Kardinal Woelkis PR-StrategieDie Illusion der freien Entscheidung

Lesezeit 5 Minuten
Woelki ernst

Kardinal Rainer Woelki

  • Peter Bringmann-Henselder, Mitglied im Betroffenenbeirat, schildert eine völlig andere Version als zwei frühere Mitglieder des Beirats.
  • Doch seine These, der Beirat habe mitnichten unter Druck des Kölner Erzbistums gehandelt, ist aus mehreren Gründen gewagt.

Köln – Fast zwei Wochen schwieg Peter Bringmann-Henselder, Mitglied im Betroffenenbeirat des Erzbistums Köln und zeitweilig sein Sprecher. Keine Stellungnahme, keine Antwort auf Fragen zu Kardinal Rainer Woelkis PR-Strategie für den Umgang mit dem Betroffenenbeirat auf dem Höhepunkt des Missbrauchsskandals im Jahr 2020. Doch dann ließ Bringmann-Henselder sich von der „Kölnischen Rundschau“ interviewen. In dem Gespräch legt er seine Sicht auf eine Sitzung des Betroffenenbeirats mit Woelki, dem damaligen Generalvikar Markus Hofmann und drei juristischen Beratern dar. Bringmann-Henselder präsentiert eine überraschende Gegenerzählung.

Er reagiert auf den Vorwurf mehrerer anderer Beiratsmitglieder, sie seien für Woelkis Zwecke instrumentalisiert und mit einer detailliert vorbereiteten Strategie wie „dressierte Tiere“ vorgeführt worden. So formuliert es der Anfang November 2020 aus Protest zurückgetretene damalige Beiratssprecher Patrick Bauer.

Anlass für dieses harte Wort war ein geheimes Papier von Woelkis PR-Beratern für die fragliche Beiratssitzung am 29. Oktober 2020, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ öffentlich gemacht hat. Der mehrseitige Strategievorschlag zeichnet detailliert vor, warum und wie die Bistumsleitung den Beirat hinter ihre längst gefallene Entscheidung bringen müsse, ein erstes Missbrauchsgutachten der Münchner Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht zu veröffentlichen und stattdessen ein Ersatzgutachten bei dem Kölner Strafrechtler Björn Gercke in Auftrag zu geben.

Alles zum Thema Rainer Maria Woelki

„Inszeniert war hier nichts“, behauptet Bringmann-Henselder, der seit Jahren als Woelkis vehementester Verteidiger auftritt, Kritiker des Kardinals diffamiert und den Ruf nach Reformen in der Kirche für einen „Missbrauch des Missbrauchs“ hält. Der Beirat, so Bringmann-Henselder jetzt, habe „weder unter Druck noch irgendeiner Beeinflussung“ gehandelt.

Gewagte Thesen, wenn man die PR-Papiere neben Bringmann-Henselders Schilderung des Sitzungsverlaufs legt und hinzunimmt, was Patrick Bauer jetzt auf Facebook veröffentlichte: Er und sein Co-Sprecher Karl Haucke seien nicht nur im Unklaren über den Anlass für die eilends anberaumte Sitzung gelassen worden.

Vielmehr habe auch die Tagesordnung nicht den geringsten Hinweis auf den geplanten Gutachterwechsel enthalten. Die Beiratsmitglieder Haucke und Winfried Ponsens, die in der Sitzung fehlten und anschließend ihren Austritt erklärten, sprachen deshalb später von einer Überrumpelungsaktion.

Dass Bringmann-Henselder das interessegeleitete Vorgehen des Bistums und die subtile, absichtsvolle Lenkung des Betroffenenbeirats bis heute entweder nicht durchschaut oder nicht wahrhaben will, zeigt sich besonders an einer zentralen Stelle im Interview.

Was denn passiert wäre, wenn der Beirat erklärt hätte, „wir sind trotz allem für die Veröffentlichung des Gutachtens“, wollen die Interviewer wissen. Die hypothetische Frage trifft den entscheidenden Punkt: Wie frei war der Beirat – nicht in eigener Wahrnehmung, sondern aus Sicht der Bistumsleitung? Und wie ernst nahmen Woelki und Hofmann das Gremium?

Bringmann-Henselders Antwort: „Mit ziemlicher Sicherheit kann man davon ausgehen, dass man dann versucht hätte, das WSW-Gutachten zu veröffentlichen, wobei es wahrscheinlich durch einstweilige Verfügungen oder andere juristische Winkelzüge ohnehin nicht dazu gekommen wäre, denn es gab erhebliche Bedenken wegen der Persönlichkeitsrechte der im Gutachten benannten Personen.“

Letzteres stimmt. Dieses juristische Problem, von Woelkis Anwälten aufgebracht, trieb den Kardinal und seinen Generalvikar schon seit Monaten um. Richtig sei es, steht als Ergebnis langer Überlegungen im PR-Papier für die Beiratssitzung, „ein rechtssicheres Gutachten erstellen zu lassen.“ Wahr sei, „dass WSW für das Scheitern des Gutachtens verantwortlich ist“. Andererseits sei es unmöglich, „das Falsche zu tun und das Unwahre zu sagen, nur weil das eher geglaubt würde“.

Was das im Klartext heißt, steht wenige Sätze weiter fettgedruckt zu lesen: „Der Weg einer Veröffentlichung des WSW-Gutachtens (also eine weitere Zusammenarbeit mit WSW) ist keine Option. Daher ist es gefährlich, dem Betroffenenbeirat diese Option zur Verfügung zu stellen. Der Betroffenenbeirat soll daher keine Entscheidung treffen, sondern an einer Beratung teilnehmen.“

Die PR-Strategen verbinden diese Empfehlung mit einer unmissverständlichen Warnung: Wenn die Betroffenen sich öffentlich gegen Woelkis Entscheidung zum Aus für das WSW-Gutachten positionieren oder sogar ihre Mitgliedschaft im Beirat beenden sollten, „nehmen das Erzbistum, der Kardinal und der Generalvikar enormen Schaden“.

Damit ist auch der Fahrplan für die Sitzung klar. Tatsächlich hatten die PR-Strategen Bringmann-Henselders Option – der Beirat entscheidet sich gegen Woelkis Aus für das WSW-Gutachten – als „Szenario F“ durchgespielt, doch exakt entgegengesetzt zu Bringmann-Henselders Annahme: „Im Szenario F muss das Erzbistum gegen die Entscheidung des Betroffenenbeirats handeln.“ Für die Kommunikation nach außen müsse ein „Notfallplan vorbereitet werden“.

Auf die Veröffentlichung des WSW-Gutachtens verschwendete zu diesem Zeitpunkt niemand in der Bistumsleitung noch einen Gedanken – und auch nicht auf die Frage, ob der Betroffenenbeirat hier irgendetwas zu sagen oder gar zu bestimmen hätte. Es ging – wie Bauer, Haucke und andere schon einen Tag nach der Sitzung erkannten – nur darum, Woelkis Entscheidung durch ein Vertrauensvotum des Beirats „besonders glaubwürdig“ aussehen zu lassen. „So schädlich wie das öffentliche Misstrauen der Betroffenen wirkt, wirkt umgekehrt auch das öffentliche Vertrauen.“

Für das Verfahren mit dem Gremium lautete der PR-Vorschlag, in der Sitzung müsse den Teilnehmenden größtmögliche Freiheit gegeben werden, einschließlich der Möglichkeit, sich mehr Zeit zu nehmen: die berühmte „Bedenkzeit“, auf die Bringmann-Henselder auch im Interview hinweist – als vermeintlichen Beleg für die Offenheit der Situation. Faktisch fühlten sich die Beiratsmitglieder am Ende der mehrstündigen Sitzung so gut informiert, dass sie Woelkis Weg umstandslos folgten. Schon einen Tag später ging der Kardinal an die Öffentlichkeit und gab mit dem Rückhalt des Beirats den Gutachterwechsel bekannt. Wunschszenario A im Strategiepapier.

„Perfide Strategie“

Als ob die Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Kerstin Claus, Bringmann-Henselders Interview und den Kampf um Deutungshoheiten vorausgesehen hätte, warnte sie kurz vor dem Erscheinen: Gerade Institutionen, die Taten verschwiegen oder vertuscht hätten, müssten sicherstellen, „dass alle Betroffenen, die sich beteiligen, nicht erneut in Machtdynamiken verstrickt werden. Leider ist es bisher viel zu oft so gewesen, dass Institutionen eher Nutzen aus Konflikten zwischen Betroffenen gezogen haben.“

Rückschauend auf die Sitzung im Oktober 2020 und ihre Folgen schreibt das danach zurückgetretene Beiratsmitglied Winfried Ponsens: „Heute ist mir klar, eine perfide Strategie ist aufgegangen, die Betroffenen erfolgreich zu spalten. Im Bistum hat das zu gelten, was der Erzbischof will und damit basta. Ein immerwährendes Spiel von Macht und Missbrauch.“

KStA abonnieren