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Ein SchwerverletzterGasexplosion in Köln – Bäcker widerruft Geständnis und bekommt Freispruch

Lesezeit 4 Minuten
Aufgrund der Gasexplosion wurden eine Bäckerei und das Wohnhaus in Mülheim zu großen Teilen zerstört.

Bei der Gasexplosion wurden eine Bäckerei und ein Wohnhaus in Mülheim zu großen Teilen zerstört. 

Die Verhandlung im Amtsgericht erfuhr eine kuriose Wendung.

Es war eine verheerende Explosion, die vergangenen April das Mehrfamilienhaus auf der Bergisch Gladbacher Straße in Mülheim erschütterte. Scheiben zerbrachen, Türen flogen aus den Angeln, Wände stürzten ein und Teile des Daches. Ein Bewohner wurde schwer verletzt, ein anderer konnte sich in letzter Minute retten. Schuld an der Katastrophe soll der Bäcker im Erdgeschoss gewesen sein – er habe laut Anklage mit Propangas hantiert. Doch ein kurioser Strafprozess endete mit Freispruch.

Köln: Angeklagter legt zunächst umfassendes Geständnis ab

Dabei schien der Fall zunächst klar. Über seine beiden Verteidiger Michael D. Hakner und Sebastian Schölzel legte der beschuldigte Troisdorfer zum Beginn der Verhandlung in Saal 22 des Kölner Justizgebäudes ein umfassendes Geständnis ab. Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft träfen zu. Die hatte dem 31-jährigen Inhaber der Bäckerei zur Last gelegt, an der Gasleitung im Keller des Hauses manipuliert zu haben, nachdem die Rheinenergie den Anschluss wegen ausbleibender Zahlungen stillgelegt hatte.

Die Straße musste nach der Explosion gesperrt werden.

Die Straße musste nach der Explosion gesperrt werden.

Um weiter den Backofen nutzen zu können, habe der Angeklagte völlig unfachmännisch eine Propangasflasche an die vorhandene Gasleitung angeschlossen. „Statt eines normalen Drucks von 0,2 Bar entstand ein Überdruck von sieben Bar“, so verlas es die Staatsanwältin. Der Bäcker habe wissen müssen, dass er mit dieser Aktion eine Explosion riskiere und Leib und Leben der Bewohner des Zehn-Parteien-Hauses gefährde. Nur wenige Tage nach dem Pfusch kam es tatsächlich zu einer Explosion.

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Köln: Wand stürzt nach Explosion auf krebskranken Bewohner

Am schlimmsten traf es den Bewohner einer kleinen Wohnung hinter der Backstube. Eine Wand und Deckenplatten stürzten auf den Mann, der sich dadurch mehrere Brüche zuzog. Der Schwerverletzte litt an einer Krebserkrankung, sei gerade auf dem Weg der Besserung gewesen, wie sein Sohn im Zeugenstand aussagte. „Nach dem Vorfall ist er nicht mehr auf die Beine gekommen“, berichtete der Sohn. Der Zustand des Vaters habe sich wieder verschlechtert, er starb im Oktober.

„Er hatte bis zuletzt Angstzustände“, sagte der Sohn. Von Flashbacks hatte der Mann berichtet. Immer wieder habe er vor Augen gehabt, wie die Wand auf ihn stürzte. Einen kausalen Zusammenhang zwischen Tatgeschehen und dem Tod des Bewohners nahm die Staatsanwaltschaft jedoch nicht an. Der Angeklagte musste sich daher wegen fahrlässiger Körperverletzung und nicht etwa fahrlässiger Tötung verantworten, zudem wegen der fahrlässigen Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion.

„Ich möchte mich entschuldigen für das, was passiert ist“, sagte der Angeklagte zum Sohn des Verstorbenen. Und weiter: „Ihr Vater war wie ein Freund für uns, er möge in seinem Grab Frieden finden.“ Ein weiterer Bewohner sagte aus, über eine Feuertreppe gerade noch vor den Rauchschwaden habe flüchten zu können, die sich in seiner Dachgeschosswohnung ausgebreitet hatten. Er habe an dem Tag alles verloren, sogar drei Monate in einer Notunterkunft schlafen müssen.

Köln: Strafprozess erfährt Wende nach Zeugenaussage

Eine Wende erfuhr der Prozess, als der Eigentümer des Mülheimer Hauses im Zeugenstand aussagte. Der berichtete von einem Gespräch mit dem „Chef“ der Bäckerei kurz vor der Explosion. Der habe ihn gefragt, ob er das Propangas anklemmen dürfe, das Erdgas der Rheinenergie sei ihm zu teuer. „Auf keinen Fall, habe ich gesagt“, so der Vermieter. In der Verhandlung stellte sich heraus: Das Gespräch hatte der Zeuge mit dem Bruder des Angeklagten geführt, der auch den Mietvertrag unterschrieben hatte.

Die Staatsanwaltschaft war in ihrer Anklage davon ausgegangen, dass der Beschuldigte das brisante Gespräch geführt hatte. Nachdem der Mietvertrag zwischenzeitlich auf den Angeklagten umgeschrieben worden war, hatten sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft auf diesen konzentriert. Nach Bekanntwerden dieser offenbaren Ermittlungspanne widerrief der Angeklagte sein Geständnis wieder: „Das war falsch, ich habe meinen Anwälten nicht die Wahrheit gesagt.“

Köln: Freispruch für Angeklagte – Entsetzen nach Urteil

Der Staatsanwältin blieb danach keine andere Möglichkeit, als einen Freispruch zu fordern. „Vielleicht trifft ihn die Schuld, vielleicht den Bruder oder beide zusammen oder einen Dritten – wir wissen es nicht“, so das Resümee. Der Richter folgte dem, der Angeklagte blieb unbestraft. „Die Zweifel überwiegen“, sagte der Vorsitzende. Gleichzeitig nahm er den ganzen Vorgang mit Unverständnis zur Kenntnis – zumal der Angeklagte sich ja im Saal bei den Geschädigten aufrichtig entschuldigt habe.

„Es ist nicht fernliegend, dass der Bruder des Angeklagten die Propangasflasche angeschlossen hat“, so der Richter. Strafrechtlich aufklären werde man das aufgrund der unklaren Gemengelage aber wohl nicht mehr können: „Es ist bedauerlich, dass das jetzt im Unklaren bleibt.“ Völlig entsetzt über den Freispruch zeigte sich die Ehefrau des Vermieters. „Wer zahlt uns jetzt den Schaden?“, fragte sie nach dem Urteil aufgelöst. Das Wohnhaus ist laut Eigentümer bis heute nahezu unbewohnbar.