sprüchen zu erkennen – doch was tun, wenn man einem begegnet?

  • In Folge 4 seiner Kolumne „Jetzt rege ich mich auf” rechnet Kolumnist Frank Nägele diesmal nicht mit anderen, sondern mit sich selbst ab.
  • Der Grund: Er ist einem Neonazi begegnet und empfand blanke Wut angesichts des unverhohlen rechtsradikalen Slogans auf dessen T-Shirt.
  • Aber was tut man, wenn plötzlich ein Neonazi vor einem steht?

Der Anti-Held in dieser Geschichte bin ich selbst. Und das kam so: Vor ein paar Wochen stand an einem Feiertag auf einem belebten Platz am Rhein ein junger Mann vor mir, mitten in einer großen Menge Ausflügler. Niemand außer mir nahm Notiz von ihm. Er trug schwarze Stiefel, eine schwarze Baumwollhose, ein schwarzes Shirt und akkurat geschnittenes schwarzes Haar mit einem markanten Scheitel. Alles sehr sauber und ordentlich. Auf dem Shirt stand mitten auf der Brust ganz klein, so dass man es mit Mühe gerade noch erkennen konnte, das Wort Landser.

Jeder, der sich auch nur ein winziges bisschen mit der rechten Szene auskennt, weiß, dass „Landser“ nicht nur die Bezeichnung für deutsche Wehrmachtssoldaten war, sondern auch der Name einer rechtsradikalen Band, die Instrumente, Sprache und das, was sie für Rockmusik hielt, für schlimmste Nazi-Propaganda missbraucht hat. Sie agierte mehr als ein Jahrzehnt zumeist im Untergrund, ehe sie 2003 verboten wurde. Ihre Mitglieder wurden zu Freiheitsstrafen verurteilt, die alle längst abgelaufen sind. Teile der Band machen unter anderem Namen weiter.

Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.

Frank Nägele ist Redakteur im Sport-Ressort. In seiner Kolumne schreibt er über alles, was (ihm) im Leben wirklich wichtig ist.

Dieser Typ in Schwarz trug ihren Namen wie zum Beweis dafür, dass es ziemlich einfach ist, sich zu rechtsradikaler Gesinnung zu bekennen und dabei fröhlich durch den öffentlichen Raum zu schlendern. Und ich stand neben ihm und überlegte mir, was man dagegen tun kann. Der Ausbruch von Wut, Hass und Gewalt an Ort und Stelle schien mir wenig hilfreich. Erstens bin ich als Ein-Mann-Armee ziemlich schlecht. Zweitens sind Wut, Hass und Gewalt die Spezialgebiete der Rechtsradikalen. Man ist ihnen als normaler Mensch in diesem Bereich ohne professionelle Hilfe hoffnungslos unterlegen.

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Es gibt so etwas wie eine Arroganz des Schlechten, und ich habe sie bei diesem Kerl gespürt. Von dieser unmenschlichen, selbstverliebten Kälte muss einst jene Faszination ausgegangen sein, die die halbe Welt ins Verderben riss. Was also hätte ich mit diesem bekennenden Anhänger der Unmenschlichkeit tun sollen? Über ein mahnendes Gespräch hätte er sich als Rechtsradikaler kaputt gelacht. Gewalt schied aus. Am besten wäre gewesen, ihn in eine andere Galaxie zu beamen. Aber so weit sind wir noch nicht. Außerdem war ich in Begleitung, die Zeit drängte, und so ging ich einfach ohne ein Wort weiter.

Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr rege ich mich über mich selbst auf. Wir leben in einem Land, in dem Nazis Todeslisten erstellen von Menschen, die sie hassen. Wie die Hinrichtung des ehemaligen Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke zeigt, sind sie in der Lage, ihre grausamen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Und wenn es wirklich so wäre, dass die Vernünftigen weit in der Überzahl sind, dann müssten sie um jeden, der sich in Wort und Auftreten zu Rechtsradikalität bekennt, einen Kreis der Menschlichkeit bilden, denn das ist, was sie am meisten fürchten: Menschlichkeit, die sie als Unmenschen auf der Stelle entlarvt.

Ich fürchte, wir sind von diesem Traum weiter entfernt, als die meisten glauben. Aber vorübergehen, wie ich es getan habe, ist erst recht keine Lösung.   

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