Kino versus TheaterWie beim Rosenmontagszug vor 110 Jahren einen Kölner Kulturkampf ausgetragen wurde

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Aquarell-Zeichnung eines Karnevalswagens

Aquarelle von Rudolf Hraby zeigen den Karnevalswagen „Theater - früher und heute“ von 1914.

Als Köln 1914 Karneval feierte, ahnte noch niemand, dass der Erste Weltkrieg bevorstand. Schon damals war der Rosenmontagszug politisch.

Das Wetter war an Rosenmontag 1914 nicht besonders gut, der Zoch dafür umso prachtvoller. Rekordverdächtige 74 Abteilungen und 20 hoch aufragende Wagen schoben sich am 23. Februar vor 110 Jahren durch die Kölner Innenstadt. In Bezug auf die kurz bevorstehende Werkbundausstellung lautete das Motto „Weltausstellung in Köln“. Dass auch der Erste Weltkrieg nahte und auf Jahre hinweg kein Rosenmontagszug mehr stattfinden sollte, ahnte damals noch niemand.

Der Wagen, den die Große Kölner Karnevalsgesellschaft 1914 auf die Reise schickte, hätte gut zum diesjährigen Oberthema „Wat e Theater – Wat e Jeckespill“ gepasst, obwohl er einen Streit aufs Korn nahm, der längst vergessen ist. Zwischen dem Theater und dem Kino war damals eine Konkurrenzsituation entstanden, die Medienwissenschaftlerin Friederike Grimm als speziell deutsches Phänomen bezeichnet: „Der Wagen brachte diese Debatte anschaulich auf den Punkt.“

Unter dem Titel „Theater – früher und heute“ zeigte die Vorderseite das opulente Portal eines Kinos, das trotz „grosser Preise“ ausverkauft ist. Als Publikumsmagneten erweisen sich Stummfilmstar Asta Nielsen und Filme wie „Die Herrin des Nils“, die in Köln zur „Herrin von Niehl und Nippes“ ernannt wurde – in Anspielung auf die vielen Kinos, die auch in den Stadtteilen aus dem Boden schossen. Auf der Rückseite spielte sich währenddessen im Schauspielhaus eine Tragödie ab: Für „Die Braut von Messina“ sind noch Karten zu haben, Schauspieler betteln um die Gunst des Publikums, Aufführungen finden täglich „auf Anfrage“ statt und wer kommt, wird kostenlos verköstigt und sogar mit dem Auto zum Theater chauffiert.

Karneval in Köln: Rosenmontagswagen thematisiert Rivalität von Kino und Theater

Für Friederike Grimm, die einen wissenschaftlichen Aufsatz über den von Theatermaler Rudolf Hraby entworfenen Wagen in der englischen Fachzeitschrift „Early Popular Visual Culture“ veröffentlichte, parodierten die Jecken damit einen wahren Kulturkampf zwischen Kino und Theater. „Die Filmbranche griff zunehmend auf Stoffe, Schauspieler und Autoren des klassischen Sprechtheaters zurück und boomte seit der Übernahme des‚Theater‘-Konzepts“, so die promovierte Medienwissenschaftlerin an der Philipps-Universität Marburg. Die Bühnen-Lobby fühlte sich zurückgesetzt und reagierte scharf.

1912 übermittelten Theaterverbände dem Deutschen Reichstag Positionspapiere, um die angebliche Schädigung des Theaters durch die Kinos zu unterstreichen. Forderungen nach einer Besteuerung des Kinos zugunsten der Theater wurden laut. Die Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger untersagte ihren Mitgliedern sogar, an Filmproduktionen mitzuwirken. Doch die Krise des Theaters war auch hausgemacht. So habe der Karnevalswagen unterhaltsam verdeutlicht, dass ein „weltfremder, bildungsbeflissener Spielplan“ mitverantwortlich für den ausbleibenden Erfolg war, so Friederike Grimm.

Der Kinoboom wird durch die Theaterkrise ausgelöst und umgekehrt – so legte es die Kölner Persiflage nahe. Ob es dasselbe Publikum war, das dem Theater den Rücken kehrte, um dann ins Kino zu laufen, sei allerdings nicht zu beweisen. Denn so viel steht fest: Viele Bildungsbürger rümpften vor allem im katholischen Köln nach wie vor die Nase, wenn es um das Kino mit seinen mitunter „unsittlichen“ Filmen ging. Beigeordneter Konrad Adenauer sprach sogar von einem „Krebsschaden für die Volksgesundheit“. Die meisten Kölner ließen sich ihre Kinobegeisterung hingegen nicht nehmen. 1914 schunkelten die Jecken zum neuesten Hit „Frau Flöck die sitz em Kinema“.

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