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Zu viele PatientenForensik in Porz soll erweitert werden – Stadt Köln wusste nichts

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Die Forensik in Porz-Westhoven  soll mit Containerbauten erweitert werden.

Köln – Die forensischen Kliniken in Nordrhein-Westfalen sollen erweitert werden. Ausbaupläne gibt es auch für den Standort in Porz-Westhoven. Vor-Ort-Termine auf dem Gelände bestehender Kliniken haben bereits stattgefunden, eine Entscheidung, wo wie viele neue Stationen gebaut werden, soll bald gefällt werden. Entsprechende Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ bestätigen das Landesgesundheitsministerium und der Landschaftsverband Rheinland (LVR). Öffentlich kommuniziert wurden die Pläne bislang nicht. So wussten die Stadtverwaltungen in Köln und Düren auf Anfrage nichts von den Plänen des Landes – auch die Forensik-Beiräte, die die Qualität der Einrichtungen kontrollieren und sich um die Akzeptanz in der Gesellschaft kümmern, waren bislang nicht im Bilde.

Der Druck, neue Plätze zu schaffen, ist dem Vernehmen nach hoch: In einigen Kliniken sind bereits Therapieräume in Patientenzimmer umgewandelt worden, um Neuaufnahmen zu ermöglichen. Manche Forensiken mussten es bereits ablehnen, neue Patienten aufzunehmen. In der Allgemeinpsychiatrie in Merheim ist – während der Corona-Pandemie – fast jedes Zwei-Bett-Zimmer mit drei Patienten belegt. Der LVR als Träger äußert sich dazu wie folgt: „Nahezu alle zugewiesenen Patientinnen und Patienten“ habe man bislang aufnehmen, unterbringen und behandeln können. „Nahezu alle“. Außer jenen, bei denen das nicht möglich war, heißt das auch. Die starke Überbelegung der Allgemeinpsychiatrie in Merheim bestätigt der LVR.

Patienten in Allgemeinpsychiatrien überwiesen?

Dass in der Vergangenheit bereits Räume umgewidmet werden mussten, um Platz für Patienten zu schaffen, räumt der Träger ein. Temporär sei auch in Porz ein Therapieraum zur Unterbringung von Patienten genutzt worden. Der These, dass der Druck, Patienten von wie Hochsicherheitsgefängnisse gesicherten Forensiken in Allgemeinpsychiatrien zu überweisen, mit steigenden Zuweisungszahlen zunehme, widerspricht der LVR. In „vertretbaren Einzelfällen“ würden Patienten aus Forensiken seit jeher in Allgemeinpsychiatrien überwiesen. Dies sei auch in der Vergangenheit „in Einzelfällen der Fall gewesen, u.a. auch aus therapeutischen Gründen oder um eine wohnortnahe Rehabilitation zu ermöglichen“.

Einweisungen in forensische Kliniken nehmen zu. Zwischen 2017 und 2019 haben Gerichte in NRW 17 Prozent mehr Einweisungen von Menschen beantragt, die als nicht oder vermindert schuldfähig galten. „Im Jahr 2020 hat sich die Steigerungsdynamik im Rheinland bislang weiter verstärkt“, sagt ein Sprecher des Ministeriums. „Im Vergleich zum Jahr 2018 werden die Aufnahmeersuchen im Jahr 2020 um voraussichtlich 20 Prozent zunehmen.“

Zahl der Neuaufnahmen

Der Platzbedarf steigt, obwohl die Verhältnismäßigkeit einer Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus seit einer Gesetzesreform im Jahr 2016 häufiger überprüft werden muss. Die Reform habe dazu geführt, dass „eine größere Anzahl an Personen aus Gründen einer unverhältnismäßig langen Unterbringungsdauer entlassen worden sind“, sagt der Sprecher. Weil die Zahl der Neuaufnahmen aber stark steige, habe der Anstieg bei den Entlassungen nicht zu einer Reduzierung des Platzbedarfs geführt. Im Gegenteil.

Hier lesen Sie mehr: Wie das Phantombild eines Schwerverbrechers entsteht

„Erweiterungen sind überall dort denkbar, wo ausreichend Platz in gesicherten Bereichen besteht“, informiert der Sprecher des Ministeriums. Der LVR unterhält in Köln, Düren, Bedburg-Hau, Langenfeld und Viersen Kliniken für den Maßregelvollzug, in denen psychisch kranke Menschen behandelt werden, die ihren Taten nach als Straftäter gelten, zum Zeitpunkt der Tat aber nicht schuldfähig waren. Darüber hinaus gibt es in den LVR-Kliniken in Bonn und Düsseldorf jeweils eine Station für Maßregelvollzugspatienten, in Essen unterhält der LVR eine Klinik für Menschen, die während eines laufenden Strafverfahrens dort leben.

Forensik in Köln-Porz soll erweitert werden

Das Gelände in Porz ist zwar kleiner als jene in Düren oder Bedburg-Hau, trotzdem wird dort nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ schon länger über eine Erweiterung in Containerbauweise um eine oder zwei Stationen diskutiert. „Der LVR würde modulare Erweiterungsbauten in Düren und Köln-Porz, die relativ kurzfristig zur Entlastung der angespannten Belegungssituation beitragen, begrüßen“, schreibt der Träger auf Anfrage.

Willi Stadoll, Vorsitzender des Kölner Forensik-Beirats und früherer Bezirksbürgermeister von Porz, kann sich eine Aufstockung mit Containern nicht vorstellen. „Im Forensik-Beirat geht es uns darum, dass eine hohe Qualität für die Behandlung der Patienten und das Leben der Anwohner gewährleistet ist“, sagt er. „Container würden nicht unserem Qualitätsanspruch entsprechen.“

Stadoll: „Schnellschüsse werden wir nicht mitmachen“

Er gehe auch nicht von einer kurzfristigen Erweiterung aus, so Stadoll: „Schnellschüsse in so einem sensiblen Bereich werden wir nicht mitmachen. Es wird viele Fragen geben, das geht von Therapie- und Freizeitmöglichkeiten der Patienten, die beeinträchtigt werden könnten durch eine Erweiterung, bis zu einem schlüssigen Sicherheitskonzept.“ Von Plänen habe er gehört, so Stadoll. Denkbar sei es für Porz indes auch, außerhalb des Geländes eine neue Station für forensische Patienten zu schaffen. „Wir sollten das in Ruhe diskutieren. Bislang haben wir uns vom LVR immer gut informiert gefühlt.“ „Es wäre schön, wenn der LVR uns frühzeitig ins seine Pläne einweiht“, sagt ein Sprecher der Stadt Düren. In Köln wie in Düren wussten man bislang nichts von den aktuellen Planspielen des Landes. Eine LVR-Sprecherin bat um Verständnis, dass es schwierig sei, Interviewpartner in der Sache zu vermitteln.

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Wenn es um den so genannten Maßregelvollzug geht, ist die Erregungsschwelle niedrig – und das Erregungslevel hoch. Als Anfang des Jahrtausends im Engelshof in Wahn erstmals über den Bau der Porzer Forensik diskutiert wurde, brachten einige Gegner Grablichter mit und riefen ihren Unmut mit Parolen in den Saal, die von Angst und Vorurteilen zeugten. Die Protestwelle war gewaltig, auch Oberbürgermeister Fritz Schramma engagierte sich gegen den Bau. Als die Landesregierung 2006 bekanntgab, die Porzer Forensik von 126 auf 150 Plätze zu vergrößern, ging erneut ein Aufschrei durch Köln.

Das schlechte Image von Verwahranstalten

Ein Beispiel für das Ausmaß des Widerstands sind die Forensik-Ausbaupläne des Landes aus dem Jahr 2012. Da sich die Zahl der Patienten schon damals binnen zehn Jahren um zwei Drittel erhöht hatte, beschloss das Land den Bau von fünf neuen Kliniken in den Landgerichtsbezirken Bonn, Dortmund, Essen, Münster und Wuppertal mit insgesamt 750 Plätzen. Weil keine der Städte einen Vorschlag machte, schlug das Land selbst jeweils einen Standort vor. Seitdem hagelt es Klagen und Kritik aus den Städten, in denen gebaut werden soll.

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Die Umsetzung an allen ausgewählten Standorten habe sich zum Teil erheblich verzögert, teilt ein Sprecher des Landesgesundheitsministeriums mit und begründet das mit einem „komplexen Planungsverfahren“ sowie „zeitaufwändigen Gerichts- und Genehmigungsverfahren“. Vor Ort wird – wie aktuell in Wuppertal – erbittert um einen Standort gerungen – oder gleich darum, einen Bau gänzlich zu verhindern. Lediglich in Hörstel soll Anfang 2021 mit dem Bau einer neuen Klinik begonnen werden, die Stadt Lünen habe immerhin schon einen Bebauungsplan verabschiedet, heißt es aus dem Ministerium.

Forensischen Kliniken haftet bis heute das Image von Verwahranstalten für gefährliche Menschen an – obwohl die medizinischen Fortschritte groß sind und die Rückfallquote nach Entlassungen niedriger ist als bei Menschen nach einer Gefängnisstrafe. 

Warum LVR und Ministerium das Thema noch nicht öffentlich kommuniziert haben, obwohl bereits bald über Erweiterungen entschieden werden soll, liegt also auf der Hand. Das öffentliche Interesse allerdings auch.  

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