„Eine Parallelwelt“Bunker und Geheimgänge – ein Rundgang durch Kölns Untergrund

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Blick in den Atombunker der an die U-Bahn-Haltestelle Kalk-Post angebaut ist.

Köln – Nicht nur die technische Seite und der geschichtliche Hintergrund faszinieren Christoph Lubbe und Robert Schwienbacher an ihrem Fachgebiet. Es ist auch das Geheimnisvolle, Doppelbödige, das sie immer wieder in die Kölner Unterwelt treibt. Die U-Bahn-Station Kalk-Post nur ein Verkehrsknotenpunkt? Die Tür neben dem Treppenabgang zur Haltestelle Rudolfplatz nur der Zugang zu einer Besenkammer? Mitnichten. Hier ist die Stadt mehr, als was sie auf den ersten Blick preisgibt.

Robert Schwienbacher ist Vorsitzender der „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“, Christoph Lubbe Autor des Buchs „Bunker aus dem Kalten Krieg – Wie Westdeutschland den 3. Weltkrieg überleben wollte“. Beide kennen sich aus mit den Spezialbauten, die in Köln und anderen westdeutschen Städten in das Erdreich gesetzt wurden, als der kapitalistische den kommunistischen Block mit Atomwaffen bedrohte und umgekehrt. „Man weiß ja relativ viel über den Regierungsbunker in Ahrweiler“, sagt Christoph Lubbe: „Für mich war aber interessant, was in der Ebene darunter passiert ist.“

Teilung Deutschlands, Koreakrieg und atomare Bedrohungslage

In Köln begann die Verwaltung Anfang der 1950er Jahre mit Überlegungen, wie die Bevölkerung bei einem Atomschlag zu schützen wäre. Die Teilung Deutschlands, der Koreakrieg und die allgemeine atomare Bedrohungslage boten Handlungsbedarf. 1946 hatten die Westalliierten Deutschland auch den Bau nichtmilitärischer Schutzbauten aller Art verboten, doch 1952 wurde das Luftschutzverbot aufgehoben. „In einem ersten Schritt wurde in Köln untersucht, welche Weltkriegsbunker noch brauchbar sind“, sagt Robert Schwienbacher.

Zunächst wurden die Hochbunker an der Elsassstraße in der Südstadt, der Hochbunker der Siedlung „Grüner Hof“ in Mauenheim und der Bunker an der Körnerstraße in Ehrenfeld zu Zivilschutzanlagen ausgebaut. Sie sollten allerdings nur einige Stunden nach einem Atomschlag Schutz bieten. Zufluchtsstätten für immerhin 14 Tage waren die so genannten Mehrzweckanlagen – eigentlich zivil genutzte Bauten in dicht besiedelten Lagen, die im Ernstfall in öffentliche Schutzräume verwandelt werden konnten. Laut Christoph Lubbe entstanden die knapp 700 westdeutschen Mehrzweckanlagen vor allem in Kombination mit Tiefgaragen.

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Durch neue Filmtechniken ist der Bunker in Kalk mittlerweile auch virtuell begehbar.

In Köln jedoch avancierten zwei U-Bahn-Haltestellen zu Trutzburgen des Kalten Kriegs. Die Haltestellen Kalk-Post und Rudolfplatz wurden in den 1970er und 1980er Jahren mit Hilfe von Bundeszuschüssen so hergerichtet, dass insgesamt rund 4000 Menschen hier vorübergehend untergekommen wären. Im Verborgenen wurden schwere Drucktüren, Lüftungsanlagen, Küchen und Dieselmotoren eingebaut, umhüllt von dicken Betonmauern. Die Anlagen sollten vor radioaktiver Strahlung, chemischen und biologischen Waffen, Trümmern, Druckwellen, Feuer und Hitze schützen. Einem direkten Atomwaffen-Treffer hätten sie jedoch niemals standgehalten. Auch sonst waren sie wenig durchdacht.

Trotzdem wurden die für die Öffentlichkeit unsichtbaren Versorgungseinrichtungen bis 2007 regelmäßig gewartet und durften nicht verändert werden. Dann stellte der Bund kein Geld mehr für die Instandhaltung zur Verfügung, die Anlagen des Kalten Kriegs wurden sich selbst überlassen. Heute kümmert sich die „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ um die bedrückenden Katakomben und bietet Führungen an. „Man muss die Geschichte erzählen und nicht verstecken“, sagt Robert Schwienbacher. Dennoch wüssten viele Kölner noch immer mehr über die Römer als über die Doppelfunktion der U-Bahn-Haltestelle Kalk-Post.

„Alles sehr spartanisch“

Das liegt sicher zum einen daran, dass viele Schutzvorkehrungen im Stillen getroffen wurden. Darüber hinaus ging Köln den Zivilschutz recht halbherzig an. „In Westdeutschland gab es bis 1989 im Durchschnitt für drei Prozent der Bevölkerung öffentliche Schutzbauten“, sagt Christoph Lubbe. Die Millionenstadt Köln habe mit ihren 4000 Plätzen also unterdurchschnittlich gut vorgesorgt. Wobei die Mehrzweckanlage Rudolfplatz noch nicht einmal adäquat nutzbar gewesen wäre. „Es ist alles sehr spartanisch und hat letztendlich Rohbaucharakter“, so Robert Schwienbacher. Der Küchenraum neben der U-Bahn-Einfahrt zum Beispiel war niemals komplett ausgestattet. Und noch 1989, zwei Jahre nach Fertigstellung des U-Bahnhofs Rudolfplatz, fragte die Feuerwehr bei der Stadt an, wie denn die Lüftungsanlage funktioniere. Das alles beweist auch für Christoph Lubbe: „Populär war das Thema nie.“ Ursprünglich hatte die Stadt zehn Mehrzweckanlagen geplant. Wirklich nutzbar war am Ende nur die Haltestelle Kalk-Post, die 1980 in Betrieb ging. Schon vier Jahr später entschied der Kölner Rat, keine neuen Zivilschutzanlagen mehr zu planen und zu bauen. Die Friedensbewegung hatte das Thema noch unpopulärer werden lassen. Und die Bundesregierung drehte zunehmend den Geldhahn zu.

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Das Bunkersystem für die Verwaltungsspitze war in den 1980er Jahren freilich längst fertig. Als nach dem Zweiten Weltkrieg das historische Rathaus wiederaufgebaut wurde, entstand darunter die gut einbetonierte Befehlsstelle für die Katastrophenschutzleitung. Hier sollten die feuerwehrtechnischen Aufgaben koordiniert werden - Brände, Zerstörungen durch Bombentreffer oder Straßenräumungen. Die Stadtspitze, allen voran der Oberstadtdirektor, sollten in die „Verwaltungsbefehlsstelle“ unter der Realschule Berrenrather Straße ausweichen. Weitere Anlagen für städtische Mitarbeiter gab es auf Schulgrundstücken an der Dellbrücker Hauptstraße in Dellbrück und an der Wilhelm-Schreiber-Straße in Ossendorf. Viele kleinere Schutzräume entstanden zudem in den 1950-er und 1960-er Jahren unter Schulneubauten.

Unter der Bensberger Schule von Christoph Lubbe befand sich sogar ein vollständig eingerichtetes Hilfskrankenhaus. Als er die Anlage in den 1990-er Jahren als Schüler besichtigen durfte, war der Grundstein für ein Hobby gelegt, das den 42-Jährigen nicht mehr loslässt: „Da geht diese ominöse Tür auf und es tut sich eine Parallelwelt auf.“

Der Bunker vom Rudolfplatz

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Der Eingang zum Bunker an der U-Bahn-Station Rudolfplatz ist hinter Fliesen versteckt.

Die vier mächtigen Panzertore verbergen sich noch heute in den Wänden. Mit ihnen wären die Treppenabgänge zur U-Bahn-Haltestelle Rudolfplatz abgeriegelt worden. Danach hätten rund 1500 Menschen in die Station Einlass gefunden. Durch Schleusen mit schweren Drucktüren wären sie ihrer vorübergehenden Rettung entgegengegangen, penibel gezählt von einem Schleusenwart hinter einer winzigen Glasscheibe in einem nicht viel größeren Raum.

Einer dieser Schleusenwärterräume befindet sich in Höhe des Treppenaufgangs zum Steigenberger-Hotel. Christoph Lubbe schüttelt den Kopf beim Anblick des armseligen Verschlags. Weder Beleuchtung noch Zählwerk wurden installiert. „Der Raum sagt alles darüber, mit wie viel Elan man die Sache zu Ende gebaut hat“, sagt der Bunker-Experte.

Stadt Köln nahm den Zivilschutz nicht ernst

Die U-Bahn-Station Rudolfplatz wurde 1987 in Betrieb genommen. Wie ihr Pendant in Kalk sollte sie in ihrer Funktion als Mehrzweckanlage Durchreisenden oder Büroangestellten aus der Umgebung 14 Tage lang Schutz bieten für den Fall, dass sich der Kalte Krieg in einen heißen verwandelt hätte. Wie die Anlage funktionieren sollte, bleibt jedoch ein Rätsel. Eine Abwasseranlage gab es nicht, die Küche neben den U-Bahn-Gleisen blieb unvollendet. Die Mehrzweckanlage Rudolfplatz zeigt, dass die Stadt Köln den Zivilschutz nicht allzu ernst nahm. Nur unter dem Druck der Bundesregierung seien die Schutzanlagen des Kalten Kriegs entstanden, sagt Robert Schwienbacher vom Verein „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“, der den Schlüssel zu den verborgenen Versorgungsräumen unter dem Rudolfplatz hat.

Die Schutzsuchenden sollten auf Liegen in der Zwischenebene verharren und in insgesamt sechs Straßenbahnen, die eingefahren wären, bevor die U-Bahn-Schächte mit großen Hubschwenktoren verriegelt worden wären. Die Krankenstation sollte mit Vorhängen vom Rest der Zwischenebene separiert werden. Hinter der Tür am Ende des Treppenzugangs am Hahnentor sind Teile des Lüftungssystems noch immer vorhanden. Das Notstromaggregat hat die Feuerwehr jedoch längst aus den karg beleuchteten Räumen abtransportiert.

Die Anlagen des Kalten Kriegs hätten die U-Bahn-Station um drei Millionen D-Mark verteuert, so Schwienbacher. Viel Geld für eine Einrichtung, die nicht richtig funktionierte.

 Schutz vor dem Atomschlag in Kalk

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Blick in den Atombunker der an die U-Bahn-Haltestelle Kalk-Post angebaut ist.

Früher waren die Versorgungsräume in der Zwischenebene der U-Bahn-Station Kalk-Post für die Öffentlichkeit tabu. Nur Eingeweihte wussten um den 75 Meter langen Gang mit seinen fahl beleuchteten Räumen, der sich hinter der unscheinbaren Tür gegenüber dem Kiosk verbarg. Seit einigen Jahren bietet der Verein „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ (Dokk) hier Führungen an. Mit Erfolg. Die Relikte der einzigen komplett erhaltenen Mehrzweckanlage Kölns sind zu einer Sehenswürdigkeit geworden.

Im atomaren Ernstfall hätte sich der 1980 eingeweihte KVB-Knotenpunkt in ein Krisenzentrum verwandelt. Maximal 2366 Schutzsuchende, so der Plan, hätten auf Feldbetten in der U-Bahn-Station und in den U-Bahnen übernachtet, die im Ernstfall auf jeder Seite der Station eingefahren wären. Danach wären die U-Bahn-Schächte mit schweren Toren verriegelt worden, ebenso wie die Treppenzugänge zur Station.

Viel Raum für schauriges Kopfkino

Das Herz der Anlage hätte in der Zwischenebene geschlagen. Noch heute können der kleine Operationsraum, die Küche und die Toiletten besichtigt werden. Erhalten sind auch die Pumpen, die das Wasser aus einem eigenen Tiefbrunnen ziehen sollten. Das Notstromaggregat und die Lüftungsanlage sind nach wie vor funktionstüchtig.

Wie grausam es gewesen wäre, hinter dem 2366. Zivilisten die Schotten dicht zu machen und die anderen Passanten ihrem Schicksal zu überlassen, musste zum Glück niemand erleben. Auch nicht, wie es nach 14 Tagen unterirdischem Aufenthalt weitergegangen wäre – dann wären die Wasser- und Lebensmittelvorräte zur Neige gegangen. „Die Schutzsuchenden werden mit Bussen abgeholt“, zitiert Schwienbacher die Unterlagen des Katastrophenschutzes.

Doch wie wahrscheinlich ist dieses Szenario in einer womöglich kontaminierten Welt? Die Anlage, die 2005 offiziell außer Dienst gestellt wurde, lässt viel Raum für schauriges Kopfkino.

Die geheime Unterwelt des Rathauses

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Bunker unter dem Historischen Rathaus

Die alten Telefonanlagen, das Küchenmobiliar, die Anlagen zur Fernmeldevermittlung – das Inventar der „Befehlsstelle für die Katastrophenschutzleitung“ unterhalb des Historischen Rathauses existiert nicht mehr. Nach einem Feuchtigkeitsschaden während des Baus der U-Bahn-Station Rathaus musste es entsorgt werden. Nur das Notstromaggregat und die 60 Zentimeter dicke Stahlbetonhülle werden so schnell nicht verschwinden. Auch nicht die 17 Räume, die sich hinter einer gas- und drucksicheren Stahltür befinden. Im atomaren Katastrophenfall wäre die Stadt von hier aus geführt worden, jedenfalls zum Teil.

Mehr als 600 Quadratmeter groß ist der Stabsbunker, in dem auch Teile der Verwaltung gearbeitet hätten. Ein Fernmeldezentrum, ein Führungsraum, Arbeitszimmer und Technikräume entstanden unterhalb des Alter Markts, ohne dass die Öffentlichkeit davon Wind bekommen hätte. In den Schlafzimmern standen 30 Betten zur Verfügung – viel zu wenig für alle Bediensteten. Allerdings war die Versorgung ohnehin nur für 14 Tage sichergestellt.

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Die Technik im Rathaus wurde von Wasser zerstört.

Der Oberstadtdirektor und sein Krisenstab hätten sich unter dem Rathaus nur dann aufgehalten, wenn sie es nicht mehr bis zur „Verwaltungsbefehlsstelle“ unter der Elsa-Brandström-Realschule an der Berrenrather Straße geschafft hätten. Auch hier tat sich ein Schattenreich des Kalten Kriegs auf. „So weit außerhalb des Stadtkerns wären sie dort sicherer gewesen“, so Robert Schwienbacher von der Dokk. Auf 750 Quadratmetern Fläche bot die Klettenberger Bunkeranlage ab 1968 insgesamt 66 Verwaltungskräften und 45 Hilfskräften Platz. Der Amtstierarzt hätte hier ebenso seine Arbeit weitergeführt wie die Staatsanwaltschaft oder die Abwasserbeseitigung. Teile der Ausstattung wie Schreibtische, Stühle und Kurbeltelefone hat der Verein Dokk in einem Lager deponiert, um in einer späteren Ausstellung zu zeigen, wie die Stadt im Krisenfall regiert worden wäre.

Weitere Befehlsstellen für die Stadtverwaltung wurden auf Schularealen an der Dellbrücker Hauptstraße und an der Wilhelm-Schreiber-Straße in Ossendorf gebaut. Die Bezirksregierung hätte einen Ausweichsitz in der Eifel bezogen. Alle Befehlsstellen wurden längst außer Dienst gestellt. Zumindest die Anlage in Ossendorf soll aber noch weitgehend so eingerichtet sein wie in den 1960er Jahren.

Was sonst noch blieb

Hochleistungssirene

Der erste öffentliche Probealarm nach Ende des Zweiten Weltkriegs datiert auf den 27. Februar 1963. Jedes halbe Jahr heulten die westdeutschen Sirenen testhalber. Der übliche Sirenentyp mit pilzförmigem Schutzdach habe einen Nachteil gehabt, so Bunker-Experte Christoph Lubbe: Sie sei abhängig von einem intakten öffentlichen Stromnetz gewesen. Da dieses im Krieg nicht zwangsläufig zur Verfügung steht, sei die so genannte Hochleistungssirene entwickelt worden. Sie verfügte über einen unterirdischen Maschinenbunker mit einem Dieselaggregat und erzeugte ihre Energie über einen Pressluftbehälter. 64 Mal lauter als die Standardsirene sei die „Pressluftsirene“ gewesen. Nur 490 Exemplare seien bis zum Ende des Kalten Kriegs aufgestellt worden. Acht Relikte gibt es in Köln: ein Mast und ein Maschinenbunker existieren etwa an der Ecke Militärringstr./Buschweg.

Notbrunnen

Noch immer gibt es in Köln 174 Grundwasser-Notbrunnen, die bis heute aktiviert werden könnten. Wären die Wasserwerke durch ein Erdbeben oder kriegerische Auseinandersetzungen zerstört, könnte Grundwasser mit Hilfe der Notbrunnen gepumpt werden – mechanisch oder mit Hilfe von Notstromaggregaten. Da die Wasserqualität nicht der strengen Trinkwasserverordnung entspricht, würde es im Notfall mit Chlortabletten versetzt. Die Menschen würden wohl trotzdem lange Schlangen an den Ausgabestellen bilden.

Militärische Lastenklasse

Auch in Köln sind sie zuweilen noch anzutreffen, die schwarz-gelben Schilder, die anzeigen, mit welcher Lastenklasse militärische Fahrzeuge Brücken oder Straßen befahren dürfen. Im Kalten Krieg wurden Straßen, die überwiegend militärisch genutzt werden sollten, nach taktischen und operativen Gesichtspunkten der Nato festgelegt. Nach Möglichkeit sollten diese Straßen Ballungsräume umgehen und gut ausgebaut sein. Brückenbauwerke mussten für den ein- oder zweispurigen Verkehr von Rad- und Kettenfahrzeugen ausgelegt sein. „Noch heute lassen sich die Straßen des militärischen Grundnetzes anhand der oft unbekannten gelben Schilder der militärischen Lastenklassen vor Brückenbauwerken identifizieren“, so Experte Christoph Lubbe.

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