Im vorigen Sommer fanden nach sieben Jahren mühsamer Planung erste Veranstaltungen statt. Wie es jetzt in dem dem alten Industrieareal aussieht.
Altes Kölner IndustriearealArbeiten gegen den Verfall – So steht es um die Hallen Kalk

In dem Kunsthaus Kalk soll die deutschlandweit erste inklusive Klasse einer Kunstakademie entstehen.
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Die Hallen Kalk sollten ein „Ort von enormer Strahlkraft“ werden, so das Ziel der dort engagierten Vereine: ein kulturelles Zentrum mit Museum, Open-Air-Bühne und Akademie im rechtsrheinischen Köln. Doch der Weg dahin gestaltet sich schwierig. Weder die Stadt noch die seit Jahren engagierten Initiativen haben das nötige Eigenkapital, diesen Ort zu entwickeln. Manche Hallen sind so marode, dass sie nur mit großem Aufwand noch gerettet werden könnten.
Die Kölner Vereine arbeiten trotzdem weiter gegen den Verfall des Industrieareals an und bereiten mit der Verwaltung die langfristige Nutzung vor. Konkret geplant ist derzeit eine Markterkundung für die Hallen rund um den Osthof, um zu sondieren, ob es nicht doch einen Projektträger gibt, der sich den Hallen Kalk annehmen will.
Was sind eigentlich die Hallen Kalk?
Gemeint ist das Industrieareal an der Dillenburger Straße, in dem bis Ende der 1990er Jahre Klöckner-Humboldt-Deutz eine ihrer Kölner Produktionsstätten betrieb. Heute gehören sie der Stadt Köln, zuständig ist also das Liegenschaftsamt und auch der Rat hat ein Mitspracherecht über ihre Entwicklung. Die Hallen sind unterschiedlich stark verfallen, stehen teils unter Denkmalschutz. Für einige gibt es konkrete Pläne für eine künftige Nutzung, für andere noch nicht.

Die Hallen Kalk im Überblick.
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In ihrer Mitte liegt ein Innenhof. Ihn wollen mehrere Initiativen gemeinsam entwickeln, die sich als Verantwortungsgemeinschaft Osthof (VGO) organisieren, seit 19. Mai auch als eingetragener Verein. Darunter sind das Kreationszentrum für zeitgenössischen Zirkus (CCCC), das Kunsthaus Kalk als inklusive Kunstakademie und der Verein Kulturhof Kalk.
Was ist bisher in Kalk passiert?
2017 führte die Stadt ein Werkstattverfahren für die Hallen um den Osthof durch. Das Ergebnis: Hier sollen günstig Räume für Kultur, Kleingewerbe und Freizeit angeboten werden. Drei Jahre später kam die gemeinwohlorientierte Montag-Stiftung ins Spiel, als Profi für die Entwicklung von Industriearealen war sie ein übergeordneter Projektträger mit Kapital. Doch die Stiftung stieg im Sommer 2023 aus dem Projekt aus: Die Stadt Köln hatte sich laut der Stiftung zu unzuverlässig in der Zusammenarbeit gezeigt. Wie es mit dem Gelände weitergeht, war daraufhin unklar, seine Wiederbelegung war um Jahre zurückgeworfen.
Wie ging es weiter?
Meryem Erkus, im Vorstand des Vereins Kulturhof und der VGO, sagt heute darüber: „Als die Montag-Stiftung weg war, haben wir eingefordert, dass die Stadt Verantwortung übernimmt und diese Leerstelle füllen muss.“ Im Juni 2024 fand dann ein Workshop statt, den die Teilnehmer später als „Durchbruch“ bezeichneten: Alle beteiligten Ämtern der Stadtverwaltung und die Initiativen nahmen teil, begleitet durch eine professionelle Moderation.
Der erste große Erfolg war einen Monat später zu erleben, als die VGO erstmals Besucher im Hof empfangen konnte: Im Juli 2024 fand das Freiluftfestival „Kalk-Airs“ statt. Nach Probeverträgen, gingen die Akteure der VGO zur Pioniernutzung über, dem jetzigen Zustand: Das CCCC nutzt die Halle 63, der Kulturhof bespielt die Halle 66 und den davorliegenden Innenhof, das Inklusive Kunsthaus baut gerade die Dillenburger Straße 67 um.
Wie sieht es in den Hallen Kalk aktuell aus?
Dominikus Moos überblickt von einer Empore in Halle 63 das entstandene Kreationszentrum Zeitgenössischer Zirkus, dessen Co-Vorstandsvorsitzender er ist: In unterteilten Bereichen proben hier Darsteller und Artisten, haben Raum für Gespräche, können Requisiten und Turngeräte lagern. Er sagt: „Wir wollen mit gemeinwohlorientierten und kooperativen Formaten die Hallen nutzen und erhalten.“

Dominikus Moos ist Co-Vorstand des CCCC, arbeitet in den Abenteuerhallen Kalk und engagiert sich im Vorstand der VGO.
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Im Osthof trifft man bei Sonnenschein Meryem Erkus mit ihrem Laptop an einem kleinen Tisch vor der Halle 66 an. Hier sind erst jüngst die Trägerbalken des Dachs ausgetauscht worden, mehrere Räume mit Bar und Bühnen bietet das Quartierszentrum im Inneren. Erkus, Moos und ihre Mitstreiter machen diesen Sommer die Räume überhaupt erst zugänglich. Um die Projekte und Hallen langfristig abzusichern, reichten die Initiativen Bauanträge für die Hallen 63 und 66 ein, die laut Stadt derzeit in „finaler Prüfung“ sind.

Im Kreationszentrum für Zeitgenössischen Zirkus (CCCC) können Artisten proben. Ein Bauantrag für die langfristige Entwicklung wird aktuell von der Stadt geprüft.
Copyright: Julia Hahn-Klose
In der Dillenburger Straße 67 startet das Kunsthaus im September in seine dreijährige Pilotphase, von Stadt, Land und der Kulturstiftung des Bundes gefördert, mit der deutschlandweit ersten inklusiven Klasse einer Kunstakademie. Dafür werden die Räume über den Sommer umgebaut. Co-Vorständin Jutta Pöstges sagt, anfangs habe man die Initiativen nicht ernst genommen. „Wir haben in den letzten Jahren eindrücklich unter Beweis gestellt, dass wir seriöse Partner sind“, sagt sie. Pöstges ist überzeugt, die Entwicklung eines Areals wie den Hallen Kalk „kann nur kollaborativ gelingen“.

Das Kunsthaus Kalk bereitet sich auf Pilotphase vor: Leiterin Jutta Pöstges, mit einigen der Künstlerinnen und Künstler der Akademie.
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Wie geht es weiter?
Im Juli fand der bislang letzte Workshop der Reihe statt, die im Juni 2024 gestartet waren. Ein Treffen pro Quartal mit Stadtentwicklungsdezernent Andree Haack und eine Taskforce mit den beteiligten Ämtern bleibt an Austauschformaten bestehen. Jetzt geht es in die nächste Runde: „Für die Bearbeitung der Markterkundung wird ein weiteres regelmäßiges Austauschformat zwischen Stadt und VGO eingeführt werden“, teilte eine Sprecherin der Verwaltung mit. Die derzeitige Hoffnung: einen neuen Projektträger zu finden.
Was fordern die Initiativen?
Mehr Unterstützung der Stadt: „Dass im aktuellen Haushalt leider keinerlei Budget für ein so wichtiges stadtgesellschaftliches Projekt eingestellt ist, macht uns Sorgen. Die Herausforderungen müssen im weiteren Verlauf des Entwicklungsprozesses gemeinsam mit der Verwaltung und mit Unterstützung des Rates der Stadt Köln angegangen werden“, teilt die VGO gemeinsam mit.
Was sagt die Kölner Politik?
Sabine Pakulat ist Sprecherin für Liegenschaftspolitik der Grünen und sagt: „Die Erwartungen sind groß, was die Hallen Kalk angeht.“ Nach „langer Hilflosigkeit“ auf Seiten der Verwaltung laufe der Prozess jetzt „endlich gut“. Sie sagt, mit den Interessenten zusammen ein Finanzierungs- und Betriebsmodell zu entwickeln, sei ungewöhnlich, das rechne sie der Verwaltung hoch an. Brigitta von Bülow ist Grünen-Sprecherin für Kulturpolitik und dankt dem „unermüdlichen Einsatz der Verantwortungsgemeinschaft“, erwartet jetzt aber von der Verwaltung auch die Weiterführung der dezernatsübergreifenden Arbeit und die langfristige finanzielle Sicherung und Perspektive im Haushalt der Stadt.
Auch Maria Helmis-Arend, kulturpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Rat, sagt: Jetzt sei die Stadt gefragt. „Wer hier bremst oder verzögert, handelt fahrlässig und blockiert den dringend nötigen kulturpolitischen Aufbruch in unserer Stadt.“ Und weiter: „Der Osthof ist kein gewöhnliches Projekt. Er ist ein Versprechen für eine andere, zukunftsgewandte Kulturpolitik in Köln. Offen, inklusiv und gemeinwohlorientiert.“
Was entsteht noch in den Hallen Kalk?
Im Westen des Osthofs wird in der Halle 70 das Dokumentationszentrum über Migration, kurz Domid, mit einem Museum entstehen, künftiger Name: Selma. Baubeginn soll 2027 sein, die Eröffnung zwei Jahre später. Das Museum wird von Bund und vom Land NRW finanziert.

Begehung der Hallen 70 und 71 für das Migrationsmuseum im April 2024.
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Daneben steht Halle 71, die von der Stadt in Vorbereitung auf das Museum zu einer Freilufthalle umgebaut wird. Dazu soll im Norden die an das künftige Museum angrenzende Halle 60 aus Brandschutzgründen ein paar Meter zurückgebaut und die Hausnummer 63 abgerissen werden. Dann entstehen Durchgänge neben dem Museum, über den auch der Osthof besser zu erreichen ist.
Wird das Areal von den Abenteuerhallen Kalk nicht längst genutzt?
In Halle 59 können Jugendliche in dem Zentrum für „Jugend- und Bewegungskultur“ seit 20 Jahren schon klettern, skaten, BMX-Radfahren und sich artistisch austoben. Die Abenteuerhallen Kalk (AHK) sind wie das Museum ein assoziierter Partner der VGO, sie sollen bestehen bleiben.
Bleiben alle Hallen in Kalk erhalten?
Das ist unklar. Die Hallen mit den Nummer 75 bis 77 sind so marode, dass die Stadt sie nicht selbst sanieren will, bis zu 90 Millionen Euro würde das kosten. Das ist der Teil des Areals, der zwischen dem Ottmar-Pohl-Platz und der Neuerburgstraße liegt. Seit Juni ist eine Markterkundung veröffentlicht, mit der die Stadt mögliche Entwickler für diesen Abschnitt sucht. Läuft das gut, würde sie danach ein Vergabeverfahren beginnen, um das Grundstück wirklich zu verkaufen. Zwar soll dieser die Hallen einem „stadtentwicklungspolitisch sinnvollen Nutzung zuführen“, idealerweise „gemeinwohlorientiertem Schwerpunkt“, ein Abriss ist damit aber nicht ausgeschlossen.

Die Hallen 75 bis 77 an der Neuerburgstraße (Archivbild).
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Unklar ist auch, was mit den Hallen 58 und 60 und der Dillenburger Straße 65 passiert. In letzterer Adresse war bis Januar das Spendenlager der Diakonie untergebracht, dann war es zu einem Brand gekommen. Die Stadt schreibt auf Anfrage: „Die Untersuchungen hinsichtlich Statik und Standsicherheit laufen noch. Ein Betretungsverbot besteht weiterhin.“
Was ist mit der Fläche, die aktuell brach liegt?
Zwischen der Neuerburgstraße und der Freilufthalle am Museum liegt ein Bereich, der neu bebaut werden soll, mit Wohnungen und zur Ansiedlung von Gewerbe. Weil seit diesem März klar ist, was mit der Halle 71 passiert, will die Stadt nun für das Neubaufeld ein Bauleitplanverfahren starten.