„Regelmäßig müssen wir abbrechen“Was eine Briefträgerin in Köln täglich erlebt – Ein Insider-Bericht

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Ein Postbote steht vor einem Mehrfamilienhaus.

Ohne Überstunden schaffen Postboten ihr tägliches Pensum oft nicht.

Was die Briefträgerin der Deutschen Post im Arbeitsalltag freut, was sie nervt, und warum eine Siedlung in Köln sie immer wieder erstaunt.

  • Die Zustellerin berichtet, was sie am meisten freut, was sie nervt – und warum sie in einer speziellen Siedlung in Köln aus dem Staunen nicht mehr herauskommt.
  • Sie befürchtet, dass das Weihnachtsgeschäft mit täglich weit mehr als 1000 Päckchen, Katalogen und Briefen viele ihrer Kolleginnen und Kollegen überlasten wird.
  • Mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat sich die Postbotin zu zwei ausführlichen Gesprächen getroffen. Sie bat darum, im Artikel anonym zu bleiben. Ihr Name ist der Redaktion bekannt.

Meine Arbeit beginnt jeden Morgen um 6.50 Uhr in der Niederlassung, fünfmal pro Woche. Da sortiere ich meine Post, die ich heute austeilen muss. Und um gleich mal mit einem Gerücht aufzuräumen: Dass montags in Köln keine Post zugestellt wird, wie manche gerne behaupten, ist falsch. Was richtig ist: Montags sind grundsätzlich weniger Päckchen und Briefe im Umlauf, so dass wir nur einen halben Tag arbeiten müssen. Dafür arbeiten wir zum Beispiel an sieben von acht Samstagen.

Jedem Bezirk ist ein Fahrrad oder eine Handkarre zugewiesen. Jedenfalls auf dem Papier. In der Realität sind ständig Fahrräder kaputt. Man kämpft jeden Morgen darum, eines zu kriegen. Die Wahrheit ist: Die Kette springt dauernd raus, der Rahmen bricht, die Speiche bricht, der Reifen ist platt. Und dann siehst du die UPS-Kollegen auf ihren modernen, überdachten E-Fahrrädern. Die überholen dich links und rufen dir einen „Schönen Tag“ zu.

Köln: Postbotin trägt täglich mehr als 1000 Briefe und Päckchen aus

An einem normalen Tag im Sommer trage ich ungefähr 70 Päckchen und Einschreiben aus und mehr als 1000 Kurzbriefe und Briefe mit Übergröße, das so genannte Langholz. DIN-A4-Briefe, Kataloge, Zeitschriften. Im Sommer ist das Aufkommen vergleichsweise niedrig, und trotzdem oft noch zu hoch, um es in der normalen Arbeitszeit zu schaffen. Das liegt auch daran, dass man Straßen für Kollegen und Kolleginnen mitübernehmen muss, wenn die krank sind. Und das ist fast täglich so. Immerhin wird jede Überminute bezahlt.

Im Sommer haut das alles meistens irgendwie hin. Aber niemand von uns weiß, wie das funktionieren soll, wenn jetzt im September wieder der Starkverkehr beginnt mit den ganzen Katalogen und immer mehr Päckchen, die wir ja seit Corona auch noch zusätzlich zu den Briefen austragen müssen. Vom Vorweihnachtsbetrieb mal ganz zu schweigen.

Überall klingeln? Wenn ich das jedes Mal machen würde, wäre ich nachts noch nicht fertig.
Briefträgerin in Köln

Nur ein Beispiel: In Schulungen wird uns eingehämmert, so wenig Päckchen wie möglich in die Filialen zurückzuschicken und sie stattdessen lieber beim Nachbarn abzugeben, falls der Empfänger nicht zu Hause ist. Denn für jedes Päckchen zahlt die Deutsche Post 60 Cent an den Postshop, also den Kiosk oder Schreibwarenladen, wo die Kunden ihre Sendungen abholen können, wenn die Zustellung nicht erfolgreich war. Laut Vorgabe müssen wir zweimal bei jedem Kunden klingeln, und wenn der nicht öffnet, müssen wir bei allen Nachbarn klingeln – eigentlich auch zweimal. Schön in der Theorie. Aber wenn ich das jedes Mal machen würde, wäre ich nachts noch nicht fertig.

Also lege ich die Päckchen manchmal einfach auf die Treppe. Weil man in den Handscanner immer eingeben muss, wo man ein Päckchen hinterlegt hat – beim Empfänger, beim Nachbarn, am Ablageort, im Briefkasten oder in der Filiale – tippe ich „Briefkasten“ ein. Das Problem dabei: Wenn der Kunde zum Beispiel das Päckchen mit seinem Buch nicht bekommen hat – oder wenn er behauptet, er habe es nicht bekommen – dann haftet der Zusteller, die Post nimmt uns in Regress. Trotzdem sage ich mir: Im Zweifel bezahle ich halt das Buch. Anders geht es nicht.

Regelmäßig müssen wir abbrechen, weil wir es einfach nicht mehr schaffen.
Briefträgerin in Köln

Ein weiteres Problem: Laut einer gesetzlichen Vorgabe müssen 80 Prozent aller nationalen Sendungen am nächsten Werktag beim Empfänger sein, 95 Prozent spätestens am zweiten. Das ist häufig nicht machbar. Regelmäßig müssen wir abbrechen, weil wir es einfach nicht mehr schaffen. Die restlichen Briefe müssen wir dann am nächsten Tag wegbringen, zusätzlich zur neuen Post. Man kann dann nur hoffen, dass am nächsten Tag nicht so viel dazu kommt. Das ist ein Rattenschwanz. Und ab Oktober müssen wir wahrscheinlich täglich abbrechen, weil es zu viel ist. Erst vor kurzem wurden die Zustellbezirke sogar nochmal vergrößert.

Uns wird immer gesagt: Macht eure Pausen! Das ist auch richtig, aber viele machen die nicht, sonst würden sie noch später nach Hause kommen.

Kölner Postbotin: Manche Kunden geben sogar Trinkgeld

Es gibt einfach viel zu wenig Zusteller. Im Grunde funktioniert dieses ganze System der Briefzustellung so nicht mehr.

Wenn ich über die Kunden sprechen soll, muss ich sagen, dass viele sehr freundlich sind. Manche geben dir sogar mal einen oder zwei Euro Trinkgeld. Andere bieten dir ein Glas Wasser an. Interessanterweise sind das oft die so genannten „einfachen“ Leute, die vielleicht selbst kellnern oder auf dem Bau arbeiten – die jedenfalls genau wissen, was es bedeutet, bei 35 Grad körperlich zu arbeiten.

Der Job als Zustellkraft ist nicht schlecht bezahlt, vor allem dafür, dass man keine besondere Ausbildung braucht. Ich verdiene 14 Euro pro Stunde plus Inflationspauschale plus Regionalzulage. Aber du musst eben auch jeden Tag früh aufstehen, arbeitest bei Hitze und Regen, das ist körperlich sehr anstrengend, aber da gewöhnt man sich dran.

Die bestellen wie die Wahnsinnigen. Die kaufen das ganze Internet leer.
Briefträgerin in Köln

Es gibt natürlich auch viele ätzende Leute. Was ich überhaupt nicht leiden kann, ist, wenn du abgefangen wirst mit der Frage: „Haben Sie was für Müller?“ – ohne „Guten Tag“ oder „Darf ich Sie kurz stören?“ Die sehen, dass du auf deinem Unterarm das Langholz balancierst, darauf die Kurzbriefe und unter dem anderen Arm drei, vier Päckchen. Einer stellte sich mal vor mich: „Schneider!“ Ich hätte fast die Hacken zusammengeschlagen. Ich antwortete: „Guten Tag.“ Er wiederholte: „Schneider!“ Ich fragte: „Was ist mit Schneider?“ Er: „Na, Schneider!“ Ich: „Möchten Sie wissen, ob etwas für Schneider dabei ist?“ Er: „Ja, na sicher.“ Ich verstehe, dass manche Leute auf wichtige Post warten. Aber man kann das ja auch nett fragen.

Es gibt in meinem Bezirk eine Siedlung, da wohnen Leute, die jeden Tag mehrere Päckchen kriegen, jeden Tag. Die kaufen das ganze Internet leer. Bücher, Warensendungen, Second-Hand-Klamotten, sowas. Wenn sie dir öffnen, stehen sie schon mit Retouren vom Vortag da, die ich wieder mitnehmen soll. Das sind zum Teil dieselben Leute, die auf ihrem Briefkasten einen Aufkleber haben mit einer Sonne oder einem grünen Kleeblatt, wo draufsteht: „Bitte keine Werbung, kein unnötiger Müll, wir retten die Umwelt“. Und gleichzeitig bestellen sie wie die Wahnsinnigen.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Leute sich über alles Mögliche beschweren. Wenn sie zu viel Werbung kriegen oder zu wenig, wenn man klingelt, wenn man nicht klingelt, wenn man ein Paket beim Nachbarn abgibt, wenn man es nicht abgibt, wenn sie eine Postkarte aus Amerika zu spät bekommen oder wenn mal eine Zeitschrift nass geworden ist. Für alles werden wir Zusteller verantwortlich gemacht. Das nervt.

Als Kundin denke ich umgekehrt auch oft bei Dienstleistern: Ihr könntet ruhig mal ein bisschen freundlicher sein. Als Zusteller ist man zugegeben auch nicht immer überfreundlich zu allen Menschen. Aber was da zum Teil grundlos und pampig zurückkommt, verstehe ich einfach nicht. Es gibt doch grundlegende Regeln eines Miteinanders.


Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat die Deutsche Post um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten – lesen Sie hier die Antworten.

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