Was erzählen Menschen, wenn man sie auf der Straße anspricht? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“. Laura von Welck erzählt vom neuen Strick-Boom.
Zwei Kaffee, bitte!Maschen sind wichtiger als die Leinwand – Im Odeon-Kino wird gestrickt

Laura von Welck, hier in der Südstadt-Rösterei Ernst, organisiert in Köln das Strick-Kino. Ein neuer Trend, den man inzwischen in etlichen deutschen Städten erleben kann.
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Weshalb gehen Menschen ins Kino? Die naheliegende Antwort – um einen schönen Film anzuschauen – würde meine heutige Gesprächspartnerin nicht ohne Weiteres bestätigen. Laura von Welck begegnet nämlich zunehmend Menschen, die die Geschichte auf der Leinwand nur sekundär verfolgen und mehr die Reihen ihrer Maschen im Auge haben. Ein neuer Boom, erzählt sie, mache sich in Deutschlands Städten breit: Das Strick-Kino. Man verabredet sich zum kollektiven Handarbeiten im Lichtspielhaus, wobei der Film nicht selten zur kompletten Nebensache werde oder zum Hörbuch.
Ursprünglich komme der Trend wohl aus Dänemark. Zumindest habe sich eine ihrer Kundinnen an eine entsprechende Frage bei „Wer wird Millionär?“ erinnern können. Sie selber, berichtet von Welck, habe zum ersten Mal von einem Strick-Kino in Wien gehört, bevor hierzulande dann wohl Hamburg den Startschuss fürs Nadelklappern in Kino-Sitzreihen gab.
Karten innerhalb von 24 Stunden weg
Die 62-Jährige, die seit elf Jahren ein Wollgeschäft in Ehrenfeld betreibt, fand die Idee charmant und dachte sich: Wenn das im Norden funktioniert, weshalb nicht auch in Köln? Kurzentschlossen wandte sie sich ans Odeon, wo man ihren Vorstoß anfangs allerdings nicht wirklich ernst nahm. Erst als Martin Roelly bei einer Teamsitzung eine strickende Mitarbeiterin auffiel, erinnerte sich der Kinoleiter wieder an von Welcks Vorschlag. Was weder er noch die Strick-Expertin vermutet hätten: Die Karten für die Preview „Nur an diesem Tag“ waren innerhalb von 24 Stunden weg, was sicher nicht nur daran lag, dass es den Sekt zur Feier der Premiere gratis gab. 230 Leute, von denen manche „schon anderthalb Stunden vorher da“ waren, machten deutlich, dass Köln bei dieser neuen Mode nicht außen vor bleiben wollte.
„Das heißt, es wird fortgesetzt?“, frage ich mein Gegenüber. Laura von Welck nickt. „Ich organisiere das jetzt weiter. Jeweils am letzten Montag im Monat, jeweils um 18.15 Uhr. Am 27. Oktober könne man ‚Jane Austin und das Chaos in meinem Leben‘ sehen.“
Ihr sei es wichtig, sagt die Einzelhändlerin, aktuelle Filme zu zeigen und damit auch die jüngere Generation anzusprechen.
„Ich dachte eigentlich“, sage ich, „nach dem großen Boom vor und während Corona sei Stricken inzwischen wieder out?“ – „Ganz und gar nicht“, widerspricht von Welck. Sie habe heute viel mehr jüngere Kundinnen als früher und auch erfreulich viele Männer.
Schon mehrere Hundert Pullover gestrickt
Mit zu dieser Entwicklung beigetragen hätten mit Sicherheit Leute wie die Dänin Mette Wendelboe Okkels, die unter dem Label „PetiteKnit“ Strickanleitungen entwickelt. Ihre Modelle – egal ob für Erwachsene oder Kinder – seien unglaublich gefragt. Derzeit stricke nahezu jeder „Sophies Scarf“, einen an den Enden schmal zulaufenden Schal, der in der Mini-Version an die Halstücher von Flugbegleiterinnen erinnert.
Ich schaue auf den Pulli und das Tuch, das Laura von Welck um den Hals geschlungen hat. „Auch selbst gemacht, nehme ich an?“ – Sie lächelt und erzählt, dass sie seit der Oberstufe an der Nadel hänge und sicherlich schon mehrere Hundert Pullover gearbeitet habe. „Ich möchte nicht wissen, wie viele Kilometer ich schon gestrickt habe – sowohl Wollfaden als auch Fahrstrecke.“ Denn selbstverständlich sitzt die Kölnerin, die seit vielen Jahren in der Südstadt lebt, wo wir uns über den Weg gelaufen sind, nicht untätig auf dem Beifahrersitz, wenn der Mann den Wagen Richtung Italien lenkt. Dort, in der Nähe von Arezzo, sei sie übrigens auch geboren; allerdings schon als Kind nach Deutschland gekommen.
Stricken in Cafés, bei Techno-Konzerten – und eben im Kino
Ich möchte noch mal zum Thema Strick-Kino zurück. „Wenn es den Leuten da gar nicht so sehr um den Film geht, um was dann?“ - „Es geht um das Gemeinschaftserlebnis“, sagt die Woll-Fachfrau. Man sitze zusammen, tausche sich über das jeweilige Projekt aus, hole sich Anregungen. „Man kriegt heute Strick-Cafés mühelos voll. Neulich habe ich irgendwo gelesen, dass auch bei einem Techno-Konzert gestrickt wurde“, erzählt von Welck. Wir lachen beide.
„Gibt es Materialien, die im Moment besonders angesagt sind?“ – „Vor allem kuschelige Garne. Oder Wolle mit Teddy-Effekt. Viel Mohair und Alpaka.“
„Verstehe“, sage ich. „Der zunehmend kalten Zeit etwas Wärmendes, Weiches entgegensetzen. Das ist ein guter Plan.“