Kaum KontrollenSchlechte Kita-Betreuung

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Fast 600 Kindertagesstätten machen in Köln Betreuungsangebote für Kleinkinder. (Symbolbild)

Fast 600 Kindertagesstätten machen in Köln Betreuungsangebote für Kleinkinder. (Symbolbild)

Köln – Anderthalb Jahre lang haben sich die rund 25 Familien alles gefallen lassen, bis ein Verdacht auf sexuelle Übergriffe das Fass zum Überlaufen brachte. Ein Erzieher soll beim Wickeln von zwei Kleinkindern Grenzen verletzt und sexuell motivierte Handlungen begangen haben. Was genau passiert ist, weiß man nicht. Solche Vorwürfe abschließend aufzuklären, wenn die mutmaßlichen Opfer kaum sprechen können, ist nicht möglich.

Doch durch den Fall wurden erstmals die Aufsichtsbehörden auf die Kita aufmerksam. Eltern brachen ihr Schweigen: Heraus kam eine seitenlange Mängelliste, die unglaubliche Zustände in einer Kölner Kita beschreibt.

Der Träger der Einrichtung im Kölner Norden ist 2010 vom Jugendhilfeausschuss als zuständigem Gremium des Stadtrates als „gemeinnütziger Träger der freien Jugendhilfe“ anerkannt worden. Das ist die Voraussetzung für die Förderung mit Steuermitteln. Genehmigungsgrundlage für Verwaltung und Politik war unter anderem ein anspruchsvolles pädagogisches Konzept.

Leere Versprechungen

Die Kinder sollten in allen möglichen Bereichen bestens gefördert werden, war da zu lesen. Von musischer Erziehung und sogar Mehrsprachigkeit ist die Rede. Theater, Kunstprojekte, schwimmen, klassische Musik kennenlernen, Natur erleben — in der Theorie fehlt nichts. In der Kita-Praxis wurden den Ein- bis Dreijährigen Musikvideos aus dem Internet vorgespielt.

Aus den Ausflügen wurde nicht viel mehr als ein seltener Gang zum nahen Spielplatz, sagt ein Vater. „Das Konzept ist eine komplette Fantasiewelt.“ Das Landesjugendamt, das beim Landschaftsverband Rheinland (LVR) angesiedelt ist, bestätigt, dass der Träger noch nicht einmal die formalen Vorschriften zur Qualifikation des Personals erfüllt hat. Die Gründerin des Trägers, die nach Angaben der Eltern im Keller der Einrichtung wohnt, hatte zwischenzeitlich selbst die pädagogische Leitung übernommen.

Auf der Mängelliste der Eltern finden sich Verstöße gegen Hygienevorschriften, schlechtes Essen, chaotische Zustände, schlechte Ausstattung und nichtqualifizierte Aushilfen. Auch der Bauleiter soll zeitweise als Kinderbetreuer eingesetzt worden sein. Besorgte Eltern seien durch „ein krasses Lügengeflecht“ getäuscht worden, sagt ein ehemaliges Mitglied des Elternrates. Weil die Not und die Unsicherheit der Eltern so groß seien, habe man sich das alles so lange gefallen lassen. „Alle haben Angst um den Kita-Platz.“

Zehn Prozent in privater Trägerschaft

Köln ist stolz auf die rasant gesteigerte Betreuungsquote für die unter Dreijährigen. Bald sollen 40 Prozent der Kinder versorgt sein. Wenn die Stadt ihre Zahlen präsentiert, wird alles mitgezählt, was Angebote macht. Kontrolliert werden die Betreuer jedoch offenbar kaum. „Wir fühlen uns total im Stich gelassen“, sagt eine Mutter. Da könne man „ganz gut Geld verdienen, ohne dass einer einem dazwischenredet“, meint das ehemalige Elternbeiratsmitglied.

Fast 600 Kindertagesstätten machen in Köln Betreuungsangebote für Kleinkinder. Fast alle bekommen Steuergelder und lassen die Stadt für sich einkommensabhängige Elternbeiträge einziehen. Die größten Träger sind die Stadt und kirchliche Einrichtungen.

Fast zehn Prozent der Kitas befinden sich in privater Trägerschaft. Ob sie die Qualitätszusagen als Gegenleistung für die öffentlichen Gelder einlösen, scheint nicht garantiert. Mancher Träger nutzt die Not der Eltern offenbar dazu, außer den staatlich festgelegten Elternbeiträgen saftige Zusatzgebühren zu kassieren. 400 Euro plus Essensgeld sollen zum Beispiel bei einer Kita im Mediapark zusätzlich verlangt werden. Da können sich die Betreuungskosten auf über 800 Euro pro Monat summieren. Andere wie die Kita im Kölner Norden sichern sich Zusatzeinnahmen über hohe Beiträge fürs Mittagessen. „Transparenz darüber, was mit dem Geld gemacht wird, gab es nicht“, so der betroffene Vater.

Kontrolle nicht vorgesehen

Regelmäßige Überprüfungen durch eine „allumfassende Kontrollinstanz“ seien gesetzlich nicht vorgesehen, sagt das Landesjugendamt. „Die Aufsicht findet im Wesentlichen anlassbezogen statt. Angemeldete und unangemeldete Vor-Ort-Termine werden durchgeführt, wenn es Hinweise darauf gibt, dass das Kindeswohl in der Einrichtung gefährdet ist.“

Der Kita im Kölner Norden sind nach der ersten, von Eltern erzwungenen Kontrolle seit der Gründung umfangreiche Auflagen gemacht worden. Der Betrieb kann aber weitergehen. Mehr noch: Der Träger hat angekündigt, weitere Einrichtungen eröffnen zu wollen. Dazu hat die Chefin ihren Bruder als Mitgesellschafter ins Boot geholt. Eine pädagogische Ausbildung oder Erfahrung mit institutioneller Kinderbetreuung hat auch er nicht.

Wer eine Betriebserlaubnis hat und behält, sei „auch zum Betrieb weiterer Einrichtungen geeignet“, teilt das Landesjugendamt zur Verwunderung der Eltern mit. Das städtische Jugendamt verspricht wenigstens, dass es keinerlei Fördermittel mehr genehmigen will, bevor nicht eindeutig geklärt ist, dass alle Auflagen des Landesjugendamtes erfüllt sind und die Kita reibungslos laufe.

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