„Sie wird sich nie verlieben“Kölner Schauspieler über den Gendefekt seiner Tochter

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„Alles was zählt“-Schauspieler André Dietz und seine Frau Shari beim Gespräch im Wallraf-Richartz-Museum

„Alles was zählt“-Schauspieler André Dietz und seine Frau Shari beim Gespräch im Wallraf-Richartz-Museum

  • André und Shari Dietz lernten sich 2009 kennen, heirateten und sind heute Eltern von vier Kindern. Klingt perfekt – ist es aber nicht.
  • Bereits ihr erstes Kind kommt mit einer lebensbedrohlichen Fehlbildung zur Welt. Bei ihrem zweiten Kind wird dann das Angelman-Syndrom diagnostiziert. Über ihre Erlebnisse haben der „Alles was zählt“-Schauspieler und seine Frau nun ein Buch geschrieben.
  • Ein Gespräch über die Hintergründe, das Zerplatzen eines Traumes und die Frage „Warum ausgerechnet wir?“

Köln – Je planmäßiger die Menschen vorgehen, desto wirksamer trifft sie der Zufall. Das schrieb einst Friedrich Dürrenmatt. Wobei der Schriftsteller nicht ahnen konnte, welch tiefe Bedeutung diese Aussage einmal für Shari und André Dietz haben würde. Vor knapp zehn Jahren lernte der Schauspieler seine heutige Frau kennen. Die beiden verliebten sich, heirateten und sind heute Eltern von vier Kindern. Klingt perfekt, nach dem erfolgreichen Aufgehen des zuvor geschmiedeten Plans. Wenn der Zufall nur nicht wäre. Bereits ihr erstes Kind kommt mit einer lebensbedrohlichen Fehlbildung, ohne einen Darmausgang, auf die Welt. Bei ihrem zweiten Kind, der heute fünfjährigen Mari, wird dann das Angelman-Syndrom diagnostiziert.

In ihrem nun veröffentlichten Buch „Alles Liebe – Familienleben mit einem Gendefekt“, auf dessen ersten Seiten das Zitat von Dürrenmatt steht, erzählt das Ehepaar offen, ehrlich und – trotz der Situation – sehr humorvoll von ihrem Alltag, den Sorgen und Ängsten, ihrer Vergangenheit und ihrem Weg. Wir haben sie in Köln getroffen.

Was war das Erste, was Ihnen durch den Kopf ging, als Sie Maris Diagnose bekommen haben?

Shari Dietz: Der allererste Gedanke war, dass sie sich niemals verlieben, nie einen Freund haben wird.

André Dietz: Da war ich zunächst baff.

Shari Dietz: Man stellt sich vor, was die Kinder machen, vielleicht Abitur, eine Ausbildung, die erste große Liebe, irgendwann eigene Kinder. Und dann macht man sich Gedanken über die Pubertät, eine Zeit, in der eigentlich jeder anfängt, sich um die eigene Körperhygiene zu kümmern. Aber wir müssen es eben bei Mari übernehmen. Ein Leben lang. Das sind Sachen, die einen unglaublich bewegen und fertig machen. Ich habe jedes dieser Themen einmal bewusst betrauert und heute kann ich sagen, das mit dem Freund ist ehrlich gesagt das kleinste Problem.

André Dietz: Die Diagnose hat im Prinzip nur einen Traum, eine Idee vom Leben, die man hatte, zerplatzen lassen. Dass es aber auch andere Auswüchse annehmen kann, dass wir damit glücklich werden, hätten wir zuerst nicht gedacht.

Das Syndrom tritt nur selten auf. Fragt man sich da: Warum ausgerechnet wir?

André Dietz: Das ist unvermeidlich. Aber wir haben unsere Antwort gefunden, da auch die Menschen um uns herum gesagt haben, dass Mari sich schon die richtige Familie aussucht, dass der liebe Gott weiß, was er tut. Allerdings sind wir nicht gläubig, glauben nicht an Schicksal oder Karma. Die Dinge sind eben, wie sie sind. Und zum Glück kam keiner mit Karma, weil dann wären wir im letzten Leben ganz schöne Arschlöcher gewesen (lacht). Ich bin davon überzeugt, dass die Dinge so richtig sind wie sie sind. Dass es ein Zufall war.

Der Gendefekt

Das Angelman-Syndrom ist die Folge einer genetischen Veränderung im Vereich des Chromosom 15 und verzögert die körperliche und geistige Entwicklung stark. Letztere erreicht bei den meisten oft nur den Stand eines Kleinkindes. Auch die Sprache bleibt aus, zudem leiden etwa drei von vier Betroffenen unter epileptischen Anfälle. Das Syndrom wurde erstmals 1965 vom britischen Neurologen Harry Angelman beschrieben. Es kommt bei etwa einem von 30000 Neugeborenen vor. Aussicht auf Heilung besteht bislang nicht. (kle)

Was macht Mari heute aus?

Shari Dietz: Sie ist einfach unglaublich fröhlich und lacht viel. Es machen sie viele kleine Dinge glücklich. Zum Beispiel lacht sie sich kaputt, wenn jemand hinfällt. Das ist so beflügelnd, weil selbst ihre kleine Schwester, die sich zunächst tierisch ärgert, dann mitlacht. Und sie schafft es, dass wir uns über kleine Dinge extrem freuen. Das ist ja eigentlich das Wichtige im Leben, das viele oft verlernen, sich an Kleinigkeiten zu erfreuen.

André Dietz: Alleine beim nach Hause kommen: Alle Kinder freuen sich, Mari rastet aus. (lacht)

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„Alles Liebe“ ist ein überraschend persönliches Buch, das sich nicht nur um das Leben mit der Diagnose Ihrer Tochter dreht, sondern auch um Sie als Paar, Ihre One-Night-Stands und wilden Partynächte zuvor, Ihr Kennenlernen. Wieso haben Sie sich zu dieser Offenheit entschieden?

Shari Dietz: Ich glaube, dass es wichtig ist, unsere Vorgeschichte zu kennen, um zu verstehen, warum wir so positiv mit Maris Diagnose umgehen. Das war ein wenig entscheidend dafür, dass wir diesen Einblick in unser Leben geben.

André Dietz: Viele fragen immer die Grundfrage: „Wie macht ihr das?“ Und dazu gehört natürlich eine Geschichte. Ich wollte einfach erklären, wie so ein Typ, der früher voll verballert war, Schulden hatte und sich teilweise nichts zu essen kaufen konnte, plötzlich zu so einem Familienvater werden konnte.

Zur Person

André Dietz (43) steht seit 2006 für die RTL-Serie „Alles was zählt“ als Ingo Zadek in Köln vor der Kamera. Seine Frau Shari (32) ist Hausfrau und schreibt auf ihrem eigenen Blog über Themen wie Familie, Kinder, Interieur und Design. Gerade erschien ihr gemeinsames Buch „Alles Liebe – Familienleben mit einem Gendefekt“ (17,95 Euro) im Edel Books Verlag. Am 7. Mai präsentieren die beiden dieses in der Mayerschen Buchhandlung am Neumarkt. Los geht es um 20.15 Uhr. Karten sind für 12 Euro erhältlich. (kle)

Wie haben die Erlebnisse mit den Kindern Ihre Beziehung zueinander beeinflusst?

André Dietz: Das hat uns ganz klar zusammengeschweißt. Die ersten vier Monate waren wir mit unserem Sohn auf der Intensivstation und wir haben überlegt, wie das alles gehen soll. Aber das war, glaube ich, der erste Schritt zu unserem dicken Fell. Wir haben dort Schicksale mitbekommen, bei denen wir gesagt haben: verdammte Scheiße, dagegen geht es uns verdammt gut. Wir wussten zwar auch nicht, wie es bei unserem Sohn weitergehen würde, ob er vielleicht immer Probleme mit dem Stuhlgang haben würde. Aber wir haben Demut gelernt.

Shari Dietz: Und wir hatten auch vorher schon eine unglaublich enge Beziehung miteinander, sodass man es zusammen trägt, sich zu 100 Prozent aufeinander verlassen kann und jeder mal die Chance hat, Schwäche zu zeigen.

André Dietz: Shari ging es nach der ersten Geburt ziemlich schlecht und musste mit dem Rollstuhl zur Intensivstation geschoben werden. Deswegen war ich in der Zeit immer stark. Habe alle drum herum beruhigt und es mir auch selber geglaubt. Aber dann sind wir irgendwann abends mal nach Hause gekommen, am leeren Kinderzimmer vorbei und da bin ich zusammengebrochen. Das war plötzlich der Punkt, an dem Shari übernommen hat und ich gemerkt habe, dass ich ein Depp war, weil ich mich die ganze Zeit schon hätte fallen lassen können.

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