Pro und ContraSollte der Elfte im Elften in Köln ausfallen?

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ABS Karneval

Vor Corona ein vertrautes Bild im Karneval: Schlangestehen vor den Kneipen

Köln – Erste Kneipen haben die Party abgesagt. Muss das Feiern in der Pandemie nochmal ausfallen? Ein Pro und Contra.

Pro: Der 11. im 11. könnte ein Superspreader-Event werden

Jennifer Wagner, 30, ist freie Autorin. Sie würde gerne wieder stundenlang in der Kostümkiste kramen und sich am Ende doch wieder als Papagei verkleiden. Aber das muss warten.

Karneval – ein Sehnsuchtswort, bei dem direkt Schunkel-Musik, Kölsch und sich gegenseitig umarmende fremde Menschen vor meinem inneren Auge auftauchen. Und das ist das Problem: Genau das ist Karneval. Der Sessionsauftakt besteht aus allem, was wir uns zu Corona-Zeiten nicht leisten können:

Flüssigkeitsaustausch – gewollt oder ungewollt über fremde Biergläser –, extreme Nähe, schwitzige Hände und Gesichter, stickige Luft in überfüllten Kneipen. Aber Karneval ist ja noch viel mehr: Gemütlichkeit, Vertrautheit, Heimat. Und ich vermisse das!

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Jennifer Wagner würde sich wohl als Papagei verkleiden. Aber das muss warten.

Aber: Wir können leider noch nicht wieder feiern, so wie wir es gehofft haben. Es gibt noch zu viele Menschen, die keine Impfung bekommen haben. Wenn nur das Problem wäre, dass sich die Leute mit der gefährlichen Delta-Variante anstecken, die sich – trotz wissenschaftlich bestätigter Erkenntnisse, dass die Impfung gut ist und wirkt und keine Langzeitfolgen erzeugt - nicht impfen lassen wollen, würde ich dazu tendieren zu sagen: selbst Schuld, ihr riskiert euer eigenes Leben.

Aber dem ist ja nicht so. Ungeimpfte sind nicht nur eine Gefahr für sich selbst, sondern auch für andere.

Kinder sind immer noch ungeschützt

Dazu kommt: Es gibt immer noch Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Junge Kinder sind eine Gruppe davon. Ihnen durch einen einzigen feucht-fröhlichen Feiertag die nächsten Wochen Freunde treffen, Schule, Sportverein oder den Großeltern-Besuch zu nehmen, finde ich unfair. Kinder und Jugendliche haben in den vergangenen 1,5 Jahren genug zurückgesteckt - mit fatalen (psychischen) Folgen für einige von ihnen.

Abgesehen davon sind eben immer noch viele Erwachsene ungeimpft, ob wider besseren Wissens oder aus gesundheitlicher Selbstüberschätzung, sei dahin gestellt. Fakt ist aber: Wenn sie sich exponentiell mit dem Corona-Virus anstecken und mit einem schweren Covid-Verlauf auf der Intensivstation landen – was derzeit schon oft genug passiert – verstopfen sie immer weiter die dringend benötigte Kapazitäten in den Krankenhäusern.

Die Kliniken schlagen schon jetzt Alarm

Mediziner warnen, dass bald wieder Operationen aufgeschoben werden müssen, weil nicht genug Personal vorhanden ist, um alle Patienten zu versorgen. Das darf nicht passieren. Alle haben ein Recht auf medizinische Versorgung – aber die muss eben gewährleistet sein. Wenn Covid-Patienten die Krankenhäuser auslasten, müssen andere zurückstecken. Zudem können wir es uns nicht leisten, noch mehr Pflegepersonal zu verlieren, das in den vergangenen Monaten schon oft überarbeitet den Job hingeschmissen hat.

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Und der 11. im 11. könnte ein Superspreader-Event werden – selbst mit 2G-Regeln. Auch Geimpfte können das Virus – wenn auch abgeschwächt – weitertragen. Und vor einer prinzipiellen Erkrankung mit Covid schützt die Impfung sowieso nicht völlig. Dazu kommen immer wieder Fälle von gefälschten Impfzertifikaten – deren Besitzer sind eine Gefahr für sich selbst, aber auch für Menschen, die sie später infizieren können.

Gefahr für Mitarbeiter in der Gastronomie

Abgesehen davon würde ich als Gastwirt nicht riskieren, dass sich an einem einzigen Tag meine Mitarbeiter anstecken und im kommenden Weihnachtsfeier-Geschäft ausfallen – wenn das dann angesichts der hohen Fallzahlen überhaupt noch angeboten werden kann.

Und überhaupt: Mit diesem Wissen im Hinterkopf macht die Karnevalssause sowieso keinen Spaß.

Contra: Wir müssen, bei aller Vorsicht, lernen, mit dem Virus zu leben

Stefan Worring, ist Chefreporter und feiert ohnehin erst nach Neujahr Karneval.

Um es vorweg zu sagen: Für mich fängt der Karneval nach Neujahr an. Daran haben vorweihnachtliche Stunksitzungspremieren genau so wenig geändert wie eine vielfach fremdbesetzte Partyexplosion, die sich Sessionseröffnung nennt. Als ich Anfang der 1990er Jahre begann, für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu arbeiten, trafen sich am Elften im Elften zwei- bis dreihundert Jecke am Ostermannbrunnen, einige wenige mit Narrenkappe und drei Clowns mit decker Trumm, sangen ein paar Lieder, und dann ging man noch auf ein Bier.

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Stefan Worring glaubt, dass man verantwortungsvoll feiern kann.

Abends lauschte man im Radio den neuen Sessionsliedern, die dann erstmals öffentlich vorgestellt wurden. Ich habe noch nie ein Kostüm getragen am 11.11. Dass an diesem Tag mittlerweile feierwütige Horden die Stadt besetzen, ist genau so wenig meins wie Heerscharen von Junggesellinnen-Abschieden an normalen Wochenenden oder Sommerkarneval. Aber jeder soll so feiern, wie es ihm gefällt, wenn es im Rahmen dessen ist, was erlaubt ist.

Aktuelle Schutzverordnungen erlauben das Feiern

Deswegen: Ja, natürlich soll am 11.11. gefeiert werden dürfen. Die aktuellen Corona-Schutzverordnungen erlauben das, und dann kann man das auch machen. Zumal seit Montag klar ist, dass Einhaltung der 2G-Regel Pflicht ist. 

Wer geimpft oder genesen ist, kann ins Theater gehen, zum Konzert, ins Restaurant, in die Kneipe, ins Stadion. Und das ist gut so. Es darf keine „Lex Carneval“ geben, wenn gleichzeitig vor den angesagten Clubs der Stadt an den Wochenenden die Warteschlangen die Hundert-Meter-Marken deutlich überschreiten.

Müssen lernen, mit Virus zu leben

Natürlich steigen die Inzidenzwerte aktuell, die Zahl der Infektionsdurchbrüche bei Geimpften ist auch für Experten überraschend hoch. Aber wir müssen, bei aller Vorsicht, lernen, mit dem Virus zu leben. Corona wird nicht verschwinden aus unserem Alltag, genau so wenig wie Grippe, Windpocken oder Masern. Wir können uns nicht dauerhaft einsperren, das ist wie den Kopf in den Sand stecken.

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Und was etwa ein Lockdown mit uns Menschen machen kann, haben wir erlebt: Depression und Vereinsamung sind oft die Folgen. Von den wirtschaftlichen Auswirkungen mal ganz abgesehen. Noch einmal alles dicht machen, können wir uns schlichtweg nicht leisten. Das Leben muss trotz Virus lebenswert sein, und da gehören gemeinsames Erleben und Feiern einfach dazu.  

Wer Bedenken hat, kann zu Hause bleiben

„Wir wollen nicht feiern um jeden Preis“, hat Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn gesagt. Aber im Rahmen des Möglichen. Keiner muss feiern. Wer Bedenken hat, kann zu Hause bleiben. Und so ist es jedes Gastronomen oder Wirtes ureigene Entscheidung, ob er am 11.11. seine Location öffnet oder nicht.

Letzteres kann man mit Rücksicht auf die Gesundheit des Personals und der Gäste begründen, hat aber gerade für den Tag der Sessionseröffnung auch banale wirtschaftliche Aspekte. Denn es ist nur ein Tag, die Kontrollen sind aufwendig und kostenintensiv, der Personalmangel in der Branche gerade extrem. Das wird sich im kommenden Jahr an Karneval ganz anders darstellen: fünf Tage am Stück fettes Geld verdienen – da wird so mancher wieder dabei sein, der jetzt am 11.11. aussetzt.

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