„Organisationsversagen“300 Kölner Kinder noch ohne Grundschulplatz

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Drei bunte Schulrucksäcke stehen auf einer Bank.

In Köln gibt es zu wenig Plätze für Erstklässler.

In Köln haben immer noch nicht alle I-Dötzchen einen Schulplatz. Zwölf Schulen sollen nun kurzfristig Mehrklassen einrichten.

Kurz vor Ende des Schuljahres gibt es immer noch nicht für alle künftigen Kölner Erstklässler Schulplätze. Konkret braucht es noch für 300 Kölner Kinder einen Schulplatz. Das bedeutet eine neue Dimension des Schulplatzmangels an den Grundschulen. Um im August alle I-Dötzchen beschulen zu können, hat die Stadt daher kurz vor den Sommerferien weiteren zwölf Grundschulen mitgeteilt, dass sie kurzfristig im Gebäudebestand noch eine Mehrklasse einrichten müssen.

Zusammen mit den elf bereits eingerichteten Mehrklassen sind das allein für das kommende Schuljahr insgesamt 23 zusätzliche Klassen, die in den bestehenden Gebäuden gebildet werden müssen.

In einem Schreiben an die betreffenden Schulen, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, bezeichnet die Stadt das Vorgehen als „alternativlos“ und entschuldigt sich für die Kurzfristigkeit. Eine deutlich frühere Einschätzung der Situation sei allerdings nicht möglich gewesen. Man sei sich bewusst, dass dies für die Kollegien vor Ort „eine Herausforderung“ sei. Begründet wird dies damit, dass in diesem Jahr viele Familien der Aufforderung zur Anmeldung nicht nachgekommen seien.

640 Kölner Erstklässler müssen wiederholen

Die 300 Kinder, für die es bislang keine Plätze gab, wurden von ihren Eltern demnach gar nicht oder zu spät angemeldet. Ihnen müssten daher nun Schulplätze zugeteilt werden. Die ohnehin gravierende Platzknappheit sei zudem noch dadurch verstärkt worden, dass in diesem Jahr 640 jetzige Erstklässler das Schuljahr wiederholen werden. Das seien deutlich mehr als in anderen Jahren.

Optimale Voraussetzungen für die Einrichtung einer zusätzlichen Eingangsklasse gibt es an keinem der nun ausgewählten Standorte, weil es eben an keiner Kölner Grundschule noch freie Klassenraumkapazitäten gibt. Dafür müssen nun Mehrzweckräume und Räume des offenen Ganztags in Anspruch genommen werden. In den betroffenen Grundschulen ist der Frust riesig. Kurz vor Ende eines nach Corona ohnehin fordernden Grundschuljahrs ist alles für das neue Schuljahr vorbereitet und abgeschlossen: Die Klassen sind aufgeteilt, den Kindern wurde mitgeteilt, in welche Klasse sie kommen. Die Schulbücher waren bestellt. Der Personalplan steht.

Nun müssen mit großem Organisationsaufwand Räume und Kinder teilweise neu verteilt und Möbel beschafft werden. „Das ist der Super-GAU“, hieß es von einer Schulleitung, andere sprechen von „Organisationsversagen bei der Stadt“. Von Wut bis Resignation reicht die Gefühlspalette. „Die Kinder fallen doch nicht vom Himmel“, heißt es an anderer Stelle. Es müsse doch abgesehen von der nicht fest definierten Zahl der Wiederholer vorab zu ermitteln sein, wie viele in Köln gemeldete Kinder einen Schulplatz bräuchten – auch wenn sie die Anmeldefrist verpassen.

Bildungsgerechtigkeit stark gefährdet

Auch in Sachen Bildungsgerechtigkeit sehen die Schulen die Lage problematisch: Denn dort rechnet man damit, dass es sich bei den noch zu versorgenden Kindern, deren Eltern sie nicht angemeldet haben, um einen hohen Anteil Kinder handelt, die keinen Kindergarten besucht haben und teilweise kein Deutsch sprechen. Einerseits ist es also alles andere als ideal, eine neue Klasse nun ausschließlich mit den jetzt noch zugewiesenen Kindern zu besetzen, weil eine möglichst heterogene Mischung bessere Lernbedingungen schafft.

Andererseits ist es eine riesige Zumutung und hoher Aufwand, jetzt vor den Ferien die Aufteilung für alle Klassen noch mal neu zu erstellen und alle Eltern neu zu informieren. Die Schulen beschreiten hier unterschiedliche Wege. Außerdem kann die ganze Diagnostik im Hinblick auf Förderbedarfe, für die in der Regel die Wochen vor Schulbeginn genutzt werden, nicht greifen. Man agiere im völligen Blindflug, hieß es von einer Schulleitung.

Wann endlich wird Schulbau in Köln für den gesamten Stadtvorstand Priorität?
Jochen Ott (SPD), Schulexperte und Mitglied des Landtags

Den Schulexperten Jochen Ott (SPD) erreichen nach eigenen Angaben derzeit in großer Zahl besorgte bis empörte Zuschriften von Schulleitungen und Eltern. „Wann endlich wird Schulbau in Köln für den gesamten Stadtvorstand zur Priorität?“, fragt er. „Kinder und Jugendliche werden sonntags als unsere Zukunft gefeiert und montags ist alles andere wichtiger.“

Dabei war de facto bereits im Schulausschuss Ende Januar klar, dass die bestehenden Grundschulplätze nicht reichen werden. Damals waren laut Verwaltung 575 der 10.735 zur Anmeldung aufgeforderten Kinder von ihren Eltern noch nicht angemeldet worden. Nachdem die Stadt die Zahl der Familien nochmal um die Familien bereinigt hat, die inzwischen nicht mehr in Köln leben, blieben im Mai dann noch besagte 300 übrig.

Anmeldeüberhänge an einem Drittel der Kölner Grundschulen

In diesem Jahr gibt es erstmals auch bei den Grundschulen einen großen Mangel an Plätzen. An einem Drittel der Kölner Grundschulen gab es nach Ende des regulären Anmeldeverfahrens mehr Anmeldungen als Plätze. Teilweise mussten Kinder einer weiter entfernten Grundschule zugewiesen werden. Ursprünglich waren nur an vier Schulen Mehrklassen geplant, einige Wochen später waren es sieben, im Mai dann zwölf und nun 23.

Im Schulausschuss hieß es im Januar von Seiten der Verwaltung, dass der Mangel nicht wirklich überraschend komme. Der Schulentwicklungsplan aus dem Jahr 2020 hatte ausgewiesen, dass bis zum Jahr 2030 in Köln noch 30 Grundschulen fehlen. Von denen sind allerdings bislang nur zwei fertig und an den Start gegangen.

In den Grundschulen befürchtet man, dass der Krisenmodus zum Dauerproblem wird und die Lage sich im Jahr 2024 nochmal zuspitzt, da dann die Zahl der Erstklässler weiter ansteigt. Im kommenden Jahr sollen sechs Kölner Grundschulen durch Modulbauten um einen Zug erweitert werden.

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