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Kölner Szene-Kneipe am Südbahnhof„Führen keinen russischen Wodka mehr seit dem Krieg“

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Dima Obhoukov ist der Chef des Acephale am Südbahnhof in Köln.

  • Dima Oboukhov betreibt das Acephale am Südbahnhof. Die Szenebar ist ein Ort der Subkultur.
  • Ein Gespräch über Musik, warum er an 2G-Plus festhält und seine ukrainischen Wurzeln.

Köln – Herr Oboukhov, „Acephale“ ist doch ein eher ungewöhnlicher Name. Wieso haben Sie Ihre Bar so genannt?

Oboukhov:„Acéphale“ war eine geheime Gesellschaft von Künstlern, Dichtern und Philosophen, die sich in den 30ern in Frankreich getroffen und Partys zelebriert hat – ziemlich radikal. Darunter sind Dichter, die ich schon ein Leben lang lese. Daher dachte ich mir, dass es passen würde: hierarchielos, anarchistisch. Acephale heißt übersetzt so gut wie „ohne Kopf“.

Bei Ihnen an der Außenfassade ist es jedoch genau umgekehrt: Dort steht ein „A“, aber der Rest fehlt.

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Man muss es nicht so plakativ formulieren. Seitlich am Haus steht der Name auch. Nur abends sieht man das. Erst einmal ist mir vor sieben Jahren die Farbe ausgegangen – und dann war es so ok für mich.

Wer sind Ihre Gäste?

Oft sind es Kunst- und Designstudenten, Menschen mit akademischem Hintergrund. Hier läuft auch spezielle Musik. DJs und Musiker aus ganz Europa treten hier auf und präsentieren elektronische oder experimentelle Musik. Die Leute interessieren sich explizit für das Programm.

Das Acephale liegt nicht weitab von der Ausgehmeile an der Luxemburger Straße mit Blue Shell, Veedel Club, Stereo Wonderland und anderen Clubs. Nur der Bahnhof trennt sie. Finden Sie das gut?

Ich bin weitab und das ist gut so – das hier ist so eine Art Insel. Für unser Programm ist das perfekt. Wir sind im gleichen Viertel, haben aber sonst nicht so viel miteinander zu tun.

Kölner Musikszene verkehrt im Acephale 

Die Kölner Band Keshavara ist regelmäßig zu Gast und durfte sich hier schon viel ausprobieren. Wie kam es dazu, dass die Bar sich als subkultureller Dreh- und Angelpunkt etabliert hat?

Es ist mit der Zeit gewachsen, aber ich hatte natürlich auch bestimmte Prinzipien bei der Musikauswahl. Man findet hier alle Stilrichtungen. Ich gebe den DJs alle künstlerische Freiheiten, ich zahle ihnen gute Gagen und das ist meine Priorität: Musik über alles. Auf jeden Fall kein Mainstream, Hauptsache es ist bewusster Einsatz und ein gewisser Anspruch bei der Ästhetik.

Welche Kölner Musiker neben Keshavara trifft man denn hier gelegentlich noch an?

Retrogott zum Beispiel (von der Kölner Hip-Hop-Formation Retrogott & Hulk Hodn, Anm. d. Red.). Aber ansonsten ist es schwer zu sagen, nicht so bekannte Leute. Keshavara ist eine Ausnahme, sie sind mittlerweile fast schon eine Pop-Größe, auch wenn wenige wissen, dass Keshav hier DJ ist.

Seit rund einem Monat gibt es keinerlei Auflagen mehr für Kneipen und Clubs. Wie waren die letzten Wochen im Acephale?

Die Leute verstehen noch nicht so richtig, wie es um sie geschieht. Es ist gut gefüllt, sie sind ausgelassen. Nach Mitternacht entstehen auch wieder die typischen Turbulenzen (Party auf der Tanzfläche, Anm. d. Red.). Aber wir ziehen dennoch 2G-Plus durch.

Warum?

Manche meinen, wir leben jetzt schon im post-pandemischen Zeitalter, aber wir werden sehen, ob es so ist. Wir müssen unser Team und das Publikum schützen, auch wenn dadurch etwas weniger Gäste kommen. Wir werden es noch lange so machen und wir haben das Publikum inzwischen dafür sensibilisiert.

Sind die Gäste im Acephale von den Getränkevorlieben her eher Kölsch-Publikum?

Nein, sie trinken Cocktails ohne Ende. Wir haben eigene Kreationen, fruchtig, sehr viel Zitronensaft und Kräuter. Russischen Wodka führen wir seit Beginn des Kriegs nicht mehr. Weshalb sollten wir das unterstützen? Jetzt beziehe ich finnischen Wodka. Es ist zwar nicht so einfach zu finden, aber es lohnt sich. Bloß keine russischen Produkte. 

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Acephale-Chef führte lang den Roten Platz im Kwartier Latäng

Wie sind Sie in die Gastronomie gestoßen?

Ich habe viele Jahre mit meinem Vater die Gaststätte „Roter Platz“ im Kwartier Latäng betrieben. Nach der Uni in Münster war ich zurück in Köln, wollte hier etwas anderes studieren und dann hatte mein Vater 2002 die Idee, eine Gaststätte mit Küche aufzumachen. Ich habe sie jahrelang geführt, bin irgendwann nach Berlin gegangen und war viel unterwegs auf Festivals. Ich habe aber schon seit zehn Jahren nichts mehr damit zu tun, außer dass ich dort meinen Vater treffe.

Wie ergeht es dem Roten Platz derzeit?

Es gibt momentan nicht so viel Publikum, vom Gefühl her wird der Laden gemieden. Das ist schade für meinen Vater, er kommt ja selber aus dem ukrainischen Charkiw. Aber die Leute denken bei „Roter Platz“ an Moskau und dann automatisch an Putin.

Sie sind im heute ukrainischen Charkiw geboren und mit 17 nach Köln gekommen und geblieben. War das der Plan?

Ich wollte eigentlich nicht lange in Köln bleiben, sondern weiterziehen. Nach Hamburg oder Berlin, weil ich große Städte mag. Auch meine Heimatstadt Charkiw ist um ein Vielfaches größer als Köln. Ich bin geblieben, weil es ein Stück Heimat ist, mein Sohn ist 2003 hier geboren. Jetzt könnte ich weg, aber jetzt habe ich den Laden. Ich habe einfach einen Bezug zu Köln, meine Großeltern liegen hier begraben. Und ich interessiere mich sehr für die Musikwelt hier, sie ist klein, aber sehr warm und kommunikativ.

Acephale-Chef über den Ukraine-Krieg: „Es ist sehr belastend“

Wie nehmen Sie derzeit den Ukraine-Krieg wahr?

Meine Schule in Charkiw wurde zerbombt, einige Bekannte konnten fliehen, ansonsten habe ich gerade keinen Kontakt in die Stadt. Es ist sehr belastend. Ich versuche nicht allzu viel daran zu denken, den ersten Monat war ich immer am Breslauer Platz unterwegs und habe dort nächtelang geholfen. Ich musste etwas tun. Das war schlimm, die Frauen und Kinder zu sehen, in ihren Augen noch der Schock.

Inwiefern verändert das Ihr Leben?

Sicherlich, nicht nur meins, auch Ihres. Wir leben immer unter atomarer Bedrohung, es könnte jederzeit was passieren… Das ist traurig. Für mich ist auch der Zusammenbruch der sogenannten russischsprachigen Kultur in der Welt durch Putins Politik extrem bitter. Leute aus Russland, die noch fliehen konnten, sind geflüchtet, die die geblieben sind, werden mundtot gemacht und leben in einem krassem Stresszustand. Bis vor kurzem alles undenkbare Dinge. Es ist nun Faschismus im Lande. Es ist furchtbar, dass er diesen breiten Zuspruch von den Russen erhält. Und Ukrainer, die hier leben, heroisieren die Soldaten. Ich finde, man müsste sich mehr um Diplomatie bemühen als schwere Waffen zu liefern. Es muss doch andere Mittel geben, als Krieg zu führen. Ich werde wahnsinnig, wenn ich darüber nachdenke.

Zur Person und zur Kneipe

Dimitri Oboukhov ist 47 Jahre alt und stammt aus der ehemaligen Sowjetunion. 1991 ist er mit 17 Jahren nach Deutschland gekommen. Zunächst verschlug es die Familie nach Düsseldorf, seit 92 lebt sie in Köln. Nach dem Studium betrieb er jahrelang die Gaststätte Roter Platz im Kwartier Latäng. Vor sieben Jahren übernahm er dann das Lokal an der Luxemburger Straße 46, gegenüber vom Bahnhof Süd.

Hier befand sich zuvor das studentische Tanzlokal Beehive. Der Wirt baute den gesamten Laden um. In der schummrigen Bar dominieren dunkle Farben: An der Wand haben die Gäste schon einige Kritzeleien hinterlassen. Es gibt ein DJ-Pult, im hinteren Teil eine kleine Bühne und eine Tanzfläche. Bei Konzerten passen rund 100 Leute in die Bar. (gam)

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