Messerangriff Zülpicher StraßeDer Prozess um den vermeintlichen Intensivtäter beginnt

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Blumen und Kerzen am Tatort in der Zülpicher Straße.

Köln – Joel G. hatte keine Chance. In jener Nacht Ende Juli 2021 unterhielt sich der Nachwuchsspieler des Fußballklubs 1. FC Düren auf der Zülpicher Straße mit Freunden, als ein junger Mann mit dem Springmesser in der Hand auf ihn zustürzte.

Laut blaffte der Angreifer den verdutzten 18-Jährigen an: Ob er Stress haben wolle? Während der Frage zuckte die Klinge hoch. G. riss seine Arme hoch. Doch es half nichts. Das Messer fuhr ihm in die Brust. Kurz nach vier Uhr morgens starb das Opfer in der Uniklinik.

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Verantwortung vor Jugendkammer

Dieses Tatgeschehen schildert die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage. Vom heutigen Freitag an muss sich der mutmaßliche Messerstecher wegen Mordes aus Heimtücke vor der Jugendkammer des Schwurgerichts verantworten. Weil er zur Tatzeit 17 Jahre alt war, findet der Prozess gegen den türkischen Staatsangehörigen Mehmet D. (Name geändert) hinter verschlossenen Türen statt.

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Wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfuhr, füllt der Angeklagte seit 2018 die Kriminalakten als Intensivtäter. Das Elternhaus zerrüttet, die Schulausbildung mit vielen Problemen behaftet, listet die Polizei 80 Ermittlungsverfahren gegen den Jugendlichen auf, die zu zwei Verurteilungen führten. Eine spezialisierte Kriminalkommissarin kümmerte sich über das Projekt „Haus des Jugendrechts“ um Mehmet D.

Mit dem gemeinsamen Projekt wollen Stadt, Staatsanwaltschaft und Polizei zum einen Strafverfahren beschleunigt abwickeln, damit die Intensivtäter zeitnah mit den Folgen ihres kriminellen Handelns konfrontiert werden. Zum anderen soll das Programm verhindern, dass die jugendlichen Teilnehmer erneut rückfällig werden. Bei Mehmet D. liefen die Bemühungen offenbar ins Leere.

Nur einen Monat vor dem mutmaßlichen Mord hatte der Jugendliche zwei Jahre auf Bewährung wegen Raubes, dem Besitz von Drogen und gefährlicher Körperverletzung kassiert.

Fehde eskalierte

Nach dem Ergebnis der Ermittlungen ist in der Nacht des 31. Juli 2021 eine Fehde zwischen zwei Jugendcliquen eskaliert: Die Gruppe des Mehmet D. aus dem Kölner Norden gegen eine Riege aus dem Süden. Zwei Wochen vor der Tat sollen einige Protagonisten beider Lager in Nippes zusammengestoßen sein. Dabei soll ein gebürtiger junger Iraner aus der Südstadt Prügel bezogen haben.

Kurz vor 2.30 Uhr in jener Tatnacht begegneten sich laut Staatsanwaltschaft beide Gruppen auf der Zülpicher Straße zufällig wieder. Das Prügelopfer näherte sich dem Angeklagten. Die Aussprache uferte aus. Plötzlich zog man Mehmet D. eine Flasche über den Kopf. Aus einer Wunde blutend, soll der Jugendliche sein Messer gezogen haben und offenbar seine Angreifer verfolgt haben.

Die Südstadtboys zogen sich auf die eine Straßenseite zurück, während Mehmet D. und zwei Mitstreiter ihnen auf den Fersen blieben. Das spätere Opfer wusste offenbar nichts von dem Zusammenstoß. Der Angeklagte hielt Joel G. jedoch für ein Mitglied der gegnerischen Gruppe und stach zu. Anschließend flüchtete der Tatverdächtige mit seinen Kumpels. Auf der Flucht traf Mehmet D. seinen Cousin am Zülpicher Platz. Weiter ging es. Gegen drei Uhr lief man auf der Beethovenstraße einer Polizeistreife in die Arme. Das Springmesser soll Mehmet D. den Ermittlungen zufolge kurz zuvor hinter einen Stromkasten geworfen haben.

Den Falschen festgesetzt

Zunächst hielten die Strafverfolger den Cousin des Angeklagten für den Messerstecher und schickten ihn auf richterlichen Beschluss hin in Untersuchungshaft. DNA-Spuren an der Tatwaffe sowie an der Jacke des Angeklagten offenbarten, dass die Ermittler den falschen Jugendlichen festgesetzt hatten.

Auf dem Messergriff wurde eine genetische Mischspur von Mehmet D. entdeckt, an der Klinge fanden sich Blutreste des Opfers. Sein Cousin hat denn auch später ausgesagt, dass der Angeklagte die Tat ihm gegenüber eingeräumt haben soll.

Zu guter Letzt wird der Mordprozess dokumentieren, wie hilfreich Überwachungskameras an nächtlichen Brennpunkten sind. So hat die Auswertung etlicher privater Videoaufnahmen an der Außenfront von Lokalen entscheidend dazu beigetragen, den Angeklagten zu überführen. Etliche seiner anfänglichen Schutzbehauptungen, er sei nicht der Täter, fielen in sich zusammen.

Kameras in Tatortnähe

Nach seiner Festnahme hatte D. behauptet, dass er durch die Attacke mit der Flasche zeitweilig das Bewusstsein verloren habe. Wieder zur Besinnung gelangt, will er mit seinem Cousin weggelaufen sein. Die Aufzeichnungen widerlegen seine Angaben. Den Erkenntnissen der Todesermittler zufolge soll er nach dem Flaschenangriff nicht in Ohnmacht gefallen sein, auch zeigen ihn die Kameras in Tatortnähe.

Auf Anfrage wollten die Verteidiger sich nicht zu den Vorwürfen gegen ihren Mandanten äußern. Ob die Beweislage zu einer Verurteilung wegen Mordes ausreicht, wird der nicht-öffentliche Prozess weisen.

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