Gift im Campari?Schwiegertochter soll Kölner Arzt vergiftet haben – Eine Chronologie

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Die Angeklagte mit ihrem Verteidiger Jürgen Graf im Kölner Landgericht.

Köln – Erfolgreiche Immobilienmaklerin, Ehefrau eines Arztes, zweifache Mutter, zwei Luxus-Karossen in der Garage. „Wir hatten unsere Welt, die ganz wunderbar war“, sagt Miriam E. (41, Name geändert) im Prozess vor dem Kölner Landgericht. Sie zeichnet das Bild einer glücklichen und wohlhabenden Familie. Etabliert in der Kölner High Society, mit Wohnsitz im Kölner Westen.

Doch seit mehr als einem Jahr befindet sich Miriam E. in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft wirft ihr versuchten Mord vor. Sie soll ihren Schwiegervater, einen hoch angesehenen Mediziner, mit einer Überdosis Insulin vergiftet haben. Das mögliche Motiv ist unklar und sie bestreitet alle Vorwürfe. Was wirklich geschah, soll der laufende Prozess vor dem Kölner Landgericht ergeben. Miriam E. droht eine lebenslängliche Gefängnisstrafe.

In einer großen Chronologie zeigt der „Kölner Stadt-Anzeiger“, was bisher über den Fall bekannt ist.

Krankheiten bestimmen die Kindheit

Miriam E. wird im Jahr 1979 geboren und wächst mit drei Geschwistern in einem gut situierten Elternhaus in Köln auf. Mutter und Vater sind Akademiker, erstellen wissenschaftliche Studien. Zwischenzeitlich trennen sich die Eltern, der Vater galt als gewalttätig. Schwere Krankheiten bestimmen die Kindheit und Jugend, was sie auch schulisch zurückgeworfen habe. Im Gerichtssaal sagt sie: „Ich habe mir angewöhnt, meine Krankheiten wegzulächeln.“

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Der Vorsitzende Richter Peter Koerfers führt durch die Verhandlung.

Mit 16 bekommt sie einen Hund, damit sie in Bewegung bleibe und viel an der frischen Luft sei. „Ich wollte eigentlich Chirurgin werden“, sagt Miriam E., doch ihre Gesundheit habe das nicht ermöglicht. Statt Medizin habe sie Kommunikation und Design studiert und auf der Uni ihren ersten Mann kennen gelernt, einen Juristen. Man zog zusammen, heiratete, doch verschiedene Probleme hätten später zur Scheidung geführt.

2013: Miriam E. lernt zweiten Ehemann kennen

Miriam E. wird Immobilienmaklerin, erfolgreich sei sie gewesen, so sagt sie es, sie habe bisweilen bis zu 250.000 Euro pro Jahr verdient. Auch habe sie eine Wohnung in Deckstein gekauft und drei Jahre später mit etwa 400.000 Euro Gewinn wieder verkauft. Im Jahr 2013 kommt Miriam E. S. in Kontakt mit der Arztfamilie. Bei einer Karnevalsgala im Gürzenich lernte sie ihren zweiten Ehemann kennen. Die Liebe springt nicht auf die zukünftigen Schwiegereltern über.

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Besonders das Verhältnis zur Schwiegermutter beschreiben auch Zeugen als eher hasserfüllt, Miriam E. sei nie akzeptiert worden. Der Schwiegervater habe sich mit der Beziehung aber zunehmend arrangiert. „Als mein Mann seinen Eltern sagte, dass wir heiraten wollen, sagte sein Vater: Ich hole mal den Champagner! Aber seine Mutter fragte: Kann man das noch verhindern?“, schildert die 41-Jährige.

2015: Die Schwiegermutter stirbt

Die Schwiegermutter stirbt im Jahr 2015. Das Verhältnis zum Schwiegervater habe sich danach weiter gebessert.

Spricht Miriam E. im Gerichtssaal über ihren Ehemann, so hat sie stets ein Glänzen in den Augen. Von dessen Hobbys etwa berichtet sie dem Richter mit einem konsequenten Lächeln im Gesicht und in einem Plauderton, als befände sie sich gerade überall anders, nur nicht auf der Anklagebank vor dem Schwurgericht. Sie erzählt aber auch von Rückschlägen: „Es kam jedes Jahr irgendwas richtig Doofes dazu.“ Dazu gehören Selbstmordversuche, die sie verübt habe und Aufenthalte in der Psychiatrie.

Dann erzählt die 41-Jährige, wie glücklich man gewesen sei, als sich endlich der ersehnte Nachwuchs eingestellt habe. Die gemeinsame Tochter ist heute sechs Jahre alt, der Sohn drei.

21. Juni 2020: Schwiegervater fühlt sich vergiftet

Dann kam der Familienabend am 21. Juni vergangenen Jahres, ein Sonntag, in der Villa des Schwiegervaters. Es seien Cocktails getrunken worden, berichten auch Zeugen, Campari Orange. „Die hat mir noch einen zweiten gemixt“, habe der Senior über seine Schwiegertochter gesagt, das berichtet seine Haushälterin. Und der habe bitter geschmeckt.

In der Nacht und noch am nächsten Morgen habe sich der 80-Jährige hundselend gefühlt, sagt seine Angestellte. „Der Herr Doktor lag mit dem Kopf auf dem Küchentisch“, beschreibt es die Haushälterin, die schon Jahrzehnte für den Mediziner tätig ist. Trotzdem habe er darauf bestanden, in die Praxis zu fahren, so, wie er das jeden Tag tue. In seiner eigenen Krankenakte vermerkt der Arzt, dass er sich wie vergiftet fühle.

Auch nach dem Verzehr eines Eiskaffees, den ihn die Schwiegertochter gereicht habe, soll das der Fall gewesen sein. Der Verdacht, dass diese ihm womöglich etwas ins Getränk gemischt habe, kommt aber zunächst nicht auf.

Vor dem vermuteten Tattag: Die verdächtige Google-Suche

Einige Tage vor der möglichen tatsächlichen Vergiftung soll Miriam E. mit ihrem iPhone nach Begriffen wie „Perfekter Mord durch Insulin“ gesucht haben. Sie erklärt das mit ihrer eigenen Diabetes-Erkrankung. „Ich habe immer weiter gegoogelt“, sagt Miriam E. dem Richter, „dann kommen ja so Vorschläge von Google. Da sind solche Schlagworte dabei, auch zum Beispiel: Mord durch Medikamente.“

Da sei es dann aber um Fälle gegangen, in denen Corona auf gut Glück behandelt worden sei. „Ich kann mein Google-Verhalten nicht rechtfertigen, ich kann Ihnen nur sagen, wie es ist“, sagt die Angeklagte.

Freitag, 3. Juli 2020: Gäste mit Champagner und Quiche bewirtet 

Es ist Freitag, der 3. Juli 2020. Der Schwiegervater der Angeklagten lädt am Abend Gäste in sein Anwesen ein, er lässt Quiche und Champagner servieren. 

Samstag, 4. Juli 2020: Ein Tag vor der vermuteten Tat

Am Samstag geht der Mediziner neue Hemden kaufen, weiße mit kurzen Ärmeln, die er immer in der Praxis trägt. Der 80-Jährige erscheint rüstig, behandelt immer noch Patienten und kümmert sich um die Personal-Organisation. Er bekommt Blumen von einem Händler überreicht, als Dank dafür, dass er diesem den Fuß gerettet habe.

Am Nachmittag besucht der Mediziner den Sohn, die Schwiegertochter und die beiden Enkel. Ein unauffälliges Treffen. Die Schwiegertochter verabredet sich mit dem Mediziner für den nächsten Tag, man will mit der damals fünfjährigen Enkelin zum Grab der toten Oma – zu Ehren von deren Geburtstag.

Sonntag, 5. Juli 2020: Was geschah in der Arzt-Villa? 

Am Sonntag isst der Mediziner bei einem befreundeten Ehepaar zu Mittag, gegen 16 Uhr soll er wieder zu Hause eingetroffen sein. Um kurz nach vier, so bestätigen es später auch Daten aus der Handy-Funkzelle, taucht die Schwiegertochter nebst Enkelin an der Villa auf. Etwa eine Stunde dauert der Aufenthalt. Was in dieser Zeit in dem Haus passiert, davon haben die Verdächtige und die Kölner Staatsanwaltschaft sehr unterschiedliche Auffassungen.

Der Tattag – die Sicht der Verteidigung

Die Schwiegertochter erzählt, sie habe dem Senior erst davon berichtet, am Morgen einen Vogel aus dem Keller gerettet zu haben. Der 80-Jährige habe von einem ähnlichen Ereignis vor etlichen Jahren gesprochen. Als man damals den Vogel habe fliegen lassen, sei der im Gartenteich ertrunken. Der Opa habe seiner Enkelin die Stelle gezeigt, sagt die Schwiegertochter.

Danach habe man im Haus Muffins gegessen, die habe sie mit der kleinen Tochter gebacken. Die sollten eigentlich am Grab der Oma verzehrt werden, doch der Schwiegervater habe sich schlecht gefühlt.

Der Schwiegervater, so sagt es Miriam E., habe von dem Besuch bei Freunden am Mittag berichtet, Alzheimer sei hier ein Thema gewesen. Im Landgericht sagt Miriam E. über das angebliche Gespräch: „Er sagte: So würde er nicht leben. Als ich ihn fragte, wie er das meinte, sagte er: Solange ich entscheiden kann, werde ich entscheiden. Manchmal muss man es beenden, bevor es zu spät ist.“

Auch habe der Schwiegervater von einem Abkommen mit einem Freund erzählt: „Er meinte, er hätte von Hausbesuchen noch Morphinreste gesammelt, und sie würden sich gegenseitig helfen, bevor man sabbernd irgendwo endet und nichts mehr machen kann.“ Nach etwa einer Stunde sei man auch schon wieder gegangen. Aber nicht, bevor der Opa darauf bestanden hätte, noch einen Muffin für den späteren Verzehr zu behalten.

Der Tattag – die Sicht der Staatsanwaltschaft

Die Anklage wird später davon berichten, dass die Schwiegertochter ihre Tochter bei dem Besuch vor das Handy gesetzt hätte, worauf diese Videos beim Anbieter Netflix geschaut habe. Das sollen gespeicherte Daten aus dem Handy der Verdächtigten ergeben.

Nachdem das Kind abgelenkt worden sei, habe die Angeklagte ihrem Schwiegervater erst das Beruhigungsmittel Tavor in ein Getränk gemischt und ihm dann eine Überdosis Insulin gespritzt. Mit dem Wissen, dass dies tödlich verlaufen könne.

Durch ihre eigene Diabetes-Erkrankung habe die 41-Jährige einen leichten Zugang zu Insulin gehabt. Am gleichen Tag soll die Schwiegertochter noch nach „Überdosis Insulin“ bei Google gesucht haben. Das habe sie abermals in Zusammenhang mit ihrer Diabetes-Erkrankung getan, sagt sie. Sie habe am Sonntagabend zu viel Eis gegessen und mehr Insulin gespritzt als sonst, was den gesuchten Begriff nach der „Überdosis“ erklären soll.

Danach löscht Miriam E. ihren Browser-Verlauf im Handy, Ermittler werden ihn später wiederherstellen.

Montag, 6. Juli 2020: Der Morgen danach

Am nächsten Morgen gegen acht Uhr findet die Haushälterin den Senior sitzend auf dem Gästesofa vor – bewusstlos. Vor ihm auf dem Tisch steht ein Teller mit einem angebissenen Muffin, in der Hand hält er eine gelbe Serviette, so wird es die Angestellte später aussagen.

Die Haushälterin ruft ihren Mann an, ebenfalls seit Jahrzehnten als Haushaltshilfe, Koch und Gärtner für den Mediziner tätig. Er eilt auf dem Fahrrad herbei, rüttelt an dem Mann, brüllt ihn an, doch keine Reaktion. Der Angestellte will Mediziner aus der Nachbarschaft rausklingeln, aber niemand öffnet. Um 9.03 Uhr an diesem Montag erfolgt der Notruf. Die Ärzte stellen in der Uniklinik einen extrem niedrigen Blutzuckerspiegel fest, der Senior überlebt, aber ist seither ein Pflegefall. 

Der Haushälter ruft nacheinander die Söhne des Arztes an, einer reist aus der Schweiz an, der andere sucht später das Anwesen mit seiner Frau auf – der Angeklagten. „Die haben nach dem Safeschlüssel gefragt“, sagt die Haushälterin aus. Offenbar auf der Suche nach einem möglichen Abschiedsbrief.

Der Schweizer Sohn wird im Prozess davon berichten, wie auffällig sich seine Schwägerin beim gemeinsamen Besuch in der Klinik verhalten habe. „Sie ist ihm fast um den Hals gefallen, sprach vom lieben Schwiegerpapa“, sagt er, obwohl deren Verhältnis eher reserviert gewesen sei. Dann habe sie gönnerhaft angeboten, den Mann bei sich zuhause zu pflegen. Regelrecht triumphierend habe sie das gesagt.

Welches Motiv könnte die Schwiegertochter haben?

Für Miriam E. schließt sich kurz danach ein Aufenthalt in der Psychiatrie an, hier wird sie schließlich festgenommen. Zu erdrückend erscheint die Indizienlage, vor allem nach der Auswertung der Handy-Daten. Die Beschuldigte kommt in Untersuchungshaft, hier sitzt sie nun seit mehr als einem Jahr.

„Mein Mann schreibt mir jede Woche Briefe und gibt mir das Gefühl, ich wäre bei ihnen“, sagt sie im Prozess über ihre Familie. Und weiter: „Es ist so schlimm, dass man einfach weg ist.“ Es ist ein Argument der Verteidigung, dass Miriam E. es nie riskiert hätte, von ihren Kindern getrennt zu werden.

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Der Kölner Oberstaatsanwalt Bastian Blaut vertritt die Anklage.

Im Prozess spricht der Schwager von „einer gewissen Geldnot“ bei der der Familie der Angeklagten und spricht somit ein mögliches Motiv an. „Mehr Schein als Sein“, so sagte es eine gute Freundin der Angeklagten aus. Miriam E. soll angeblich nicht in der Lage gewesen sein, ihr einen kleineren Geldbetrag zu leihen.

Auf die Frage vom Staatsanwalt, ob sie der 41-Jährigen die Tat zutrauen würde, äußerte die Freundin: „Sie hat etwas Manipulatives an sich, kann um drei Ecken denken.“ Und so vielleicht glauben, etwas Böses tun zu können, ohne dass es herauskomme. Damit torpediert die Zeugin eine zentrale Aussage des Verteidigers. Der hat erklärt, die Persönlichkeit seiner Mandantin lasse eine solche Tat gar nicht zu.

Großes Interesse des Umfelds am Prozess

Der Ausgang des Falls wird mit Spannung erwartet, jeden Tag verfolgen Menschen aus dem Umfeld der Angeklagten den Gerichtsprozess, der seit Juli läuft. Eindringlich hat Oberstaatsanwalt Bastian Blaut an die Angeklagte appelliert, ihr Aussageverhalten zu überdenken. Nur mit einem Geständnis könne sie milder bestraft und so vielleicht in sieben Jahren freikommen. Ansonsten würde sie ihre Kinder nicht mehr aufwachsen sehen. Die Tat sei beinahe vollendet worden.

Verteidiger kritisiert Gutachten der Rechtsmedizin 

Doch Verteidiger Jürgen Graf scheint überzeugt, noch ein Ass im Ärmel zu haben. Der Anwalt unterstellt der Rechtsmedizin, ein Gefälligkeitsgutachten für Polizei und Staatsanwaltschaft erstellt zu haben. Werte seien angepasst worden, um die Mandantin zu belasten.

Erwartet wird im weiteren Prozessverlauf eine Gutachterschlacht, denn die Rechtsmedizin wird kaum von ihren Ergebnissen abrücken. Die Verteidigung hat bereits angekündigt, eigene Experten ins Spiel zu bringen. Ein Gegengutachten soll etwa beweisen, dass der Senior noch am Montagmorgen – also weit nach dem Besuch der Schwiegermutter – Kaffee getrunken haben müsse, anders seien entsprechende Koffeinwerte nicht zu erklären. Dann würde die Angeklagte als Täterin ausscheiden.

Der Prozess vor dem Landgericht ist jetzt schon bis Ende November terminiert. Fraglich ist, ob das Gericht mit den bisher angesetzten 29 Verhandlungsterminen auskommt.

Die Verteidigung vertritt grundsätzlich die von der Angeklagten angesprochene Theorie, dass der Mediziner sich selbst töten wollte. Für den Schwager der Beschuldigten gar keine Option. „Mein Vater hatte noch viele Pläne“, sagt der. Davon abgesehen hätte er als Mediziner gewusst, wie man sich umbringt. 

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