Der wilde Fordstreik von 1973 wird zum Musicalstoff und der damals heftig attackierte Wortführer zum Vorbild.
„Baha und die wilden 70er“Ein gescheiterter Arbeitskampf in Köln wird zum Musical

Baris Ar, Burçin Keskin, Richard Huck und Mirjam Radovic (v.l.) proben für das Musical „Baha und die wilden 70er“ über den Fordstreik von 1973.
Copyright: Arton Krasniqi
Während ein Koch im Erdgeschoss Feines für die Gäste des Restaurants „Mahal“ in der Südstadt vorbereitet, wird im Keller der Aufstand geprobt. Männer und Frauen in blauer Arbeiterkluft fordern lautstark bessere Arbeitsbedingungen und Gleichbehandlung. Entlassene Kollegen sollen wieder eingestellt werden. Sie skandieren: „Eine Mark mehr für alle!“ Das „Sanat Ensemble“ um den Musiker, Schauspieler und Filmemacher Nedim Hazar macht sich auf zu einer besonderen Zeitreise in die „wilden 70er“. Auf ungewöhnliche Weise soll ein Kapitel der deutschen und Kölner Geschichte aus der Vergessenheit geholt werden. Hier wird ein Musical über den sogenannten „Türkenstreik“ einstudiert – ein gescheiterter Arbeitskampf als Stoff für gute Unterhaltung.
Wie das klingen kann, ist bereits im Netz zu hören: Nedim Hazars Sohn, Rapper Eko Fresh, hat aus dem Slogan einen starken Popsong gemacht. Vater und Sohn erzählen vom Kampf der „Gastarbeiter“ um eine Mark mehr Stundenlohn. „Wie es ausging, weißt du schon. Keiner mag mehr drüber reden. Sie wollten nur eine Mark mehr zum Überleben“, rappt Eko Fresh. Das Video zum Lied wurde vor dem Werkstor von Ford aufgenommen, das damals zu der Produktionshalle führte, die von den Arbeitern besetzt worden war.
„Wenn wir nicht davon erzählen, wird es kein anderer tun“, sagt Eko Fresh über das ehrgeizige Projekt, das am 10. Oktober im Comedia-Theater Premiere feiern wird. Der viel beschäftigte Mann hätte gerne mit auf der Bühne gestanden, doch sein voller Terminkalender habe langes Proben nicht erlaubt. Sein Lied ist ein kleiner Beitrag. „Wir hoffen, die Leute inspirieren zu können“, sagt er über das Theaterstück. Sein Vater nennt es eine „Einladung zum Empowerment“, also zu Selbstermächtigung und Emanzipation. Der Held der Geschichte ist Baha Targün, der 1969 zunächst als Tourist nach Deutschland gekommen war und dann zum Studieren und Arbeiten blieb. Der charismatische, redegewandte Mann war der Wortführer in den Streiktagen bei Ford im August 1973 – „ein krasses Vorbild“, findet Eko Fresh.
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Nedim Hazar und Eko Fresh treffen sich vor dem Lokal „Mahal“, in dem für das Musical „Baha und die wilden 70er“ geprobt wird
Copyright: Helmut Frangenberg
Der Umgang mit dem wilden Streik ist kein Ruhmesblatt für das Unternehmen, aber auch nicht für Gewerkschaft, Betriebsrat und die deutsche Medienlandschaft. Weil sich Tausende Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ohne die offiziellen Arbeitnehmervertretungen organisierten und erstmals wagten, lautstark die ihnen zugedachte Rolle als gehorsame „Gastarbeiter“ aufzugeben, schlug ihnen zum Teil blanker Hass entgegen. Zeitungen beschrieben den Streik als Konflikt „der Türken“ gegen „die Deutschen“, die „ihr“ Unternehmen „freikämpfen“ mussten. Es war von „Türken-Terror“ die Rede. Die damalige Landesregierung schickte Kriminalpolizei und den Verfassungsschutz nach Niehl und die Verantwortlichen bei Ford und in der IG Metall schauten zu, als leitende Angestellte und angeheuerte Streikbrecher mit Knüppeln und Schlagringen auf die Streikenden losprügelten.

Streik bei den Ford-Werken 1973: Der wichtigste Slogan lautete „Eine Mark mehr für alle“
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Das, was damals als Angriff auf die Ordnung in Stadt und Land gesehen wurde, ist aus heutiger Sicht ein „Meilenstein“ in der Entwicklung der Bundesrepublik. Die bundeseigene Stiftung „Orte der deutschen Demokratiegeschichte“ will das Projekt der Kölner Theatermacher auszeichnen. Stadt, Land und IG Metall sind Förderer. Das Hambacher Schloss hat die Produktion zu einer Aufführung im November eingeladen. Die Geschichte von „Baha und die wilden 70er“ wird am symbolträchtigen Ort der deutschen Demokratiebewegung zu sehen sein. „So ändern sich die Zeiten“, sagt Nedim Hazar nicht ohne Stolz.
Die politischen Konstellationen von damals und der Konflikt mit der Gewerkschaft werden im Stück nicht vorkommen. Das Musical soll keine akademische Bildungsreise, sondern ein lustvoller Theaterabend über eine schillernde Persönlichkeit werden. Nedim Hazar ist mit dem Musical „Hair“ und der Rockoper „Tommy“ groß geworden. Diese Erfahrung habe die Musik für das Musical genauso beeinflusst wie türkische und klassische Klänge. Auf der Bühne werden eine Rockband, ein Streichertrio und türkische Instrumentalisten zu hören sein. Vertont wird nicht nur die aufregende Zeit des wilden Streiks. Das Publikum soll auch erfahren, wie es mit dem 2020 tödlich verunglückten Held Baha nach dem Scheitern des Arbeitskampfes weiterging.
Die Premiere von „Baha und die wilden 70er“ ist bereits ausverkauft. Weitere Aufführungen im Comedia-Theater in der Vondelstraße finden am 4., 5. und 6. November statt. 2026 sind Gastspiele in Berlin, Stuttgart, Bremen, Nürnberg und Neuss geplant. Nedim Hazar arbeitet zudem an einem Kinofilm, in dem Spielszenen mit seinen Schauspielern, historisches Bildmaterial und Interviews mit Zeitzeugen zu einer abendfüllenden Dokumentation verbunden werden sollen.